EU-Kommission verkündet das Ende der Krise

Seite 4: Und wie sieht es mit der besseren Verfassung der öffentlichen Haushalte aus?

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Tatsächlich ist es blanker Unsinn, wenn Brüssel nun erklärt, dass sich die öffentlichen Haushalte in einer besseren Verfassung befinden sollen. Allein die Tatsache, dass gegen Spanien, Italien und Großbritannien weiter Verfahren in Brüssel wegen zu hoher Defizite laufen, also sogar gegen drei große EU-Länder, führt diese Behauptung ad absurdum. Das große Spanien hatte 2016 mit 4,7% sogar das höchste Defizit im Euroraum auszuweisen. Und das wird sich vermutlich 2017 auch nicht ändern. 2007 hatte das Land dagegen einen Haushaltsüberschuss von 2%.

In diesem Land ist - wie in praktisch allen anderen - die Staatsverschuldung mit den Bankenrettungen explodiert. Sie hat sich in Spanien von knapp 400 Milliarden Euro im Jahr 2007 nun fast verdreifacht. War es eines der wenigen Länder, das 2007 noch das Stabilitätskriterium einhalten konnte, wonach die Staatsverschuldung nicht höher als 60% der Wirtschaftsleistung sein soll, ist auch das natürlich längst Geschichte. Inzwischen liegt sie mit 100% in einem brenzligen Bereich, da auch das Defizit weiter hoch ist. Und die 60%-Marke schafft heute kein einziges großes Euroland mehr. Deutschlands Staatsschulden liegen bei 67% der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Spanien dient - neben Griechenland - als besonders negatives Beispiel, da es durch die geplatzte Immobilienblase besonders stark in den Abgrund gerissen wurde, die sich nun andernorts wie in Deutschland aufbläst. In Griechenland haben sich die Schulden in der Krise im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von einem schon hohen Niveau 2007 von 99% auf inzwischen fast 180% fast verdoppelt. Schaut man sich die Lage im gesamten Euroraum an, dann ist die Verschuldung ebenfalls stark gestiegen. 2007 lag sie bei 65% und nun ermittelt Eurostat 90%.

Allerdings muss hier angemerkt werden, dass die beiden Zahlen nicht wirklich vergleichbar sind. Inzwischen wurde die Frage des Defizits und Verschuldung aufgehübscht. Nun werden auch illegale Geschäfte eingerechnet. Defizitsenkendes Wachstum wird seit drei Jahren auch durch geschätzte Umsätze im Drogenhandel, Tabakschmuggel, Prostitution … geschaffen. Damit wird auch ein höheres Bruttoinlandsprodukt erzeugt, womit die Staatsverschuldungsquote niedriger ausfällt.

Man muss also mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn man angesichts der massiv gestiegenen Verschuldung davon spricht, dass die öffentlichen Haushalte besser aufgestellt seien. Inzwischen findet sich der Durchschnitt der EU auf dem Verschuldungsstand Griechenlands zum Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise. Würde die Europäische Zentralbank (EZB) durch Nullzinspolitik und massiven Aufkauf von Staatsanleihen nicht ganze Volkswirtschaften sponsern, wären die schnell pleite, weil sie sonst deutlich höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen bezahlen müssten. Die Defizite von Spanien, Frankreich oder Italien wären noch höher und die Verschuldung würde noch schneller steigen. Schon deshalb will die EZB diese Politik nicht aufgeben.

Allen voran wird hier vom italienischen EZB-Chef Mario Draghi eine Rettung Italiens über die Hintertür betrieben. Denn die Zeitbombe Italien mit seiner Bankenkrise, Wirtschaftskrise und politischen Dauerkrise tickt immer lauter. Das Land mit den weiter abstürzenden Banken liegt der Staatsverschuldung weiter auf dem zweiten Rang hinter Griechenland. Ende 2016 waren es im drittgrößten Euroland schon 133% der Wirtschaftsleistung und mehr als 2,2 Billionen Euro. Und eines ist klar. Stürzt Italien, stürzt auch der Euro. Aber auch im zweitgrößten Euroland Frankreich ist die Verschuldung schon auf 96% gestiegen und steigt angesichts des zu hohen Defizits stark weiter. Über der Marke von 100% liegen auch Portugal (130,4%), Zypern (107,8%) und Belgien (105,9%).

Die Angaben sollten reichen, um die Aussagen vom EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis einzuordnen, der erklärt: "Dank der entschlossenen politischen Reaktion auf die Krise erlebt die EU-Wirtschaft heute einen starken Aufwärtstrend und unsere Wirtschafts- und Währungsunion ist besser aufgestellt als zuvor." Er meint, dass auf diesen Fortschritten aufgebaut werden müsse, die Finanzunion vollendet und die Volkswirtschaften im Sinne einer stärkeren Konvergenz, Integration und Widerstandsfähigkeit reformiert werden müssten. Etwas vorsichtiger äußert sich dagegen der Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll. Pierre Moscovici meint nämlich, dass nicht alle Altlasten automatisch beseitigt wurden. Er sieht sogar, dass sich "das soziale und wirtschaftliche Gefälle in und zwischen den Mitgliedstaaten vergrößert hat".

Doch insgesamt wird ein Loblied auf die Reformen angestimmt. "Die EU hat den Finanzsektor reguliert und die wirtschaftspolitische Steuerung verbessert, neue und gemeinsame institutionelle und rechtliche Rahmen geschaffen, eine finanzielle 'Brandmauer' für das Euro-Währungsgebiet errichtet, in finanzielle Schieflage geratene Staaten unterstützt, die öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten verbessert, Strukturreformen durchgeführt und Investitionen gefördert, Jugendarbeitslosigkeit bekämpft, eine bessere Aufsicht für den Bankensektor etabliert, die Finanzinstitute in die Lage versetzt, besser auf künftige Herausforderungen zu reagieren und neue Vorkehrungen eingeführt, um Krisen besser steuern oder verhindern zu können."

Tatsächlich hat man einiges beschlossen, andere Fragen, wie die Finanzmarkttransaktionssteuer und weitere wichtige Elemente zur Regulierung der Finanzmärkte begraben. In die Regelungen zur Bankenabwicklung wurden so viele Hintertüren eingebaut, dass man sie bisher nur in einem Fall angewendet hat. Es gibt also fast überall nur Baustellen. Ob die Brandmauern im Notfall halten, darf bezweifelt werden.

Und wäre nicht schon die gesamte Erklärung bisher besser als Realsatire einzustufen, schafft man es in Brüssel sogar noch, eins obendrauf zu setzen. So als gäbe es keinen Brexit und keine Fliehkräfte und Zerfallserscheinungen, wie zum Beispiel in Spanien der eskalierende Konflikt mit Katalonien zeigt, behauptet man, "die Wirtschafts- und Währungsunion ist zwar heute stärker denn je".