Drei exzellente Weißweine unter fünf Euro
Unsere Nachfrage verbessert die Welt - Teil 1
Dass guter Wein teuer ist, gilt nicht nur unter Kanzlerkandidaten als selbstverständlich. In gehobenen Kreisen kredenzt man deshalb noch immer bevorzugt angebliche Spitzengewächse wie Barolo, Chablis und Haut-Médoc. Bei Rotwein allerdings hat sich die Chance in den letzten Jahren erhöht, in Supermärkten einen passablen Tropfen um die fünf Euro zu bekommen. Ganz anders mit Weißwein: Das ohnehin viel geringere Sortiment an Weißwein im Handel wird dominiert von badischen Kopfwehtropfen, Kellergeistern und Phantasieweinen wie "Graf Karoly". Österreicher und Italiener stellen ihre schlechtesten Veltliner und Pinot Grigios dazu. Hochprozentige Chardonnays aus Südafrika und Chile mit zugesetztem Eichenfasston, spanische Industrieweine von Freixenet - es scheint, als wollte Hersteller und Händler dafür sorgen, dass kein Weißwein mehr getrunken wird. Doch inmitten des Desasters gibt es Perlen - drei werden hier vorgestellt.
Ist guter Wein individuelle Geschmackssache?
In Deutschland wird seit Jahrzehnten behauptet, guter Wein sei eine Frage des individuellen Geschmacks. Das stimmt natürlich, schützt aber auch vor dem Ruf nach Qualität. Es reicht zur Klärung der Qualitätsfrage bisher in der Regel, Weinen vom Winzeraufsichtskollektiv die DLG-Medaillen in Gold, Silber und Bronze umzuhängen und "Qualitätswein" auf das Etikett zu schreiben.
Noch immer wird völlig lieblicher Wein mit hohem Zuckergehalt als "trocken" vermarktet. Noch immer wird etwa "Badischer Wein" als Marke beworben, als ob jede Flasche Wein empfehlenswert wäre oder einem gemeinsamen Qualitätsanspruch genügte. So bieten die badischen Weinvermarkter eine Suchmaschine, in die man "Weißwein" eingeben und dann prämierte Weißweine finden kann. Was auch immer man eingibt, fast immer erscheinen Spät- und Auslesen, Kabinettsweine, Eiswein und "Barrique"-Ausbau - Produkte, die sich selbst als Premiumprodukte mit höherem Preis verstehen.
Die Philosophie hinter dieser Auswahl: Kleine Mengen ergeben konzentrierte, daher höhere Qualität. Der Tischwein hat nach wie vor kein Standing. Dabei gibt es kein größeres Kompliment für einen Wein, dass man ihn nicht nur zu Tante Käthes 80sten Geburtstag, sondern täglich zu Pasta, Quarkbrot und Thaicurry trinken kann. Und dass man ihn kistenweise an Freunde und Kollegen verschenken kann, ohne dass die Flaschen im Keller enden, wo sie beim nächsten Umzug vernichtet werden.
Dass die Frage nach einem guten, täglichen Tischwein eine rein individuelle Geschmacksfrage ist, stimmt bereits deshalb nicht, weil an den täglichen Weinkonsum mit Rücksicht auf die eigene Gesundheit wie die der Familie eine Reihe von Anforderungen gestellt ist.
Gesucht: Leicht, mit wenig Alkohol, mineralisch, säurearm, nicht dominant, zuckerfrei, bezahlbar
Die Erwartungen an den täglichen, weißen Tischwein ähneln denen an eine eierlegende Wollmilchsau. Spricht man mit Fachleuten, versichern einem diese, dass sich mehrere der Ansprüche gegenseitig ausschließen.
Es ist kein Geheimnis, dass Alkohol als Geschmacksverstärker eingesetzt wird. Wenn also ein Weißwein mit niedrigem Alkoholgehalt produziert werden soll, stellt das hohe Anforderungen an Boden, Traube, Lese, Verarbeitung und Gärung. Deren Erfüllung wiederum widerspricht dem Ziel, einen täglich bezahlbaren Vin de table zu liefern.
Fangen wir mit dem Pinot Grigio aus Valdadige an. Zur venetische Weinbauregion Valdadige zählen auch der Valpolicella, der Bardolino, der Soave und der seit neuem hippe Lugana. Venetien, das darf man ruhig sagen, steht für mittelmäßig bis minderwertigen Massenwein für den Export. Der Weinkonsum der Azzurri geht kontinuierlich zurück - um 22 Prozent in der letzten Dekade. Die Erklärung "Mehr Sorgen, weniger Wein" klingt allerdings nicht plausibel, denn Wein ist in Italien traditionell ein für jedermann verfügbares Lebensmittel. Millionen Familien erhalten noch von befreundeten Winzern Weine zu einem Euro den Liter. Wie auch in Frankreich, dem Mutterland des Weines, sorgen eher strenge Alkoholkontrollen und ein deutsches Arbeitsleben dafür, dass für die "Ombra", wie man einen 0,1 Liter-Miniwein in der Osteria vielerorts nennt, schlichtweg keine Zeit mehr ist.
Der bei Norma erhältliche Pinot Grigio kostet ganze 2 Euro 79. Er entpuppt sich als hervorragender Tropfen: unaufdringlich, mit wenig Säure, also sodbrennfeindlich, leicht und ohne dominante Nebennoten. Ein idealer Tischwein. Als Trinktemperatur wird zwar 9 bis 11 Grad empfohlen, aber bei 6 Grad wird die Freude nicht geringer.
Der Colombard Ugni Blanc von der riesigen Domaine Uby in der Gascogne verblüfft durch seine Ähnlichkeit zu erstklassigen Sancerres: Eine stark mineralische Note sorgt für steinige Trockenheit. Der Ugni Blanc heißt in Italien Trebbiano. Hier wird er mit der seltenen Rebsorte Colombard gemischt. Wenig Säure und kaum Zucker lassen den Uby fließen wie kaltes Quellwasser. Kritiker bemerken in ihm "Noten von Citrus und exotischen Früchten". Dass die Flasche nur 4,50 Euro kostet, sorgt für die Abnahme von ganzen Paletten. Manche Händler verlangen 24 Flaschen Mindestabnahme.
Der dick auf dem Etikett prangende Slogan "des iss unser Volkswein" könnte direkt von Rainer Brüderle stammen, erfunden während einer "Tanzkarte" an die Weinkönigin in 76835 Hainfeld/Weinstrasse. Die Trauben des Müller-Thurgau mit dem verheißenden, fast immer gelogenen Zusatz "trocken" stammen aus kontrolliertem ökologischem Anbau. Wer die ersten Ergebnisse mit Ökoweinen in den 90er Jahren durchlitten hat, könnte auch dies als Drohung interpretierten. Aber der Pfälzer entpuppt sich als Sensation: Fast frei von Säure und Zucker, mit nur 11 Prozent Alkoholgehalt entfaltet er die Geschmacksbreite steiniger Böden. Seine zartgrüne Farbe zeigt, dass hier in jeder Hinsicht reiner Wein eingeschenkt wurde und zeugt von niedrigem Schwefeleinsatz.
Dass dieser Müller-Thurgau mit jedem Pouilly-Fumé, Spitzenriesling und großen österreichischen Veltlinern mithalten kann, zeigt, dass deutsche Winzer in der Lage sind, sich von Barrique-Gags, dem meist misslingenden Grau- und Weißburgunder, von Öchslegraden und Dödel-Prämierungen zu lösen. In einer Blindprobe könnte Franz Krahl wohl zwar nicht jeden französischen oder österreichischen, gewiss aber jeden italienischen Weißwein schlagen.
Wie kann ein Naturprodukt "wirtschaftlich" sein?
Wein ist ein Naturprodukt. Die Menge des erzeugten Weines hängt nicht von der Nachfrage in Supermarktketten, sondern von der zur Verfügung stehenden Rebfläche ab. Wenn ich meine Rebsorte ändern möchte, dauert es etwa drei Jahre, bis sich nennenswerte Erträge einstellen. Die Landwirtschaftskammer Baden-Württemberg hat eine Excel-Tabelle erarbeitet, die die Kosten incl. Vertrieb je Flasche 0,7 und 1,0 aufführt:
Dabei lernen wir, dass Wein in der 0,75 Liter Flasche 20 Prozent teurer ist, als Wein aus der Literflasche. Da in der Berechnung die Traubenkosten aber nur mit 50 Cent je Liter angesetzt werden, bedeutet dies: Der Traubenpreis könnte fast doppelt so hoch sein, wenn der Verbraucher die wirtschaftlich sinnvollere Literflasche akzeptierte.
Wie auch bei anderen Naturprodukten zeigt sich, dass der Endpreis des Produktes nur zu 5-20 Prozent den Rohstoff beinhaltet. Dabei hängt am Wein ja eine ganze Kulturlandschaft, der Wasserhaushalt, Biotope und Tourismus.
Der pfälzische Volkswein macht seinem Namen also in jeder Hinsicht alle Ehre, denn er hat nicht nur die ökologische Erzeugung umgesetzt, sondern mit der Literflasche auch die ökologischste Verpackungsart und damit die optimalsten Vertriebsbedingungen.
Dass solche Weine nicht in die Supermärkte gelangen, wird nur dann verständlich, wenn man EU-Subventionen, große Mindestmengen und Werbekostenzuschüsse berücksichtigt, die letztlich die Chancengleichheit im Regal zerstören.
Dass künftig mehr solche "Volksweine" angebaut, abgefüllt und vertrieben werden, kann durch uns als Weintrinker beeinflusst werden. Am Ende kann eben kein Händler und kein Produzent an der veränderten Nachfrage vorbeigehen. Dass der Genuss exzellenten Weines keine Frage der persönlichen Kaufkraft ist, beweisen diese drei Tropfen.