EU-Marine-Mission vor Libyen: "Mindestens 100 Kilometer von der Küste entfernt"

LNA-Soldaten beim Drill ohne Waffen. Bild: Proganda/LNA

Für den deutschen Außenminister steht die Überwachung des Waffenembargos im Vordergrund, für den österreichischen Amtskollegen geht es um die "Sogwirkung" der EU-Schiffe auf Schlepper

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Die Sorge, dass die Konflikte in Libyen aus dem Ruder laufen, ist groß. Aus dem Land, das nur ein paar hundert Kilometer von Europa entfernt ist, soll kein "zweites Syrien" werden, heißt die Parole der EU-Spitzenpolitiker. Die EU will ihre geopolitische Kompetenz demonstrieren. Deutschland ist federführend mit dabei.

Auf der Berliner Konferenz zu Libyen wurden 55 Punkte beschlossen. Hervorgehoben wurde von der Bundesregierung, dass das UN-Waffenembargo respektiert und stärker kontrolliert werden soll, dass also keine weiteren Waffen mehr nach Libyen geliefert werden und Bedingungen für einen Waffenstillstand geschaffen werden.

Das nächste Ziel auf dem Fahrplan wäre dann die Entwaffnung von dazu ausgewählten Milizen, dem sollte dann ein politischer Prozess folgen, der die Institutionen stärkt und schließlich zu Wahlen und einer anerkannten Regierung folgt. Soweit die Theorie (Libyen-Konferenz: Mit deutscher Fleißarbeit zur Ordnung im Chaos?).

Die "Fachwelt", Experten, Beobachter und Kenner der libyschen Verhältnisse, zeigten sich vielfach skeptisch gegenüber der realpolitischen Relevanz der Konferenz. Schließlich kam auch einer UN-Vertreterin Zweifel, ob das Waffenembargo angesichts der libyschen Wirklichkeit nicht mehr als ein Witz ist. Der deutsche Außenminister Maas gab sich Kritikern, die das Berliner Konferenz-Papier als "windig" bezeichnen, gegenüber genervt. In der Anne-Will-Talkshow Ende Januar wurde er mit der Frage konfrontiert, wie man denn das Waffenembargo durchsetzen wolle.

Die Weichenstellung: Militärische Lösung oder politische Lösung

Im Kern geht es um eine Weichenstellung, die man tatsächlich aus Syrien kennt: Kann man die Situation so drehen, dass politische Lösungen anstelle der militärischen angestrebt - und auch befolgt werden?

Am gestrigen Montag wurde der nächste Schritt gemeldet. Die EU-Außenminister haben eine neue Marine-Mission beschlossen, um das Waffenembargo gegen Libyen zu kontrollieren, berichtete die Tagesschau. Zur Debatte stand, die Marinemission "Sophia" wiederzubeleben.

Das aber, so der Tagessschau-Bericht, erregte den Widerstand Österreichs, Italiens und Ungarns (der österreichische Standard fügt dem noch die Slowakei hinzu). Vertreter dieser Länder argumentierten mit der Sorge über einen "Pull-Effekt": Dass sich durch die Präsenz der EU-Schiffe mehr Migranten in dafür nicht geeigneten Booten auf den riskanten Weg nach Europa machen.

Offenbar haben sich die EU-Außenminister auf eine Mission geeinigt, die diese Ängste berücksichtigt. Vorgeschlagen wurde vom Europäischen Auswärtigen Dienst (European External Action Service, EEAS), dass die EU-Schiffe ihre Mission möglichst weit weg von der Küste durchführen, nämlich "mindestens 100 Kilometer" entfernt, weil dort die Wahrscheinlichkeit, dass man Rettungsaktionen durchführt, geringer ist.

Die Priorität soll bei der Durchsetzung des UN-Waffenembargos liegen, betonten die Befürworter der neuen Mission. Dazu wurde auch der Schwerpunkt der Mission mehr ins östliche Mittelmeer verlegt, wie der deutsche Außenminister Maas verstehen lässt:

Diese Mission soll auch eine maritime Komponente haben, die sich an den Routen derjenigen orientiert, die Waffen nach Libyen bringen, also im östlichen Mittelmeer.

Bundesaußenminister Heiko Maas

Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg bestätigte nach ARD-Angaben, dass die Schiffe nur "außerhalb des bisherigen Einsatzbereichs" fahren - im Osten Libyens "oder noch weiter östlich". Überdies würden "die maritimen Elemente wieder abgezogen", falls es sich zeige, dass die neue Mission von Schleppern missbraucht würde und "zu einem Sogfaktor für Flüchtlinge werde". Der italienische Außenminister Luigi Di Maio soll sich ähnlich geäußert haben.

Doch soll es ja tatsächlich auch noch andere Aspekte geben, die mit Libyen zu tun haben, außer den Bootsflüchtlingen, zum Beispiel die genannte Durchsetzung des Waffenembargos. Da bietet das, was bislang von der neuen Mission durchdringt, einen interessanten Schwerpunkt. Die Überwachung des Schiffsverkehrs im östlichen Mittelmeer hat, wie es aussieht, das Land im Fokus, das per Schiff Waffen nach Libyen gebracht hat, nämlich die Türkei.

Wie die Waffenzulieferer Türkei und Emirate abhalten?

Das andere große Waffenzulieferer-Land sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Wer will die Lieferungen aufhalten, die Waffenexporteure in die Emirate, wozu auch EU-Länder zählen? Die VAE bringen das Kriegsgerät vorwiegend als Luftfracht. Seit Januar 2020 habe es etwa 73 Luftfrachtflüge aus den VAE nach Libyen gegeben und zwei große Schiffslieferungen aus der Türkei, so die Informationen des Libyen-Experten Jalel Harchaoui. Das sind, wie man der Formulierung ablesen kann, ungenaue Zahlen, aber an den Grundproblemen, die sie beschreiben, gibt es wenig zu zweifeln.

Ein Problem ist einmal der unbedingte Wille zur Aufrüstung, den die beiden Kriegsparteien in Libyen zeigen. Die beiden gegnerischen Seiten haben ihre jeweiligen Unterstützer - in letztere Zeit werden vor allem die Türkei aufseiten der GNA und Sarradsch' und die Vereinigten Arabischen Emirate aufseiten Haftars genannt, weil von diesen beiden Ländern die auffälligste Unterstützung mit Waffen, Waffentechnik oder im Fall der Türkei auch mit islamistischen Milizen kam.

Diese Unterstützung mit Waffen, Material und Truppen wurde ungeachtet der Beschlüsse in Berlin fortgesetzt, um von der Einhaltung einer Waffenruhe erst gar nicht zu reden. Der "Wettlauf beim Aufrüsten" war so auffällig, dass man dem Berliner Prozess nicht mehr viel Glaubwürdigkeit schenkte. Kann die neue Mission diesem Glaubwürdigkeitsverlust entgegenarbeiten? Das ist das andere Grundproblem.

Werden türkische Schiffe, von denen vermutet wird, dass sie Waffen nach Libyen bringen, künftig daran gehindert? Werden Flugzeuge aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die von den EU-Schiffen aus beobachtet werden, daran gehindert, Waffen in Libyen auszuliefern? Wie?

Eine militärisch abgesicherte Kontrolle des Embargos?

Im Zusammenhang mit der Durchsetzung des UN-Embargos wurde diskutiert, was auch für die Durchsetzung eines Waffenstillstands oder der Entwaffnung von Milizen in Libyen ein Thema sein wird: Ob die EU dies militärisch absichert, ob es ein robustes Mandat für einen "Kontroll-Einsatz" geben soll. Maas machte bei "Anne Will" darauf aufmerksam, dass ein solcher Einsatz von afrikanischen Ländern als eine "Art koloniale Geste" verstanden würde, aller Wahrescheinlichkeit nach unerwünscht sei und sie damit ihre Probleme hätten.

Darüber hinaus, wie es die jüngere libysche Geschichte seit Beginn des Nato-Einsatzes zum Sturz des autokratischen Herrschers Gaddafi im Jahr 2011 vor Augengeführt hatte, gibt es noch eine ganze Reihe anderer Probleme, die ein Militäreinsatz der Europäer in Libyen als großes Risiko mit sich bringt.

Auffallend ist auch: Gegenüber den Diskussionen, die sich um militärische Einsätze drehen, gibt es so gut wie keine Diskussionen darüber, welche politische Ordnung man eigentlich in Libyen anstrebt - mal abgesehen von der Schablone "Wahlen abhalten" oder Institutionen stärken -, nichts, was irgendwie ein Ende des Schlamassels andeutet. Ganz so als seien konkrete Vorstellungen darüber, wie z.B. mit den Milizen konkret verfahren werden soll, wie sie untergebracht werden sollen, Privat- oder Geheimsache wäre, die man nur in abgeschlossenen Zirkeln bespricht. Ein Zeichen der EU-Schwäche ist allein schon, dass man es nicht geschafft hat, die barbarischen Inhaftierungsbedingungen für festgenommene Migranten zu verbessern.

Gegenwärtig soll es zwischen den beiden kriegerischen Lagern "verhältnismäßig ruhig" zugehen, heißt es aus Libyen. Das ist aber nur eine Beobachter-Stimme und es gibt einen ganzen Chor von Beobachtern und ihren Stimmen. Die Lage kann sich rasch wieder ändern, wie auch die Einschätzungen fluide sind.

Ob sich am Zustrom der Waffen ins Land etwas ändern wird, wird man allerdings genau verfolgen und beobachten können. Wie auch, ob sich tatsächlich etwas an der Grundeinstellung der gegnerischen Parteien in Libyen, die nach einer militärischen Lösung suchen, etwas ändert.