Drogenkonsum von Städten lässt sich im Abwasser messen

Italienische Wissenschaftler haben eine Methode entwickelt, um den Konsum von Speed, Kokain, Heroin und Cannabis "fast in Echtzeit" zu messen, was sie in Mailand, Lugano und London gemacht haben

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Die Wissenschaftler vom Institut Mario Negre in Mailand haben schon vor zwei Jahren einen Aufsehen erregenden Fund gemacht, als sie das Wasser des Po analysierten und dabei herausfanden, dass die im Einzugsgebiet des Flusses lebenden Italiener offenbar sehr viel mehr Kokain zu sich nehmen, als man bislang angenommen hatte, nämlich täglich 4 Kilogramm. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studie des Nürnberger Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP). Danach fahren auch die Deutschen auf Koks ab, in Mannheim oder Köln anscheinend schlimmer als in Berlin.

Die Ergebnisse waren überraschend (Mal ganz unten, mal ganz oben, aber immer: Kokain). Fraglich ist allerdings die Meßmethode, bei der die Konzentration des mit dem Urin ausgeschiedenen Kokain-Abbauprodukts Benzoylecgonin im Wasser erfasst und daraus auf die eingenommene Kokain-Menge zurückgeschlossen wird. Eingearbeitet werden muss neben anderen Faktoren etwa auch, was durch Kläranlagen an Benzoyleconin bereits zerstört wurde.

Jetzt haben die italienischen Wissenschaftler eine neue Analyse vorgelegt und dabei das Abwasser auf Drogenrückstände untersucht, um deren Konzentration "nahezu in Echtzeit" zu messen. Wie sie in ihrem Bericht schreiben, der in den Environmental Health Perspectives (EHP) erschienen ist, entnahmen sie Proben noch unbehandelten Abwassers aus großen Kläranlagen in Mailand, Lugano und London und untersuchten sie mittels Massenspektrometrie auf Rückstände von Kokain, Opiaten, Cannabis und Amphetaminen. Auch hier wurde wieder von den Rückständen der Drogen, die mit dem Urin ausgeschieden werden, auf den Drogenkonsum zurückgeschlossen.

Mit ihrem Verfahren könne man nun Muster und Trends im Konsum von verbotenen Drogen in Städten schnell als epidemiologische Echtzeit-Informationen feststellen. So lassen sich also nicht nur die beliebtesten Rauschzeitehn ausmachen, sondern auch die nationalen Scores für den Drogenkonsum in einzelnen Städten oder Gemeinden. Bislang werde der Drogenkonsum nur sehr ungenau mit Umfragen, Kriminalitätsstatistiken, medizinischen Informationen und den Mengen von beschlagnahmten Drogen statistisch geschätzt. Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass die Commission of Narcotic Drugs of the United States (UNODC) erst letztes Jahr neuen Methoden gefordert hatte, um schnell Änderungen im Drogenkonsum feststellen zu können.

In den drei Städten wurden Abwasserproben jeweils alle 20 Minuten über sieben aufeinander folgende Tage hinweg genommen und auf die Drogenrückstände von Opiaten, Cannabis, Kokain und Amphetaminen analysiert, die im Wasser stabil bleiben. In die Berechnung geht ein, wie viel des in die Nase geschnupften Kokains der im Urin gefundenen Menge des Abbauprodukts Benzoylecgonin entspricht. Bei Morphin wurde das Morphium berücksichtigt, das therapeutisch in den Ländern verschrieben wird. Die gemessenen Konzentrationen wurden auf die tägliche Abwassermenge hochgerechnet, die in die Kläranlage fließt und mit der Zahl der Menschen abgeglichen, deren Abwasser in diese gelangt. Daraus ergibt sich dann die Menge an konsumierten Drogen pro Tag pro 1000 Menschen. Schwierig ost dabei freilich, dass die Drogen in unterschiedlicher Qualität und Reinheit auf den Markt kommen und auf verschiedene Weise konsumiert werden. Den aus den Analysen berechneten Drogendosierungen liegen Durchschnittswerte zugrunde, die von der UNODC angenommen werden. Eine Dosis Kokain, das über die Nase geschnupft wird, entspricht 100 mg, eine Dosis Amphetamine (oral) 30 mg, Ecstasy (oral) 100 mg, Heroin (intravenös) 30 mg, Cannabis (geraucht) 125 mg.

Aus den Ergebnissen könnte man womöglich eine Art kollektives Psychogramm, basierend auf dem unterschiedlichen Drogenkonsum erstellen. In Mailand wird viel weniger Hasch (3000mg pro Tag pro 1000 Personen) geraucht als in Lugano (6500mg) und vor allem in London (7500mg), dafür wird hier aber ein wenig mehr (900mg) gekokst als in den beiden anderen Städten. Auch bei Heroin liegt London leicht vorne – vor allem bei den Amphetaminen. Im Gegensatz zu Lugano und Mailand, wo man anscheinend ohne Amphetamine auskommt, ist die britische Metropole auf Speed. Metamphetamine werden in Mailand ein wenig mehr konsumiert, in Lugano zieht man hingegen eher Ecstasy vor. Relativ deutlich ist, dass am Samstag der Konsum von Kokain, Amphetaminen, Metamphetaminen und Ecstasy (besonders hoch am Sonntag) gegenüber den restlichen Tagen der Woche ansteigt, Cannabis und Heroin werden hingegen kontinuierlich genommen

Auch hier zeigt sich wieder, dass die offiziellen Statistiken nicht genau sind. Danach würden in Mailand 10.000 Menschen Kokain konsumieren. Wenn diese Geringverbraucher wären, würden sie etwa 16 Gramm pro Person und Jahr konsumieren. Damit käme man auf 160 kg pro Jahr. Nach den Abwassermessungen ergibt sich, das pro Jahr 330 kg, also mehr als die doppelte Menge, verbraucht werden. Daher gibt es entweder viel mehr leichte Konsumenten oder mehr schwere Kokainverbraucher.

Ihren Ansatz der "Abwasserepidemiologie" für den Drogenkonsum bieten die Wissenschaftler nicht nur an, um den kollektiven Drogenkonsum einer Stadt zu messen, sondern sie denken, man könne damit auch existierende oder entstehende "Hot-Spots" entdecken, nachprüfen, ob Gegenmaßnahmen oder Präventivkonzepte wirken, oder auch anhand des empirisch gemessenen Drogenkonsums abschätzen, wie viel Geld im Drogenhandel umgesetzt wird.