EU-Ertüchtigungsfonds: Tödliches Gerät außer Kontrolle

Bild: European Parliament/CC BY 2.0

Finanzierungsinstrument "Friedensfazilität" für den Krieg: EU-Waffenlieferungen an die Ukraine und das Ende der Rüstungsexportrichtlinien

Nach langen Verhandlungen beschloss die EU am 22. März 2021 die Regelungen für eine Europäische Friedensfazilität (EFF) – trotz des wohlklingenden Namens warnten schon damals kritische Stimmen vor diesem Etikettenschwindel.

Die Europäische Union werde über das neue Finanzierungsinstrument Rüstungsexporte anheizen und Konflikte verschärfen - und das auch noch abseits jeglicher ernst zu nehmenden parlamentarischen Kontrolle, wurde kritisiert. Im Februar und März 2022 wurde nun beschlossen, insgesamt eine Milliarde Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine zu bewilligen.

Abseits einer völlig richtigen Kritik an der Sache selbst wird hierdurch auch so ganz nebenbei noch ein zentraler Pfeiler der bisherigen europäischen Rüstungsexportrichtlinien zum Einsturz gebracht, an deren Einhaltung die Fazilität – eigentlich – gebunden ist.

Der zentrale europäische Topf zur Finanzierung der "Ertüchtigung"

Die Friedensfazilität hat zwei Aufgaben: Einmal sollen über sie künftig ein Teil der EU-Militäreinsätze bezahlt werden; und zum anderen ist sie nun der zentrale europäische Topf zur Finanzierung der "Ertüchtigung" genannten Maßnahmen zur Aufrüstung "befreundeter" Kräfte im Ausland.

Bereits 2015 mahnte ein gemeinsames Papier der damaligen EU-Außenbeauftragten und der EU-Kommission Handlungsbedarf an, weil das primäre bisherige Ertüchtigungsinstrument, die "Afrikanische Friedensfazilität", sowohl was ihre geografische Reichweite (Afrika) betrifft als auch ihren finanziellen Umfang (2,7 Milliarden Euro zwischen 2004 und 2020) wie auch die Spannbreite der unterstützbaren Güter (nur nicht-tödliches Gerät), zu beschränkt sei.

Im Mai 2018 unterbreitete die EU-Kommission dann ihren ersten offiziellen Vorschlag für die Einrichtung einer "Europäischen Friedensfazilität", der in veränderter Form zu einem Beschluss des Rates am 22. März 2021 führte und mit seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der EU zwei Tage darauf in Kraft trat.

Der Haken im EU-Vertrag

Die Sache mit der EU-Ertüchtigung hat allerdings einen kleinen Haken: Artikel 41(2) des EU-Vertrages verbietet es, "Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen" aus dem EU-Haushalt zu bestreiten. Aus diesem Grund wurde die EFF im Ratsbeschluss vom 22. März 2021 als "haushaltsexterner Posten außerhalb des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR)" konzipiert.

Durch diesen rechtlichen Klimmzug ist das Instrument nicht Teil des EU-Haushaltes und fällt damit nicht unter die Beschränkungen aus Artikel 41(2). Stattdessen wird es mit Mitteln der Einzelstaaten befüllt, obwohl darüber auf EU-Ebene beschlossene Maßnahmen finanziert werden.

Bislang sind hierfür zwischen 2021 und 2027 insgesamt 5,7 Milliarden Euro vorgesehen, nachdem man aber jetzt schon weit mehr als vorgesehen verausgabt hat, dürfte hier mit einiger Sicherheit noch einmal Geld nachgeschossen werden. In Deutschland werden diese Gelder übrigens im Allgemeinen Haushalt (Einzelplan 60) und nicht im Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) verbucht.

Mit der Friedensfazilität wurden die bisherigen räumlichen Beschränkungen für militärische Unterstützungsmaßnahmen ad acta gelegt. Sie werde "einen globalen geografischen Anwendungsbereich haben", heißt es im EU-Ratsbeschluss.

Kontrollen?

Im Vorfeld war dabei vor allem lange gestritten worden, ob über die Fazilität auch letale Waffen – oder Rüstungsgüter, "die dazu konzipiert sind, tödliche Gewalt anzuwenden", wie es im EU-EFF-Ratsbeschluss heißt – finanziert werden können.

Auch dies ist der Fall, allerdings wurde im Ratsbeschluss natürlich versichert, mit dieser Befugnis überaus sorgsam umzugehen. Es bedürfe einer "Konfliktsensitivitäts- und Kontextanalyse" sowie einer "Risiko- und Folgenabschätzung".

Ferner sei für "geeignete Sicherungsmaßnahmen, Kontrollen, abmildernde und flankierende Elemente sowie Vorkehrungen für die Überwachung und Bewertung" zu sorgen. Kann schon sein, dass das auch geschieht, nur leider gibt es niemanden, der dazu befugt wäre, diese Ankündigungen auch verlässlich kontrollieren zu können.

Denn bei haushaltsexternen Instrumenten hat das Europäische Parlament faktisch überhaupt nichts zu melden, wie zum Beispiel Martina Fischer von "Brot für die Welt" kritisiert:

Das EU-Parlament war nämlich weder in die Vorbereitungen zur EPF eingebunden, noch wird es bei der Programmgestaltung und Auswahl von Partnern für Militärkooperationen konsultiert. […] Die Entscheidung, mit welchen Ländern und Regierungen kooperiert wird, liegt bei den Regierungen der Mitgliedstaaten, also beim Rat, und wird allenfalls vom Außenbeauftragten und vom Auswärtigen Dienst mitberaten.

Eine Kontrolle durch das EU-Parlament ist nicht vorgesehen. Auch wenn die geplanten Militärhilfen nicht aus dem regulären Haushalt bezahlt werden, so handelt es sich doch gleichwohl um das Geld von EU-Steuerzahler*innen. Aufgrund der Konstruktion der ‚Peace Facility‘ wird nun weder vom EU-Parlament noch von den nationalen Parlamenten in den EU-Staaten kontrolliert, wofür dieses Geld im Einzelnen verwandt wird.

Martina Fischer, Brot für die Welt

Waffen für die Ukraine

Im Dezember 2021 meldete der Rat, er habe beschlossen, Maßnahmen in Georgien (12,75 Mio. Euro), Moldawien (sieben Mio. Euro) und in Mali (24 Mio. Euro) über die Friedensfazilität zu finanzieren.

Schon im Juli waren 130 Mio. Euro zur Unterstützung der Afrikanischen Union und im November zehn Mio. Euro für Bosnien und Herzegowina sowie 40 Mio. Euro für Mosambik bewilligt worden. Während mit diesen Geldern wohl – mit Details ist die EU hier sehr sparsam – keine letalen Güter finanziert wurden, änderte sich dies dann mit den Beschlüssen zur Ukraine.

Eine erste Unterstützungsmaßnahme im Umfang von 31 Mio. Euro wurde bereits Anfang Dezember 2021 beschlossen – allerdings war damals auch hier, soweit ersichtlich, kein letales Gerät dabei. Damals hieß es noch:

Insbesondere werden militärmedizinische Einheiten, einschließlich Feldlazarette, sowie Einheiten in den Bereichen Technik, Mobilität und Logistik finanziert und es wird Unterstützung in Cyberfragen geleistet.

Rat der EU

Der Dammbruch erfolgte nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022. Drei Tage später wurde gemeldet:

Die Ukraine soll nach einem Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell für 500 Millionen Euro Waffen und Ausrüstung aus der Europäischen Union bekommen. […] Das Geld soll aus der sogenannten ‚Europäischen Friedensfazilität‘ kommen. […] 450 Millionen Euro sind nach dem Vorschlag für Waffen vorgesehen, 50 Millionen Euro für andere Ausrüstung.

Business Insider

Am 23. März 2022 legte die EU noch einmal mit weiteren 500 Mio. Euro nach und erklärte zum Bestimmungszweck dieser Gelder:

Mit den vereinbarten Unterstützungsmaßnahmen wird die Bereitstellung sowohl von Ausrüstung und Hilfsgütern wie persönlicher Schutzausrüstung, Erste-Hilfe-Kits und Treibstoff als auch von militärischer Ausrüstung und Plattformen, mit denen zu Verteidigungszwecken tödliche Gewalt angewendet werden kann, finanziert.

Rat der EU

Bereits am 21. März 2022 berichtete der eng mit dem Brüsseler Apparat vernetzte Insiderdienst Bruxelles2 von einem ukrainischen Ersuchen, nachdem über die Friedensfazilität folgende Güter finanziert werden sollen (übersetzt mit deepl.com):

(1) Waffen und automatische Waffen mit einem Kaliber kleiner oder gleich 12,7 mm oder Glattrohrwaffen mit einem Kaliber kleiner als 20 mm (ML 1); (2) Kanonen größeren Kalibers, Haubitzen, Kanonen, Mörser, Panzerabwehrwaffen, Raketenwerfer usw. (ML2); (3) Munition für diese Ausrüstung (ML 3); (4) Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsysteme (ML 4).

Bruxelles2

An den bilateralen und europäischen Waffenlieferungen an die Ukraine wurde von sehr unterschiedlichen Seiten Kritik geübt. Der soeben angesprochene Insiderdienst Bruxelles2 argumentierte bereits Anfang März 2022, Waffenlieferungen würden den Krieg in die Länge ziehen und lediglich den Blutzoll für die Menschen in der Ukraine nach oben treiben.