Dunkler Ritter mit ADHS

"Batman: Arkham City" erhebt die Gothic Novel seines Vorgängers zur politischen Fabel und Carpenter-Referenz - und droht dabei zeitwillig, an der Reizüberflutung der Sequel-Logik zu scheitern.

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Schon die Ausgangssituation ist reizvoll: Gotham City, dieser New-York-Platzhalter und ewige Moloch des Superheldengenres, scheint endgültig zur Dystopie geworden zu sein. Ganz wie in “Escape from New York” ist hier die Sicherheitssituation - selbst trotz der tatkräftigen Gegenwehr Batmans - unbeherrschbar geworden. Und die Folge daraus ist ebenfalls direkt aus John Carpenters Film entnommen - ein ganzer Stadtteil wurde eingemauert, in ein Gefängnis (das titelgebende “Arkham City”) umfunktioniert, und der Schlüssel quasi weggeworfen.

Die Leitung über dieses Outdoor-Gefängnis hat Hugo Strange, der sich dem Bürgermeister Gothams als Berater angedient hat und in einer seiner ersten Amtshandlungen Batman in Gestalt von Bruce Wayne dort einsperren lässt. Der Superheld gerät somit zur einzigen aktiven Ordnungsmacht in dem Areal, die fortan auch Unschuldige - weitere politische Gefangene Stranges - beschützen muss. Dabei fasst eine Lautsprecherstimme die Situation in Arkham City so zusammen: “Prisoners of Arkham City: You have given up your basic human rights because of your crimes against society. Gotham is a safer place without you. You are responsible for your own survival.”

So gelingt es Arkham City tatsächlich - wenn auch mit der erzählerischen Naivität eines Superhelden-Fortsetzungscomics -, das Spannungsverhältnis zwischen autoritärem Sicherheitsstreben und Freiheits- und Menschenrechten fortzuschreiben, das bereits in der Figur seines Titelcharakters unübersehbar angelegt ist. Dieser Radikalität des Ausgangsszenarios begegnet aber gerade Batman auch explizit: Immer wieder wird er im Lauf des Spiels den Tod eines Gegenspielers aktiv verhindern und sich im Verlauf der Handlung mit einer Reihe der eigentlichen Feinde wenigstens kurzfristig alliieren, um der systemischen Bedrohung durch das Konzept Arkham City zu begegnen.

Die Stadt als Hauptdarsteller

Wo sich also der Vorgänger “Arkham Asylum” sowohl ästhetisch als auch inhaltlich als Nachfahre der amerikanischen Gothic-Novel positionierte, ist dieser Bezug aus “Arkham City” beinahe vollständig verschwunden. Zwar ist die Architektur des - fünfmal größeren - Areals natürlich immer noch geprägt von den Gargylen und gothischen Strukturen, welche auch die Verfilmungen Tim Burtons prägten, doch bereits dieses Stadtbild ist schmerzhaft aufgebrochen: Immer wieder überstrahlen grellbunte Leuchtreklamen die mystischen Schatten und wenig schmucke Industriebauten wie beispielsweise ein heruntergekommenes Stahlwerk befördern als Schauplätze der Haupthandlung die Geschichte um den “Dark Knight” jäh in ein postindustrielles Diesseits.

Bei all dieser Widersprüchlichkeit gelingt es aber ganz hervorragend, dieses Arkham City in eine organische Struktur zu kleiden. So stehen in diesem virtuellen Stadtbild zwar extreme architektonische Gegensätze Wand an Wand, lassen ihren Nachbarn aber nie zum Fremdkörper werden. Vielmehr erscheint Arkham City so als natürlich gewachsener Moloch, dessen Gebäude über Jahrhunderte umgebaut, zweckentfremdet, verschandelt und eben nur manchmal tatsächlich abgerissen und ersetzt wurden. Arkham City selbst ist - ganz wie in den Titeln der “Grand Theft Auto”-Reihe - eigentlicher Protagonist des Spiels und geht über reinen Schauplatzcharakter weit hinaus. Dafür sprechen auch die unglaublich zahlreichen Reize, welche die Entwickler für ihre Erkundung gesetzt haben: 440 Riddler-Trophäen finden sich über das Spielareal verteilt, erst die Entdeckung aller ermöglicht einen Besuch beim Riddler selbst. Und auch andere bekannte Gesichter aus dem Batman-Universum - z.B. Bane, Mad Hatter, Hush oder Azrael - verbergen sich in den rund ein Dutzend optionalen Nebenmissionen, die auch nach Beendigung der Haupthandlung absolviert werden können.

Cliffhanger per Batclaw

Es ist aber andererseits wohl auch diese Open-World-Struktur, welche “Arkham City” im Vergleich mit seinem Vorgänger in ein schlechtes Licht rückt. Gab es zwar auch im “Arkham Asylum” bereits kürzere offene Passagen, in der es dem Spieler überlassen blieb, sich weiter der Handlung zu widmen, oder stattdessen auf die Jagd nach Riddler-Trophäen zu gehen, so verlief dieses Spiel doch ansonsten strikt linear, was der Erzählung stark zu Gute kam. Die Offenheit Arkham Citys dagegen hat sogar den unerwünschten Nebeneffekt, die erzählerischen Schwächen des Spiels schonungslos offenzulegen.

Folgt man nämlich zielstrebig der Haupthandlung und ignoriert die zahlreichen - und prominent auf dem Bildschirm platzierten - Einladungen zu diversen Nebenmissionen, so gerät der Plot schnell zur überbordenden Nummernrevue. Das unüberschaubare Netz, mit dem das gute Dutzend Superschurken untereinander verknüpft ist, lässt die eigentlich flott erzählte Geschichte eher an die penetrant-peinliche Cliffhanger-Struktur der Serie “24” erinnern, als an das düstere Stimmungsgemälde des Vorgängers.

Auch der MacGuffin einer Vergiftung, für die es ein Gegenmittel zu finden gilt, entpuppt sich schnell als unzureichender Handlungsmotor, der mehrmals mit billigen Übergangslösungen mühsam am Laufen gehalten wird, um den Helden und Spieler zum nächsten Set-Piece zu schicken. Die Versuchung, den zahlreichen Ablenkungen zu erliegen, die das Spiel bietet, ist dabei groß: Einerseits üben die abwechslungsreichen und hübsch designten Riddler-Rätsel zeitweise mehr Reiz als der eigentliche Spielfortschritt aus. Andererseits stehen an allen Ecken Trupps mehr oder weniger starker Gegner bereit, die dazu einladen, das nach wie vor großartige Kampfsystem, das verfeinert aus dem Vorgänger übernommen wurde, auszukosten, anstatt weiter der etwas beliebig und hanebüchen wirkenden Haupthandlung zu folgen.

Wettrüsten auf dem Gamepad

Die Verfeinerung dieses Kampfsystems ist es auch, welche die bereits im “Asylum” spannenden Challenge-Modi weiter aufwertet. Zu den üblichen Gegnern sind noch einige Varianten hinzugekommen, denen Batman mit anderen Schlag-, Sprung- und Counter-Kombinationen begegnen muss. Und auch das Bewegungsarsenal des Helden hält diesem Wettrüsten mit seinen Gegnern - die jetzt auch schon mal in Kampfrüstung, mit Schilden oder Schwertern bewaffnet auf den dunklen Ritter losgehen - stand: Eine ganze Reihe von neuen “Takedowns”, also abschließenden KO-Schlägen, ist zum ohnehin schon beträchtlichen Repertoire hinzugekommen und verleiht dem herrlichen Kampfsystem zusätzliche Komplexität. Der Eindruck, man könne Batman auch mit stumpfem Button-Mashing meistern, ist zwar immer noch nicht ganz ausgemerzt, doch die anspruchsvollen Gegner dürften diese Strategie zum Glücksspiel werden lassen.

Das Wettrüsten zwischen Batman und seinen Gegnern manifestiert sich außerdem in einem stark erweiterten Gadget-Arsenal des Titelcharakters, das nach und nach freigespielt werden muss: Utensilien wie eine Eisgranate, welche Gegner kurzfristig einfriert, Rauchbomben, die eine Flucht vor Schusswaffen ermöglichen, oder eine aus der Ferne abschießbare Stromladung dienen dabei nicht nur der Komplexität der Riddler-Herausforderungen, sondern sind allesamt auch im Kampf einsetzbar. Auch wenn diese Explosion der spielmechanischen Möglichkeiten in der Logik eines Sequels zwar nachvollziehbar erscheinen, so ist die schiere Menge der Kombination aus Gadgets und Takedown-Angriffen in “Arkham City” aber wohl zu viel des Guten: Sie alle müssen im Kampf über eine Kombination mehrerer Tasten abgerufen werden, werden aber gleichzeitig im eigentlichen Spiel viel zu sporadisch benötigt, als dass ihr Einsatz ohne sehr viel Übung instinktiv geschehen könnte. Für die Challenge-Modi mögen sie ungeahnte Highscore-Sphären eröffnen, im Rahmen des Kernspiels aber wirken sie eher verwirrend und überfrachten das ohnehin schon prall besetzte Steuerungskonzept.

Der Spieler als Comic-Held

All dies ist aber Jammern auf höchstem Niveau. Trotz seiner formelhaften Erzählung und der unkonzentrierten Reizüberflutung durch das etwas unglücklich strukturierte Open-World-Spielfeld ist “Batman: Arkham City” eines der interessantesten Spiele des Jahres auf Xbox360, PS3 und demnächst auch auf dem PC. Die Bosskämpfe, deren mangelnder Einfallsreichtum noch zum Hauptkritikpunkt am Vorgänger gereichte, sind jetzt aufwendig designte Episoden, die allesamt spielmechanische Besonderheiten aufweisen, ohne dabei auf billige Quicktime-Events zurückzugreifen. Auch die etwas überkomplexe Mechanik des Kampfsystems ist als Folge der Fortsetzungslogik und vor allem in Hinblick auf die Möglichkeiten der Challenge-Modi mehr als entschuldbar. Als Wächter über Arkham City wird der Spieler einmal mehr selbst tatsächlich zum Comic-Held - die Identifikation und Nähe zur Spielfigur ist wie schon im Vorgänger unerreicht. Und die kleine Aufmerksamkeitsdefizitstörung, unter der der dunkle Ritter dabei leidet? Die verzeiht man ihm angesichts der wunderschönen Spielwelt nur allzu gerne.

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