Dschihadist im Anzug
Dschihadisten-Führer Abu Muhammad al-Golani verkleidet sich als Staatsmann und setzt auf ein besseres Verhältnis zu den USA unter Präsident Biden
Ob es ein feiner Zwirn ist, mit dem sich Abu Muhammad al-Golani bei seinem Fototermin mit der US-Journalisten-Legende Martin Smith gekleidet hat, ist noch nicht raus. Aber der Stoff erregt als Bilder-Story großes Aufsehen. Al-Golani sehe neben dem Journalisten aus wie "ein Hipster", schreibt ein Syrien-Beobachter.
Das wäre weiter nicht bemerkenswert, wenn al-Golani nur ein "Rebell" wäre, ein schickes Pop-Etikett, mit man Mitglieder der bewaffneten syrischen Opposition lange Zeit geadelt hat und dies manchmal noch immer tut. Rebellen im Anzug sind nichts Neues. Aber ein al-Qaida-Karrierist, auf den eine Belohnung von 10 Millionen US-Dollar ausgesetzt ist, schon.
Al-Golani ist Chef der Miliz Hayat Tahrir asch-Scham und er war schon Chef der al-Nusra-Front. Diese war ganz eng über seinen Treueeid und dem anderer Mitglieder mit der al-Qaida-Führung verbunden. Der IS und die al-Nusra-Front sind Brudermilizen. Im syrischen Krieg wurden sie zu Konkurrenten, im Geist bleiben sie Brüder.
Salonfähiger Verhandlungspartner?
Seit dem offiziellen Bruch mit der al-Qaida-Führung 2016, von dem gesagt wird, dass er nach außen vor allem PR-taktische Bedeutung hatte und intern für mehr Unabhängigkeit der Führung sorgte, tauften sich die Dschihadisten von al-Nusra zweimal um, ohne an der ideologischen Ausrichtung - die Schaffung eines Scharia-Staates in Syrien - etwas Wesentliches zu ändern.
Aus der al-Nusra-Front wurde Dschabhat Fatah asch-Scham (englisch transkribiert: Jabhat Fatah al-Sham) und später, Ende Januar 2017, Hayat Tahrir asch-Scham (HTS). Viele Beobachter hielten schon die Unbennung für bloßes Theater: "Dieselben Gotteskrieger in neuem Gewand."
Dazu passt auch der neue Auftritt. Schon lange hatte al-Golani vor, zu einer salonfähigen Person zu werden: einer, der zu den Verhandlungstischen eingeladen wird. Dass man an ihm nicht vorbekommt, wenn es um die Zukunft von Idlib geht, gilt schon jetzt, allerdings noch unter der Prämisse, dass in Idlib nach wie vor eine militärische Lösung gesucht wird.
Vor einigen Jahren, als Russland und die Türkei, ihre erste Abmachung zu Idlib getroffen hatten, stand es schlecht um die Zukunft von Golanis HTS-Miliz. Die Aussichten waren so, dass die syrische Armee mit der Unterstützung Russlands das Gouvernement zurückerobern würden. Dazu kam es nicht, dabei spielte nicht zuletzt eine Rolle, dass eine solche Operation mit dem Risiko einhergeht, dass es im dichtbesiedelten Idlib zu einer katastrophal großen Zahl an Opfern unter der Zivilbevölkerung kommt.
Türkische Fittiche
Es gab auch noch andere Gründe für das Ausbleiben der Offensive, zu nennen wäre auch das Interesse der "Garantiemacht der Opposition". Das ist die Funktion, die man der Türkei in den Astana-Abmachungen gegeben hat. Wie das komplizierte Verhältnis zwischen der türkischen Führung, dem Geheimdienst MIT und Hayat Tahrir asch-Scham (HTS) genau aussieht, ist alles andere als glasklar.
Offensichtlich ist, dass sich beide Seiten arrangiert haben. Als Minimalfeststellung gilt bis auf Weiteres, dass die HTS von der Türkei keine existenzielle Bedrohung zu fürchten hat. Darüber hinaus gibt es auch Kooperationen.
Das hat dazu geführt, dass die Türkei zur Schutzmacht der Verhältnisse in Idlib geworden ist, da sie für ihre Absichten in Syrien opportun sind. Dank dieser Fittiche konnte al-Golani die Herrschaft von HTS ausbauen und konsolidieren. Im Sommer 2020 kursierten in den Syrien-Nachrichtenzirkel Bilder von ihm, wie er unbehelligt unter freiem Tageshimmel in Idlib herumspazierte und Besuchern die Welt nach seiner Maßgabe erklärte (Al-Golani: Idlibs Chef-Dschihadist unbehelligt auf PR-Tour).
Übungen als Staatsmann
Al-Golani übte sich da schon als Staatsmann, der er sein will. Er sei vor allem Syrer wie seine Kämpfer von der Miliz auch - die HTS und er seien eine legitime Opposition zu Baschar al-Assad, so lautet seine Botschaft, die er seit Jahren in immer neuen Variationen säuselt, geigt, herausposaunt und trommelt. Für die radikaleren Dschihadisten-Gruppierungen in Idlib setzte es Säuberungsmaßnahmen der HTS, die regionalen Medien berichteten.
Sie hatten sich unterzuordnen, die moderateren Milizen hatten diesen Schritt längst hinter sich. Die HTS beherrscht die Regierung in Idlib, die Gerichte, die Verwaltung, die Zuteilung von Brot und anderen Lebensmitteln. Ohne die HTS funktioniert nichts in Idlib, das ist die andere Botschaft, auf die al-Golani seine Zukunft baut.
Dass er bei seinen Auftritten unter dem freien Himmel unbehelligt blieb, stellte auch Fragen danach, wie sich die USA zur HTS stellt. Immerhin hatte es immer wieder US-Luftangriffe auf Personen in Idlib gegeben, die amerikanischen Geheimdienste als al-Qaida-Kader identifiziert hatten. Die spektakulärste gezielte Tötung mit US-Drohnen Ende Oktober 2019 kostete dem früheren Kalifen und IS-Chef al-Bagdadi das Leben.
Auch er lebte in Idlib, was noch einmal die Beziehungen zwischen dem IS und HTS ins Licht rückte. Dass al-Golani ein al-Qaida-Abkömmling ist, stellen nicht einmal mehr französische Experten in Frage, die lange Zeit gegenüber zu simplen Zuschreibungen auf Unterscheidungen im Relief der Dschihadisten, Salafisten und Islamisten beharrten.
Die Taktik
Wieso also wurde und wird al-Golani verschont? Auch das gehört zur Frage, warum er nun wie aus dem Ei gepellt für ein Interview mit dem PBS-Journalisten posiert. Den letzteren Teil der Frage stellten sich auch die Dschihadisten. Bei ihnen spielt die Kleiderordnung, wie man weiß, eine wichtige, wenn es um Frauen geht, sogar eine mörderische Rolle.
Al-Golanis Auftritt wurde in diesen Kreisen auch besprochen und es gab eine kleinere Kontroverse, aber mit Blick auf die ihm unterliegende Taktik überwiegend für gut gehalten. Das öffentliche Pressestatement von HTS begründete die Notwendigkeit der Verkleidung so:
Wir müssen die Isolation durchbrechen und unsere Situation mit allen verfügbaren legitimen Mitteln vermitteln, mit dem Ziel, dies den Menschen der Region und der Welt auf eine Weise mitzuteilen, die dazu beiträgt, unsere Interessen zu erreichen und diejenigen wegzustoßen, die unsere gesegnete Revolution verderben.
Hayat Tahrir asch-Sham
Die Publikation zitiert einen Journalisten, der auf syrische Dschihadisten spezialisiert ist, mit dem bezeichnenden Satz, dass "al-Golani eine politische Partei etablieren will, die eine Rolle im künftigen Syrien spielen soll".
Hoffnung auf politische Lösung
Das macht nun die Frage danach, wie die Taktik von den neuen US-Administration bewertet wird, noch interessanter. Wie sieht die neue Syrien-Politik aus? Welche Rolle wird al-Golani darin spielen?
Die für die ausgeschriebene Belohnung verantwortliche Abteilung des US-Außenministeriums stellte in Arabisch auf Twitter klar, dass der Anzug nichts ändere: Golani werde immer ein Terrorist bleiben.
Aus einem al-Monitor-Bericht von Ende Dezember geht hervor, dass HTS die Beziehungen zu den USA als zentrale Angelegenheit begreift. Dass man von der Terror-Liste gestrichen werden will, habe oberste Priorität. Die vorhergehende Administration unter Donald Trump weigerte sich, diesen Schritt zu machen, bzw. stellte Forderungen nach einer Auflösung, die HTS nicht erfüllen wollte.
Wie die Politik unter Präsident Biden in Sachen Idlib aussieht, darüber gibt es noch keine Hinweise. Spekulationen zufolge sieht es danach aus, als ob der "Trend" nun mehr für eine politische Lösung spreche.