EU-Kommission überprüft Milliarden-Entschädigung für Kohlekonzerne
In Brüssel gibt es Zweifel, ob Ausgleichszahlungen für "entgangene Gewinne, die sehr weit in die Zukunft reichen" das laut EU-Beihilferecht "erforderliche Mindestmaß" darstellen
Die Frage, wie eigentlich die Summe der geplanten Entschädigungszahlungen an Energiekonzerne für die Stilllegung von Braunkohlekraftwerken in Deutschland zustande kommt, hat Rechtsanwältin Roda Verheyen schon vor mehreren Monaten aufgeworfen: "4,35 Milliarden Euro für was?" überschrieb sie im September einen Gastbeitrag für das Portal der Umweltorganisation Greenpeace.
Nun will auch die EU-Kommission dieser Frage nachgehen und hat am Dienstag eine "eingehende Untersuchung" eingeleitet. Der Ausgleich für den "vorzeitigen Ausstieg" aus der Braunkohleverstromung müsse auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt werden, erklärte die für Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsidentin Margrethe Vestager. "Die uns bisher zur Verfügung stehenden Informationen erlauben es uns nicht, dies mit Sicherheit zu bestätigen. Daher leiten wir dieses Prüfverfahren ein."
2,6 Milliarden für RWE, 1,75 Milliarden für LEAG
2,6 Milliarden Euro sind als Ausgleich für mutmaßlich entgangene Gewinne und Tagebaufolgekosten des RWE-Konzerns im Rheinland und 1,75 Milliarden für ebenso mutmaßlich entgangene Gewinne und Folgekosten des LEAG-Konzerns in der Lausitz vorgesehen.
Unabhängig vom EU-Recht fragen sich das Umweltbewegte sowieso, worauf sich derartige Ansprüche gründen, da die Bundesregierung den menschengemachten Klimawandel nicht leugnet - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beschrieb ihn sogar als "Menschheitsherausforderung" - und somit auch die Schädlichkeit der Kohleverbrennung für die Ökosysteme als Fakt anerkennt. So gesehen findet ohnehin kein "vorzeitiger" Ausstieg statt, denn der muss nach bisheriger Planung erst 2038 abgeschlossen sein.
Abgesehen davon könnte aber der "öffentlich-rechtliche Vertrag zur Reduzierung und Beendigung der Braunkohleverstromung in Deutschland", der die Entschädigungssumme festschreibt und dem der Bundestag am 13. Januar mehrheitlich zugestimmt hat, auch nach EU-Recht unzulässig sein.
Die EU-Kommission hat nun jedenfalls "Zweifel, ob die Entschädigung der Betreiber für entgangene Gewinne, die sehr weit in die Zukunft reichen, als erforderliches Mindestmaß betrachtet werden kann" - und somit auch "an der Vereinbarkeit der Maßnahme mit den EU‑Beihilfevorschriften".
"Beschließen die Abgeordneten eigentlich einen nach dem EU-Beihilferecht zulässigen Vertrag?", hatte Rechtsanwältin Verheyen bereits vor einem knappen halben Jahr gefragt, als die Beratung über den Entwurf im Wirtschaftsausschuss des Bundestags bevorstand.
Warnung vor Verlust der Gestaltungshoheit
Sachverständige bewerteten den Vertragsentwurf kontrovers. Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm argumentierte bei der Anhörung sowohl mit den von der Bundesregierung eingegangen Klimaschutzverpflichtungen als auch demokratietheoretisch gegen den Vertrag: Der Bundestag gebe im Fall einer Zustimmung seine energie- und klimapolitische Gestaltungshoheit auf und begebe sich in die Abhängigkeit von Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf der Emission von klimaschädlichen Treibhausgasen basiere.
Letztendlich stimmten die Parteien der "schwarz-roten" Regierungskoalition dafür und die Linksfraktion, Bündnis 90/Die Grünen sowie die FDP-Fraktion dagegen - die Abgeordneten der AfD enthielten sich seinerzeit.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.