EU-Beitritt Ukraine: Wenn Freunde zu Konkurrenten werden

Wolodymyr Selenskyj und Andrzej Duda. Archivfoto (2019): president.gov.ua / CC BY 4.0

Polen macht sich für einen Nato-Beitritt des Nachbarlandes stark. Bei der EU-Mitgliedschaft drängt sich Rivalität in den Vordergrund. Wer will schon auf Milliarden verzichten?

Die EU-Kommissionspräsidentin lobte kürzlich die Reformanstrengungen der Ukraine. Selbst im Krieg würden dort Reformen gemacht, die "undenkbar gewesen wären für die Jahre, die wir bisher erlebt haben mit der Ukraine".

"Diese Sehnsucht nach der Europäischen Union"

Für Ursula von der Leyen steht fest, die Ukraine, die Westbalkan-Staaten oder die Republik Moldau müssen "bei uns in der Europäischen Union sein". Es sei nicht vorstellbar, dass diese Staaten in 20 oder 30 Jahren unter russischem, chinesischen oder türkischen Einfluss stehen sollen.

Es ist wirklich bewegend und berührend, das zu sehen, diese Sehnsucht nach der Europäischen Union.

Ursula von der Leyen

Diese Gefühle werden nicht unbedingt bei allen EU-Mitgliedsländern geteilt. Wie die Financial Times in einem aktuellen Lagebericht herausstellt, zählt auch Polen, das stark für die militärische Unterstützung der Ukraine einsetzt, zu den Ländern, die, wenn es um den EU-Beitritt der Ukraine geht, eine weniger engagierte Position einnehmen.

Eigene Interessen

Die "Freunde der Ukraine haben ihre eigenen Interessen", beobachtet die britische Finanzzeitung. Als Indiz dafür erwähnt sie Restriktionen, die Bulgarien, Ungarn (das allerdings nicht als unbedingter Freund zu bezeichnen ist), Polen und die Slowakei, im April gegen landwirtschaftliche Importe aus der Ukraine erlassen haben – zum Missfallen der Agrarminister und Diplomaten anderer EU-Länder, die mehr Solidarität einforderten.

Mit den Restriktionen beabsichtigen die genannten Länder dem Überangebot auf ihren lokalen Märkten etwas entgegenzusetzen.

Der billigere Preis ukrainischer Landwirtschaftsprodukte spielt dabei eine Rolle und die Produktionsbedingungen. Der ukrainischen Landwirtschaft würden beim Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft Vorteile gewährt, die EU-Mitgliedsländer aufgrund der strengen Regulierungen in eine nachteilige Position bringen, wurde als Kritik laut.

Kommt die Ukraine in die EU, so würden sich die Nachteile noch deutlich vergrößern, sorgen sich Mitgliedsländer.

Mittel aus Brüssel

"Welche Länder werden freiwillig auf Milliarden von Euro verzichten, um Platz für die Ukraine zu schaffen?", fragt die Finanzzeitung und stellt ihr gegenüber, dass gegenwärtig 18 der 27 EU-Mitglieder mehr Mittel aus Brüssel erhalten, als sie einzahlen.

Im Falle eines EU-Beitritts würde die Ukraine etwa ein Fünftel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU beanspruchen, rechnet die FT vor.

Sie hätte daher einen enormen Anspruch auf die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und der regionalen Hilfsprogramme der EU verfügbaren Mittel. Diese machen zusammen etwa 65 Prozent des EU-Haushalts aus.

Financial Times

Im Bericht der Zeitung geht es nicht nur um den speziellen Fall des EU-Beitritts der Ukraine, sondern generell um die Aussichten für eine EU-Erweiterung.

Beschrieben werden "wachsende Schmerzen der EU-Erweiterung", obwohl die russische Militärinvasion der Ukraine, wie öfter betont wird, doch eine neue Solidarität innerhalb der Europäischen Union ausgelöst habe. Diese stößt allerdings an ihre Grenzen, wenn es, wie im genannten Fall der Ukraine, ans Eingemachte der nationalen Wirtschaftsinteressen geht.

Keinerlei Zeitangaben

Die Euphorie über einen möglichst schnellen EU-Beitritt der Ukraine hatte im Februar anlässlich des Besuchs von Ursula von der Leyen in Kiew dieses Jahres einen kurzen Höhenflug, wurde aber schon damals von kritischen Überprüfungen des Möglichen begleitet: "Ein schneller Beitritt der Ukraine (...) nicht im Interesse der EU".

In ihrem jüngsten Lob der Reformanstrengungen machte Ursula von der Leyen keinerlei Zeitangaben. Es gilt noch immer, was schon vor einem Jahr, als die Ukraine offiziell Beitrittskandidat wurde, gesagt wurde: "Diese Frage kann derzeit niemand beantworten."

Die Nato: Licht im Tunnel

Beim gestrigen Gipfeltreffen des Weimarer Dreiecks in Paris, wo Bundeskanzler Olaf Scholz und der polnische Staatschef Andrzej Duda den französischen Präsidenten Emmanuel Macron trafen, plädierte Duda für einen Nato-Beitritt der Ukraine.

"Die Mitgliedschaft ist das Licht im Tunnel, das die Ukrainer sehen wollen", zitiert ihn die Taz.