EU-Ertüchtigungsfonds: Tödliches Gerät außer Kontrolle

Seite 2: Kritik an den Waffenlieferungen

Ganz ähnlich äußert sich inzwischen der Politikprofessor Johannes Varwick, der zuvor lange in seiner bis 2021 ausgeübten Funktion als Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik als Russland-Hardliner in Erscheinung trat:

Ich bin gegen Waffenlieferungen, nicht aus pazifistischen Erwägungen oder weil ich der Meinung wäre, dass Probleme nie militärisch gelöst werden können. […] Ich habe der ukrainischen Regierung keine Ratschläge zu geben. Wenn die ukrainische Regierung kämpfen will, dann ist das ihr gutes Recht, und ich kritisiere das nicht. Ich kritisiere aber, dass die deutsche Regierung und andere Regierungen die Ukraine ein Stück weit verheizen. Von russischer Seite sind die Eskalationsmöglichkeiten noch nicht annähernd ausgeschöpft. Ich befürchte, dass wir in den nächsten Wochen erleben werden, dass dieser Krieg massiv eskaliert. Bislang fährt Russland gewissermaßen mit angezogener Handbremse. Es kann diese Handbremse aber noch lösen. Der Blutzoll der Ukrainer wird dann ungleich höher sein. Waffenlieferungen werden daran nichts ändern.

Johannes Varwick

Von linker Seite ist es etwa Winfried Wolf, der Herausgeber der Zeitung gegen den Krieg, der darauf hinweist, dass Waffenlieferungen keineswegs vollkommen alternativlos sind und schon allein aus diesem Grund abzulehnen seien:

Es ist nach meinem politischen Verständnis in der heutigen Gesellschaft grundsätzlich fragwürdig, anderen Menschen zu empfehlen oder diese gar zu bedrängen, den Weg des Heldentods zu beschreiten. […] Naheliegender wäre es, […] auf einen weiteren militärischen Widerstand zu verzichten und zu einem landesweiten passiven Widerstand gegen die Besatzungsmacht mit dem Ziel der Zersetzung des Besatzungsregimes und einer demokratischen Wende in Russland selbst aufzufordern.:.Winfried Wolf

Auf einen weiteren Aspekt machte Freitag-Herausgeber Jakob Augstein aufmerksam – wenn auch nicht offiziell, wird die EU über diese Waffenlieferungen faktisch zur Kriegspartei:

Der Westen verlängert mit seinen Waffenlieferungen den Krieg. Sobald unsere Waffen dort zum Einsatz kommen, sind es nicht mehr nur Putins Tote, es sind dann auch unsere.

Jakob Augstein

Dieses Agieren mit einer Atommacht ist nicht nur ein Würfelspiel mit der Katastrophe, damit beraubt sich die EU auch der Möglichkeit, als neutrale Akteurin vermittelnd zu einer Beilegung des Krieges beizutragen. Doch genau daran scheint ohnehin keinerlei Interesse zu bestehen – denn im Gegensatz zu den rasch auf den Weg gebrachten Waffenlieferungen, war es um einem anderen Bereich auffällig still. Auch hierzu der in dieser Frage überaus kritische Insiderdienst Bruxelles2 (übersetzt mit deepl.com):

Bedauerlich ist […], dass die Europäische Union […] paradoxerweise nicht das tut, was ihre Stärke ist: die Diplomatie. Es wurde kein Sonderbeauftragter ernannt. Es wurde kein Team von Unterhändlern gebildet. Kein Minister oder Staatschef wurde eindeutig benannt. Und vor allem wurde keine klare Position zur Beilegung des Konflikts formuliert.

Bruxelles2

Jedenfalls lässt sich festhalten, dass es gute Gründe gibt, sich sowohl grundsätzlich als auch im Fall der Ukraine gegen Waffenlieferungen in Krisen- oder gar Kriegsgebiete auszusprechen. Die Erfahrung lehrt zudem, dass in der buchstäblichen Hitze des Gefechts und in der durchaus nachvollziehbaren Absicht, einer angegriffenen Bevölkerung helfen zu wollen, solche grundsätzlichen Bedenken schnell über Bord geworfen werden. Und genau deshalb und für solche Situationen sind Rüstungsexportrichtlinien besonders hilfreich, um derlei Schnellschüssen im Idealfall einen Riegel vorzuschieben.