EU-Kommission warnt Afrika vor billigen Getreidelieferungen aus Russland
Sie seien keine Wohltat, sondern schafften neue Abhängigkeiten, sagt EU-Kommissar Joseph Borrell. Gratis-Getreide sei eine Waffe. Was steckt hinter diesem Vorwurf?
Der Hungernde wird nach dem Brot greifen, egal, wer es ihm reicht. Er muss essen, um leben zu können – für moralische Erwägungen hat er wenig Sinn. Doch wie Reuters am Mittwoch berichtete, verlangt die Europäische Union genau das von den bedürftigen Staaten Afrikas.
Die Nachrichtenagentur zitiert ein Schreiben, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verbreitet hat. Darin warnt er die Entwicklungsländer vor russischen Getreidelieferungen. Moskau biete nur deshalb billiges Getreide an, heißt es in dem Papier, weil neue Abhängigkeiten geschaffen werden sollen.
Während die Welt mit Versorgungsengpässen und höheren Preisen zu kämpfen hat, tritt Russland nun an gefährdete Länder mit bilateralen Angeboten für Getreidelieferungen zu ermäßigten Preisen heran und gibt vor, ein Problem zu lösen, das es selbst verursacht hat.
Joseph Borrell
Dies sei eine zynische Politik, bei der Lebensmittel bewusst als Waffe eingesetzt würden. Zum einen werde die weltweite Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung verschärft, um Länder von sich abhängig zu machen.
Kampagne gegen russischen Einfluss in Afrika
Borrell spielt damit auf das Getreideabkommen an, das den sicheren Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer garantierte. Russland ließ es auslaufen, weil die Europäische Union ihren Teil des Abkommens nicht erfüllte.
Davon ist in dem Brief nichts zu lesen. Stattdessen ruft Borrell die Entwicklungsländer und die G20-Staaten auf, "mit einer klaren und einheitlichen Stimme" auf Moskau einzuwirken. Russland solle zum Abkommen zurückkehren und aufhören, die landwirtschaftliche Infrastruktur der Ukraine anzugreifen.
Der Brief ist Teil einer Informationskampagne der Europäischen Union, die sich gezielt an afrikanische Staaten richtet. Sie wurde zum Auftakt des EU-Afrika-Gipfels am 23. Juli gestartet, erfuhr Telepolis aus EU-Diplomatenkreisen. Russischen Versprechungen sollen vermeintliche Realitäten gegenübergestellt werden. Verantwortlich für die Kampagne ist die Abteilung Strategische Kommunikation (StratCom) in Borrells Behörde. Umgangssprachlich: die Propagandaabteilung.
Moskaus Offerte an afrikanische Länder
Ende Juli hatte der russische Präsident, Wladimir Putin, gegenüber afrikanischen Staats- und Regierungschefs erklärt, er wolle ihnen Zehntausende Tonnen Getreide schenken – den westlichen Sanktionen zum Trotz.
Wir sind bereit, Burkina Faso, Simbabwe, Mali, Somalia, die Zentralafrikanische Republik und Eritrea in den nächsten drei bis vier Monaten mit jeweils 25-50.000 Tonnen Getreide zu versorgen.
Wladimir Putin
Man sei auch bereit, die ukrainischen Getreideexporte nach Afrika sowohl auf kommerzieller als auch auf Hilfsbasis zu ersetzen. Damit wolle man der entscheidenden Rolle Moskaus für die weltweite Ernährungssicherheit gerecht werden.
Gleichzeitig erklärte Putin, dass mehr als 70 Prozent des ukrainischen Getreideexports im Rahmen des Abkommens in Länder mit überdurchschnittlichem Einkommen gingen. Die ärmsten Länder wie der Sudan seien dagegen "über den Tisch gezogen" worden und hätten weniger als drei Prozent der Lieferungen erhalten.
Russland wird nicht müde zu erklären, dass es zum Getreideabkommen zurückkehren wird, wenn auch die Europäische Union ihren Teil des Abkommens erfüllt. Mit ihren Sanktionen hatte die EU die russische Landwirtschaftsbank vom Swift-Zahlungssystem abgekoppelt.
Borrell betonte nun in seinem Brief, dass es keine westlichen Sanktionen gegen russische Lebensmittel- und Düngemittelexporte gebe.
Die EU hat keine Mühen gescheut, um sicherzustellen, dass die Sanktionen keine Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit von Drittländern haben. Es gibt keine Sanktionen gegen Russlands Exporte von Nahrungsmitteln und Düngemittel in Drittländer.
Joseph Borrell
Was die EU-Kommission verschweigt
Das hatte Russland auch nicht behauptet. Moskau hatte vielmehr immer wieder darauf hingewiesen, dass die Sanktionen gegen die russische Landwirtschaftsbank indirekt die Lieferungen treffen. Zahlungen, Logistik und Versicherungen würden behindert. Selbst kostenlose Lieferungen in Entwicklungsländer seien deshalb nicht möglich, erklärte Putin kürzlich.
In der EU-Kommission sind diese Folgen der EU-Sanktionen bekannt. Und gemeinsam mit den Vereinten Nationen wird bereits über eine mögliche Lösung diskutiert. Das, so betont der Reuters-Bericht, habe Borrell in seinem Brief an die Entwicklungsländer nicht erwähnt.
UN-Generalsekretär António Guterres erklärte im vergangenen Monat, seine Beamten hätten mit der EU-Kommission einen konkreten Vorschlag" ausgearbeitet, um die Probleme zu lösen. Eine neu zu gründende Tochter der russischen Landwirtschaftsbank soll Zugang zu Swift erhalten.
Im Prinzip ist der Vorschlag ein Trick, um die bestehenden Sanktionen der Europäischen Union zu umgehen. Aus Sicht der EU-Kommission scheint dies der einzig gangbare Weg zu sein, da ein Kompromiss der EU-Staaten zur Lockerung der Sanktionen gegen die russische Landwirtschaftsbank unwahrscheinlich ist.
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