EU-Impfstoff: Sputnik V rückt näher
Das vorher geschmähte russische Vektorvirenserum hat jetzt eine Wirksamkeitsziffer - und von der Leyen und Merkel haben Probleme
Einer in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten Phase-3-Studie nach weist der vom russischen Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelte Covid-19-Impfstoff Sputnik V eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent gegen einen "symptomatischen Verlauf" der Krankheit auf. Grundlage der im Peer-Review-Verfahren international geprüften Studie sind die Daten von etwa 15.000 geimpften und weiteren etwa 5.000 nicht geimpften volljährigen Probanden aus der russischen Hauptstadt Moskau. Von den Nichtgeimpften hatten sich drei Wochen nach Testbeginn 1,3 Prozent aus dieser Gruppe mit bestätigten Covid-19-Symptomen gemeldet, von den Geimpften nur 0,1 Prozent.
Antikörper, T-Zellen und Nebenwirkungen
Ob sich nach der Impfung Antikörper und T-Zellen gebildet hatten, untersuchte man in einer 342 Personen umfassenden Stichprobe. Bei 336 war das der Fall, bei sechs nicht. Solche Nichtreaktionen kommen auch bei Impfungen gegen andere Erreger vor. Bei den Pockenimpfungen galt früher als Indiz dafür, dass sich an der Impfstelle keine Narbe bildete.
Die vier Toten, die es während der Tests unter den Probanden gab, verteilten sich mit drei aus der Gruppe der Geimpften und einem aus der Gruppe der Nichtgeimpften exakt nach deren Größe. Eine Person aus der Gruppe der Geimpften starb an Komplikationen nach einem Knochenbruch, die beiden anderen hatten sich bereits vor der Impfung mit Sars-CoV-2 infiziert. Ein Teil der Geimpften klagte zudem über Nebenwirkungen wie Grippegefühle, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Schmerzen an der Impfstelle.
In Dessau produziert?
Bereits kurz vor der Veröffentlichung der Studie hatten sich deutsche Politiker und Leitmedien positiver über Sputnik V geäußert als im letzten Jahr: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte beispielsweise der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), im Falle einer Zulassung durch die EU-Behörde EMA stehe er einem Einsatz in Deutschland offen gegenüber. Dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) nach könnte Sputnik V in so einem Fall im Dessauer Werk des Pharmaunternehmens IDT Biologika hergestellt werden, das - für manche Beobachter überraschend - am Montag einen Vertreter zu Kanzlerin Merkels "Impfgipfel" zuschalten durfte (vgl. Neue Versprechungen nach dem Impfgipfel).
Bei diesem Wandel im Tonfall könnte auch eine Rolle spielen, dass es mit der Impfstoffbeschaffung in der EU - und speziell in Deutschland - nicht so klappt, wie Politik und Leitmedien vorher suggeriert hatten. Auch, wenn die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im ZDF behauptet, man sei "gut vorangekommen" und Kanzlerin Merkel in der ARD meint, es sei "im Großen und Ganzen nichts schief gelaufen".
Von der Leyen schiebt die Schuld nach unten
Dass die von Merkel gestern in "neue Freiheiten" umbenannten Grundrechte vieler Bürger trotzdem auf absehbare Zeit weiter mehr oder weniger stark eingeschränkt bleiben, liegt unter anderem daran, dass von der Leyen bei den inzwischen zugelassenen Herstellern sehr viel später bestellte als beispielsweise der britische Premierminister Boris Johnson. Das führte dazu, dass der britisch-schwedische Hersteller AstraZeneca nun statt der von der EU-Kommission in Aussicht gestellten 80 Millionen Dosen vorerst nur 40 Millionen liefert.
Als das bekannt wurde, behauptete die Kommissionspräsidentin, AstraZeneca würde die Verträge verletzen. Eine Behauptung, die sich als unwahr erwies, nachdem das Unternehmen diese Verträge öffentlich machte. Den Versuch, Grenzkontrollen zwischen der Republik Irland und Nordirland einzurichten, um die Lieferung von in den Niederlanden und Belgien hergestelltem AstraZeneca-Impfstoff an den Erstbesteller UK zu verhindern, musste die EU-Kommission inzwischen abbrechen. Von der Leyen schiebt die Verantwortung für diesen Vorstoß ihrem Stellvertreter Valdis Dombrovskis zu, obwohl der Lette den Informationen Spiegels nach ein expliziter "Gegner von Handelsbeschränkungen" ist und "intern früh Bedenken" äußerte. Tatsächlich soll die Entscheidung dem Nachrichtenmagazin zufolge "in von der Leyens engstem Beraterzirkel" gefallen sein.
Was wird aus CureVac?
Das Warten auf 40 Millionen Dosen AstraZeneca-Impfstoff, der mit gewisser Wahrscheinlichkeit eher bedingt vor den Mutationen aus England, Südafrika und Brasilien schützt und Geimpfte nicht daran hindert, das Virus an andere Menschen weiterzugeben, wäre nicht so problematisch, wenn dafür alles andere, was die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung planten, funktionieren würde. Aber auch die medizinisch erfolgreicheren Hersteller BioNTech/Pfizer und Moderna liefern der EU weniger und den Ländern zuerst, deren Staatsführungen früher bei ihnen bestellten.
Die EU-Kommission orderte stattdessen große Mengen Serum beim französischen Konzern Sanofi (dessen Entwicklung so wenig wirksam, dass er Ende letzten Jahres komplett neu damit beginnen musste) und beim deutschen Hersteller CureVac, dessen Serum "in der Entwicklung zurückliegt" (wie es die Tageszeitung Die Welt formuliert) und an dem sich die deutsche Bundesregierung mit 300 Millionen Euro beteiligte. Auf andere Beobachter machen die bisherigen CureVac-Tests einen noch weniger vielversprechenden Eindruck, weshalb spekuliert wird, ob das Unternehmen seine Entwicklung nicht ebenfalls neu anfangen oder ganz aufgeben muss.
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