Dr. Dre zeigt Napster Attitude

Hip-Hop-Star legt Liste mit 240.000 Napster-Usern vor, die seine Songs kopiert haben sollen. Chuck D erklärt, warum Napster für Musiker und kleine Firmen gut ist.

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Ende April hatte Hip-Hop-Produzent und Rapper Dr. Dre Napster mit einer Klage gedroht, sollten sie seine Songs nicht aus dem Tracker-Suchsystem entfernen. Nun macht er scheinbar ernst und präsentierte eine Liste mit knapp unter 240.000 Usernamen, die sich an seinem geistigem Eigentum vergriffen haben sollen, indem sie via Napster seine Songs austauschten.

Ähnlich war die Band Metallica vorgegangen. Napster hatte sich dem Druck gebeugt und die angegebenen User von der Benutzung ausgeschlossen. Anders als Metallica will Dr. Dre nicht, dass die genannten User ausgesperrt werden, er möchte stattdessen, dass seine Songs von den Napster-Servern gelöscht werden. Doch wie ein Sprecher von Napster gegenüber Wired-Online-News erklärte, sei das nicht möglich und die genannten Userkonten würden stattdessen ebenfalls gesperrt werden.

"Designated Copyright Agent"

Wenn das Beispiel von Metallica und Dr. Dre Schule macht, könnte es gut sein, dass bald weitere Musiker vorstellig werden, die ebenfalls die Sperre von Usern oder das Löschen von Songs verlangen. Napster hat für solche Beschwerden bereits einen "Designated Copyright Agent" ernannt, dessen Kontaktinformationen in Verbindung mit einer Art Standard-Beschwerdeformular auf deren Website veröffentlicht sind. Sollte aber eine wahre Beschwerdeflut losbrechen, dann wird dieser eine Mitarbeiter bald nicht mehr genügen und Napster müsste eine großzügig mit Mitarbeitern ausgestattete eigene Beschwerde-, Lösch- und Sperrabteilung einrichten. Das ist aber eher unwahrscheinlich. Zieht man die laufenden Gerichtsverfahren in Betracht, allen voran das von der RIAA (Verband der US-Musikindustrie) angestrengte, dann ist es eher plausibel, dass Napster sich um einen Kompromiss mit der Plattenindustrie bemühen wird.

In einer ersten Runde hatte es ein US-Bundesgericht Napster vor einer Woche verweigert, jenen Ausnahmestatus von Copyright-Gesetzen zugestanden zu bekommen, wie ihn Service Provider einnehmen. Danach wäre Napster als reines Trägermedium von allen Copyright-Ansprüchen frei gewesen. Es wird nun erwartet, dass Napster die sogenannte "Betamax-Verteidigung" wählt. 1983 hatten Universal City Studios das Unternehmen Sony wegen der Herstellung und des Verkaufs der Betamax-Videorekorder verklagt. Der Richter entschied in diesem Fall, dass der Verkauf von Kopiereinrichtungen nicht illegal ist, wenn diese auch zu Kopierzwecken benutzt werden können, die nicht illegal sind. Wäre das nicht der Fall, dann wären wohl Kopiergeräte, Kassettenrekorder und Computer verboten.

Sollte Napster einen Kompromissweg einschlagen, der zum Beispiel darin bestünde, für den Service Gebühren zu verlangen und davon einen Prozentsatz an die Rechteinhaber abzugeben, dann würde die Software wahrscheinlich sehr schnell den Sympathiebonus verlieren, den sie derzeit vor allem bei jungen Musikfans hat. Auf der Napster-Idee beruhende Weiterentwicklungen wie Gnutella erfreuen sich bereits jetzt rasant ansteigender Beliebtheit, und es ist sehr wahrscheinlich, dass weitere Open-Source-Versionen von Musiktauschprogrammen im Netz angeboten werden.

Die Absurdität des Napster-Problems

Es geht also nicht um Napster sondern um etwas weit Grundsätzlicheres. Fortschritte in der Computertechnologie und Verbilligung von Speichermedien machen die Verfielfältigung digitaler Kulturprodukte immer einfacher. Das Internet wiederum erleichtert die Verbreitung wesentlich. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass diese Entwicklung zum Stillstand kommt, sie wird sich wahrscheinlich eher noch beschleunigen und bald auch das Kopieren und Tauschen von Videoclips oder Filmen ökonomisch sinnvoll erscheinen lassen - möglich ist es ja bereits.

Davon wiederum sehen sich vor allem die großen Copyright-Inhaber bedroht, d.h. also die Musik- und Filmverlage. Der Metallica-Fall hat hierbei von einem wichtigem Umstand abgelenkt. Die großen Labels und ihre Interessensverbände argumentieren damit, dass es darum gehen würde, dass die Musiker für ihre Leistungen Geld bekommen. Metallica stellen eine Ausnahme dar, insofern sie selbst ihre Musik über eigene Labels vertreiben. Doch im Grunde sind nicht die Interessen der Musiker bedroht, die auf die eine oder andere Art immer zu ihrem Tantiemengroschen kommen werden, sondern jene, die im großen Maßstab Copyrights horten und hoffen, damit über Jahrzehnte Geld zu verdienen - die großen Musikverlage. Ihrem Lobbying ist es zu "verdanken", dass die Copyright-Gesetzgebung in den letzten Jahrzehnten immer restriktiver wurde. Technologie bedroht nun diese Imperien, die geistiges Eigentum wie nie versiegende Goldminen behandeln.

Musiker wie Dr. Dre sind fehlgeleitet, wenn sie Napster als ihren Feind betrachten. Selbst wenn das Unternehmen Napster in den Konkurs geklagt werden sollte, werden andere Softwares ähnliche Möglichkeiten anbieten. Die Industrie wird sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass diese Entwicklung durch Klagen und noch schärfere Gesetze nicht aufzuhalten sein wird. Mittelfristig werden sich die Spielregeln im Informationszeitalter in dieser Hinsicht ändern.

Der prominenteste Musiker, der das am besten zu verstanden haben scheint, ist Chuck D von Public Enemy. Und es gibt Anlass zur Hoffnung, dass auch einigen Politikern, die bisher nur der Lobby der Großindustrie zuzuhören schienen, langsam ein Licht aufgeht. Am 24.Mai wird Chuck D im Rahmen einer öffentlichen Anhörung für einen Kongressausschuss für Kleinunternehmen seine Meinung über MP3, Musikdistribution und Napster kundtun. Dabei wird er die These vertreten, dass Napster den Künstlern und kleinen Labels nicht schadet, sondern im Gegenteil neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und wieder etwas mehr Chancengleichheit gegenüber der kartellhaft agierenden Mafia der Großlabels eröffnet.

Dr. Dre war Mitbegründer und Produzent der legendären Westküsten-Badboys "Niggers With Attitude", N.W.A., die unter anderem den Hit "Fuck the Police" produzierten. Als Produzent und mit seiner Solokarriere hat Dr. Dre seither weiterhin Erfolge am laufenden Band gefeiert. Dr. Dres Beats sind meist langsam und schleppend, von jazzig-groovenden Samples begleitet und Lyrics voller Gangsta-Attitude. Jemand sollte Dr.Dre erklären, dass ein so kreativer Musiker wie er von Napster nichts zu befürchten hat, sondern dass ihm solche Technologien mehr Selbstbestimmung geben könnten. Vielleicht würde der Breakbeat-Doktor seine "Attitude" in der Angelegenheit ja noch einmal überlegen.