Dreigeteiltes Amerika

Der einstige Schmelztiegel spaltet sich demographisch

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Nach Außen gelten die USA gemeinhin als ein Land mit einer Seele, obwohl kein anderes Land der Erde einen vergleichbaren Schmelztiegel so unterschiedlicher Kulturen zu bieten hat. Näher betrachtet teilt sich jedoch in jüngster Zeit auch die USA in mehrere Regionen, die sich kulturell und demographisch eindeutig voneinander unterscheiden. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt der Demograph William H. Frey vom Population Studies Center der University of Michigan in seiner Studie, die vor kurzem im Journal of the American Planning Association erschienen ist.

Demnach waren die USA bereits zu den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2000 in "zwei Länder" mit ihren eigenen politischen Richtungen geteilt. Zur diesjährigen Neuwahl des Kongresses hätten es die Politiker und Wahlkämpfer jedoch bereits mit drei sehr unterschiedlichen und sehr schnell sich herausbildenden Teilen Amerikas zu tun. Frey hat hierfür die Volkszählungsdaten der USA aus dem Jahr 2000 ausgewertet. "Das Ergebnis steht im totalen Widerspruch zu unserer konventionellen Ansicht, wir seien ein einziger Schmelztiegel", so der Wissenschaftler, der am Institute for Social Research der Universität arbeitet, der weltweit größten Forschungseinrichtung auf diesem Gebiet.

Die drei Regionen der USA. Bild: University of Michigan

So bezeichnet Frey die erste Region als den "neuen Sonnengürtel" (New Sunbelt). Diese 13 schnell wachsenden Staaten liegen vorwiegend im Südosten und Westen der USA und bieten einem Fünftel der US-Bevölkerung ein zu Hause. Der neue Sonnengürtel sorgt für das größte Bevölkerungswachstum in den USA: 79 Prozent des Anstiegs in der weißen Bevölkerung kam aus dem New Sunbelt, was darauf zurückzuführen ist, dass hier die meisten intakten Familien leben, und zwar Schwarze und Weiße gleichermaßen, die der heranschleichenden Verstädterung entkommen wollen und es sich auch leisten können. Das führt in den Städten einiger Staaten wie Georgia, Colorado oder Nevada bereits zu beengten Wohnverhältnissen.

So sind beispielsweise nur 24 Prozent der in Nevada lebenden Menschen auch tatsächlich dort geboren. Als den typischen "Schmelztiegel" (Melting Pot) hingegen bezeichnet Frey nur noch neun Staaten, darunter Kalifornien, Florida, New York, Texas und Illinois, in denen die meisten Immigranten der USA leben. 74 Prozent der hispanischen und asiatischen Einwanderer leben in diesem Schmelztiegel, in dem selbst die Vororte multikulturell sind. Die weiße Bevölkerung hingegen hat in den 90er Jahren stark abgenommen. Besonders weiße Mittelschichtsfamilien sind in die Staaten des "New Sunbelt" gezogen. Daneben führt das politische Programm der Wiederzusammenführung von Immigrantenfamilien natürlich dazu, dass neue Immigranten an jene Orte ziehen, wo sie unter ihresgleichen sind und, so bemerkt Frey zufrieden, wo sie stabile Familienverhältnisse vorfinden und neue Familien gründen.

Die restlichen 28 Staaten, darunter zum Beispiel New England, Pennsylvania, Ohio oder Indiana und der obere mittlere Westen, bilden schließlich, wie Frey es nennt, "The Heartland", das Herzstück Amerikas. Im Vergleich zu den anderen beiden hatte diese überwiegend von Weißen bewohnte Region in den 90er Jahren ein wesentlich langsameres Bevölkerungswachstum. Diese Staaten haben zudem den größten Anteil an der älteren und der Arbeiterbevölkerung und sind politisch eher konservativ eingestellt.

"Was früher lokal die Einteilung Innenstadt, Vorort und Land mit seinen typischen Einwohnern war, hat sich jetzt auf ganze Regionen der USA ausgebreitet."

Wer früher im Vorort gewohnt hat, lebt jetzt im New Sunbelt. Den Grund hierfür sieht Frey in der zunehmenden Flexibilität der Amerikaner bei der Auswahl ihres Wohnortes und ihrer Arbeitsstätte. "Gerade für Amerikaner aus der Mittelschicht spielen sowohl Lebensstil wie auch wirtschaftliche Gründe eine große Rolle in der Überlegung, wo man sich niederlässt."

Aber auch die Einwanderungspolitik der amerikanischen Regierung, von einigen als Experiment kritisiert, spielt eine beachtliche Rolle bei der Regionalisierung der US-Bürger. Was jedoch durch die Konzentration aller urbanen Gruppierungen in einer Stadt Alltag ist, nämlich dass Menschen der unterschiedlichen Klassen und Kulturen aufeinander treffen, miteinander kommunizieren und arbeiten, ist bei dieser Entwicklung in die Breite nicht mehr in der Form wie bisher gegeben, bemängelt Frey. Die gesellschaftlichen Gruppen entfernen sich durch ihre unterschiedliche Demographie, Lebensstile und Wertevorstellungen immer mehr voneinander.

"Für die Politik muss es daher ein wichtiger Schritt sein, eine Brücke zwischen diesen neuen Regionen zu schaffen, die unterschiedliche Vorstellungen, aber immer noch die gleichen Aspirationen haben".

Noch schwieriger dürfte es jedoch für den nächsten Präsidenten werden, den Einwohnern aller Regionen mit ihren verschiedenen Einstellungen bei der Vorstellung seines Wahlprogramms gerecht zu werden und um deren Stimme zu werben.