Dozenten als Endgegner

Campus-Stationen der Gilden-Quest "Dragon Wars"

Ein Gespräch mit Kathrin Knautz von der Uni Düsseldorf über das Gamification-Projekt "Die Legende von Zyren"

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Sie werden zu Orks, Goblins und Elfen: Studierende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf können seit dem Sommersemester 2013 einen Seminarschein per Computerspiel erringen. Die Legende von Zyren heißt das Fantasy-Abenteuer, das im Modul "Wissensrepräsentation" des Bachelor-Studiengangs Informationswissenschaft und Sprachtechnologie zum Einsatz kommt. Weil das Projekt erfolgreich ist, soll es nun Open Source werden. Projektleiterin Kathrin Knautz spricht mit Telepolis über Gamification, verschlossene Schatzkammern und Gilden-Quests auf dem Campus.

Orks, Goblins, Elfen und Menschen: die Helden der "Legende von Zyren"

Worum geht es in dem Modul "Wissensrepräsentation"?

Kathrin Knautz: Ganz allgemein geht es darum, die richtigen Informationen zu finden, zu bewerten, zu strukturieren - und dadurch neue Informationen zu generieren. Das sind Schlüsselkompetenzen für eine wissensbasierte Gesellschaft, die in vielen verschiedenen Berufen gefragt sind - vom Suchmaschinen-Optimierer bis hin zum Marketing-Leiter. Konkret lernen die Kursteilnehmer unter anderem, wie Wissen in Dokumenten repräsentiert ist und wie man diese Dokumente so strukturiert, dass sie bei Suchanfragen einschlägige Ergebnisse liefern.

Was ist "Die Legende von Zyren"?

Kathrin Knautz: "Die Legende von Zyren" ist kein Computerspiel im engeren Sinne. Es handelt sich um eine eLearning-Plattform mit Computerspiel-Elementen, also Level, Quests und Achievements. Das Ganze ist textbasiert, kein grafisches Rollenspiel wie etwa World of Warcraft. Dafür fehlen uns schlicht die Kapazitäten. Als Solo-Abenteuer ersetzt "Die Legende von Zyren" herkömmliche Hausaufgaben. Seminare und Vorlesungen gibt es auch weiterhin. Wobei in den Seminaren sogenannte Gilden-Quests stattfinden, bei denen die Studierenden bestimmte Aufgaben gemeinsam lösen.

Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Projekt?

Kathrin Knautz: Wir wollen die Studierenden motivieren, sich intensiver mit dem Lernstoff auseinanderzusetzen. Und zwar nicht erst kurz vor den mündlichen Prüfungen, sondern während des gesamten Semesters. Gerade für mündlichen Prüfungssituatonen ist es wichtig, dass das Gelernte über das gesamte Semester hinweg bereits gefestigt wurde. Die Studierenden sollen Spaß am Lernen haben und dadurch auch bessere Ergebnisse erzielen. Man darf nicht vergessen: Wir haben es mit einer neuen Generation von Studierenden zu tun, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Da macht es Sinn, die traditionellen Lehrmethoden durch aktuelle Ressourcen zu ergänzen. In diesem Projekt wurde letztendlich ein Seminar umgestaltet und kein ganzes Studium. Keineswegs wollen wir die hergebrachten Methoden ersetzen und alles "gamifizieren".

"Gamification" ist ein arg strapazierter Begriff. Was verstehen Sie darunter?

Kathrin Knautz: "Gamification" ist die Anwendung von Spielmechaniken und -dynamiken in spielfremden Kontexten. Spieler konkurrieren miteinander, sie streben nach Anerkennung und Status, der sich in Highscores und Heldenstufen manifestiert. Diese Dynamik lässt sich etwa auf ein Hochschulseminar übertragen. Dass das Konzept so kontrovers diskutiert wird, hat vor allem mit dem inflationären Begriffsgebrauch zu tun: Plötzlich meint jeder, auf Gamification machen zu müssen, sei es nun in der Werbung, in der Weiterbildung oder in der Mitarbeitermotivation. Stupides Punktesammeln ist aber noch lange keine Gamification. Die Teilnehmer müssen schon auch für sich einen Mehrwert erkennen können. Im universitären Kontext kann die Aneignung von Wissen oder die Kollaboration untereinander sein.

"Die Legende von Zyren": eine Liste der Online-Quests

Die Vorbereitungen auf das Seminar begannen bereits ein Jahr früher, im Sommersemester 2012. Das Skript zur "Legende von Zyren" hat nicht weniger als 600 Seiten. Worum geht es in dem Spiel?

Kathrin Knautz: Der Fantasy-Kosmos Zyren ist in vier Reiche aufgeteilt, die von Orks, Goblins, Elfen und Menschen bewohnt werden. Zu Beginn des Spiels wählen die Studierenden eine der vier Rassen für ihren Avatar. Als Helden machen sie sich auf die Suche nach dem "Buch des Wissens", das in den Wirren früherer Kriege verlorengegangen ist. Die vier Fragmente des Buches sind über ganz Zyren verstreut, die Helden erleben unterwegs eine Menge Abenteuer. Nur mit dem kompletten Buch lässt sich das Böse - die mündliche Abschlussprüfung - "besiegen". Professor Stock und ich sind sozusagen die "Endgegner".

Gibt es für das Projekt Vorbilder?

Kathrin Knautz: Auf internationaler Ebene gibt es ein paar Projekte, die wir uns angeschaut haben. Die Bestandteile, die uns geeignet erschienen, haben wir dann übernommen. An der Indiana University Bloomington gibt es beispielsweise das Projekt Multiplayer Classroom von Professor Lee Sheldon. Auch dort hat jeder Studierende einen Avatar, bearbeitet Gruppenprojekte in Gilden und erhält "Erfahrungspunkte" für seinen Abschluss. Das Besondere ist die Kombination aus traditioneller Vorlesung, eLearning-Plattform und Seminar in Verbindung mit Spielmechaniken. Ein Projekt mit einer derart umfangreichen Story wie "Die Legende von Zyren" gab es aber bisher nicht.

Wie ist der Lehrstoff in das Spiel eingebettet?

Kathrin Knautz: Die Story bietet viele Entscheidungsmöglichkeiten. Innerhalb der Mainquestlinien gibt es Varianten des Story-Pfades oder eben die Möglichkeit, sich eine Auszeit von der Hauptstory zu nehmen und den Handlungsplot in einer Sidequest zu verfolgen und dort sein Wissen zu vertiefen. In den Quests wird dann der Lehrstoff mit dem Abenteuer verknüpft. So trifft man beispielsweise als Schatzsucher in einer Höhle auf eine verschlossene Tür. Um sie zu öffnen, müssen die Studierenden in Patent-Datenbanken einen speziellen Schließmechanismus recherchieren. In anderen Situationen müssen sie das Kurslehrbuch, Suchmaschinen oder auch den Standard-Thesaurus Wirtschaft zu Rate ziehen, um die Quest zu lösen. Der Aufbau des Abenteuers folgt dabei dem Aufbau des Lehrbuchs. Die Studierenden behalten also immer den Überblick über ihren Wissensstand und den Kursverlauf und setzen sich intensiv mit dem Lehrstoff auseinander.

Wie laufen die Seminare ab?

Kathrin Knautz: Um es vorwegzunehmen: Die Teilnehmer müssen sich nicht als Elfen oder Goblins verkleiden. Allerdings sind sie ab dem Semesterstart Mitglied einer vier- bis fünfköpfigen Gilde, die durch eine Gildenleiter vertreten wird. Zu Beginn jedes Seminars treffen sich die Teilnehmer im Hörsaal der Fakultät. Nach einer kurzen Fragerunde zur Vorlesung folgt eine Einleitung zur bevorstehenden Gilden-Quest. Diese ist unabhängig von den Ereignissen des Solo-Abenteuers, dockt aber an die Story an. Hier werden die Inhalte der Vorlesung mit bekannten Spielen wie Jeopardy oder Jenga verknüpft. Ein anderes Szenario ist beispielsweise, dass die Teilnehmer über den Campus verteilte Aufgaben lösen und herausfinden müssen, wer wen an welchem Ort ermordet hat - wie im Spiel Cluedo. Nur wenn man alle Stationen bewältigt, kommt man zum richtigen Gesamtergebnis. Die Punkte werden dann dem Online-Konto gutgeschrieben.

Gilden-Quest "Gotta catch 'em all"

Wie passt das Gilden-Konzept in die Gamification?

Kathrin Knautz: Das Zusammenspiel einer Gilde ist ja eigentlich nichts anderes als Gruppenarbeit. In Seminaren funktioniert Gruppenarbeit nur selten wirklich gut. Kaum nennen wir das Ganze aber "Gilde", steigt das Interesse schlagartig. Plötzlich bereiten sich die Studierenden auf das Seminar vor und arbeiten eifrig mit. Denn zum einen wollen sie ihre Gilden-Kollegen nicht hängen lassen. Und zum anderen wollen sie auch mehr Punkte sammeln als die konkurrierenden Gilden.

Wie wirkten sich die Punkte auf die Endnote aus?

Kathrin Knautz: Die Teilnehmer brauchten mindestens 46% der Punkte, um den Kurs zu bestehen. In Sidequests konnten sie ihr Wissen vertiefen, schwierigere Aufgaben lösen und entsprechend ihr Abschneiden verbessern. Bei 59% der möglichen Punkte gab es einen Bonus von 0,3 auf die Abschlussnote, bei 72% einen Bonus von 0,7. Der Maximalbonus lag bei einer ganzen Note, der durch den Erhalt von 90% aller möglichen Punkte erarbeitet werden konnte.

Teilnehmer des Gilden-Quests "Mord in all seinen Facetten" beraten sich

Gab es Vorbehalte gegenüber dem Projekt? Wie war das Feedback der Studierenden?

Kathrin Knautz: Wir hatten die Studierenden vorher gefragt, ob sie an dem Projekt teilnehmen möchten. Es gab keine Gegenstimmen, so dass wir schließlich 150 Teilnehmer hatten. Die Evaluation zeigte, dass die meisten Studierenden von dem Projekt begeistert waren. Natürlich gibt es immer auch Teilnehmer, die lieber auf traditionelle Art lernen - was völlig ok ist. Im Sommersemester 2014 wollen wir das Modul "Wissensrepräsentation" erneut anbieten. Einer von vier Parallelkursen soll dann nicht-gamifiziert sein, mit ganz normalen Hausaufgaben und Referaten.

Ist das Projekt aus Ihrer Sicht ein Erfolg?

Kathrin Knautz: Die Evaluationsergebnisse und Abschlussnoten sprechen dafür. Der Durchschnitt lag früher bei 3,54, jetzt liegt er bei 2,8. Die Zahl der Einser-Absolventen hat sich um 10,9 Prozent erhöht, die Zahl der Zweier-Absolventen um 10,4 Prozent. Vor allem aber ist der Anteil derjenigen, die den Kurs nicht bestanden haben, um 17,4 Prozent zurückgegangen.

Das jetzige System ist ein Prototyp. Wie soll die neue Plattform aussehen, an der gerade gearbeitet wird?

Kathrin Knautz: "Die Legende von Zyren" soll Open Source werden. Ab dem Sommersemester 2014 wird jeder die Plattform so nutzen können, wie er möchte - unabhängig von unserer Einteilung. Wir haben die Plattform ja sehr tief strukturiert, mit Akten, Quest-Linien und einzelnen Quests. Wer weniger Aufwand betreiben will, kann mit der Open-Source-Fassung auch einfach nur seinen Lehrstoff strukturieren - mit Aufgaben, Teilaufgaben und Achievements. Ein weiteres Ziel ist, dass Lehrkräfte die Plattform auch ohne Programmierkenntnisse nutzen können. Darüber hinaus soll auch die Nutzung auf Tablets und Smartphones verbessert werde

Dozenten als Endgegner (4 Bilder)

Orks, Goblins, Elfen und Menschen: die Helden der "Legende von Zyren"