E-Petition gegen Fraktionszwang nicht freigegeben
Ein Vorstoß des Bloggers Felix von Leitner wurde mit Verweis auf die Gewissensfreiheit von Mandatsträgern nicht zur Diskussion und Mitzeichnung im Internet zugelassen
Moderne Demokratien haben seit dem 18. Jahrhundert viel aus einer relativ kurzen Periode des antiken Athen übernommen, die vom Ende des 5. Jahrhunderts bis zum Jahr 322 vor Christus dauerte. Trotzdem gibt es aus dieser Zeit noch viel Interessantes zu entdecken - zum Beispiel die graphe paranomon, die den antiken Athenern eine gewisse Gewähr dafür bot, dass ihre politischen Entscheidungsträger nicht allzu forsch verfassungswidrige Beschlüsse fassten.
Durch diese Klagemöglichkeit konnte nicht nur ein verfassungswidriger Beschluss für ungültig erklärt, sondern auch diejenigen, die ihn eingebracht hatten, mit Strafe bedroht werden. Deren Maß war zwar nicht festgeschrieben - wurde jedoch der gleiche Initiator dreimal eines solchen Vergehens überführt, dann verlor er in jedem Fall seine politischen Rechte. Sehr viele deutsche Politiker müssten also im antiken Athen nicht nur aufgrund der dort ebenfalls möglichen Klage wegen "Täuschung des Volkes" um ihre Karriere bangen.
Vor gut zwei Wochen reichte der Blogger Felix von Leitner eine Petition ein, die eine Art moderner graphe paranomon propagierte: Auch in seinem "Three-Strikes-Vorschlag" sollten Abgeordnete, die drei Mal für einen grundgesetzwidrigen Gesetzentwurf stimmen, mit dem Verlust ihres Mandats bestraft werden.
Damit große Parteien nicht ihre Abgeordneten für verfassungswidrige Vorlagen verheizen, sie dann in Rente schicken und die Sitze mit Listennachrückern besetzen, sollten solcherart freigewordene Plätze bis zur nächsten Wahl unbesetzt bleiben. Außerdem hätten aus dem Parlament entfernte Abgeordnete dem Petitionsentwurf nach keine Pensionsansprüche mehr und das passive Wahlrecht nicht nur für die laufende, sondern auch für die darauf folgende Legislaturperiode verwirkt.
Allerdings weigert sich der Petitionsausschuss, die Eingabe ins Internet einzustellen. Als Grund dafür wird unter anderem die in Artikel 38 des Grundgesetzes geregelte Gewissensfreiheit von Abgeordneten angeführt - was Leitner für "zynisch" hält, da Abgeordnete in der Praxis nach Vorgaben ihrer Fraktion abstimmen und es ihm, wie er in den Begründungen zu seiner Petition ausführt, vor allem um eine Abschaffung dieses faktischen Fraktionszwangs geht.
Bisher kann einem Mandatsträger wenig passieren, wenn er für eine verfassungswidrige Vorlage stimmt - aber viel, wenn er sich nicht an den Fraktionszwang hält. Das gilt vor allem für Listen-, aber auch für viele Direktkandidaten. Nur wenige Ausnahmen wie Christian Ströbele oder Peter Gauweiler, die ihren Parteien wahrscheinlich die Wahlkreise kosten würden, wenn sie als Unabhängige anträten, leisten sich deshalb den Luxus eines gelegentlichen Abweichens vom Fraktionszwang.
Der Three-Strikes-Vorschlag würde diese Anreizsituation umkehren und dafür sorgen, dass die negativen finanziellen Auswirkungen der Zustimmung zu einem eigentlich als verfassungswidrig erkannten Gesetz gravierender wären als diejenigen, welche dem Abgeordneten bei einem Verstoß gegen den Fraktionszwang von Seiten seiner Partei drohen.
Als Nebeneffekt einer Verwirklichung seiner Idee erhofft sich der Berliner Blogger, dass man Gesetze wesentlich eindeutiger formuliert. Und zwar so, "dass sie klar verfassungsgemäß sind" und nicht, wie Bundesjustizministerin Zypries es in einer berühmt gewordenen Äußerung umschrieb, "auf Kante genäht". Eine dritte wünschenswerte Konsequenz, die sich aus der Three-Strikes-Regel ergeben könnte, wäre, dass über potentiell verfassungsfeindliche Gesetze häufiger namentlich abgestimmt wird.
Ein viertes Ergebnis könnte sein, dass Abgeordnete weniger leichtfertig über Gesetzesvorlagen abstimmen, über deren Inhalte sie so gut wie keine Kenntnisse haben. Und eine entsprechend ausführlichere Beschäftigung würde fünftens möglicherweise dazu führen, dass man sich stärker auf wirklich notwendige Gesetze beschränkt. Sechstens hofft das Chaos-Computer-Club-Mitglied schließlich, dass eine vermehrte Beschäftigung der Abgeordneten mit Gesetzesvorlagen zu offeneren Diskussionen und in der Folge zu mehr Transparenz führen würde - auch für die Bürger.