EU: Mit "nuklearer Option" gegen Ungarn
- EU: Mit "nuklearer Option" gegen Ungarn
- Ungarn und EU auf Kollisionskurs bei der Aufnahme von Flüchtlingen
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EU-Fraktionen wollen ein Rechtsstaatsverfahren vorbereiten. Die EU-Kommission droht wegen der Nichteinhaltung der Flüchtlingsvereinbarung mit dem nächsten Vertragsverletzungsverfahren
Ungarn stand in den letzten Wochen durch eine Reihe von politischen Maßnahmen in der Kritik, zuletzt durch das neue ungarische Hochschulgesetz und durch das Gesetz zu Transitzonen für Asylsuchende. Auch die im Herbst vergangenen Jahres gescheiterte Volksabstimmung Ansiedlung "nicht-ungarischer Bürger" kam bei der EU nicht wirklich gut an. Kein Wunder war ihre Fragestellung doch auch gegen die Europäische Union gerichtet.
Immer wieder wird von Kritikern der nationalistischen, "illiberalen Demokratie" (Orbans Rede, August 2014) darauf verwiesen, dass dies doch schlecht vereinbar sei: eine Politik, die im grundsätzlichen Konflikt mit Vorgaben der EU stehe, und zugleich das Ausschöpfen von Vorteilen der Gemeinschaft. Als Kritiker mit der schärfsten Forderung tat sich der Luxemburgische Außenminister Asselborn hervor, der im vergangenen Jahr forderte, dass Ungarn "vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen" werde, weil dort "massiv Grundwerte der Europäischen Union verletzt" würden.
"Diesmal soll Orban nicht so einfach davonkommen"
So deutlich ist die Resolution, über heute im europäischen Parlament verhandelt wird, nicht. Aber sie geht in diese Richtung. Laut einem Tagesschau-Bericht sind sich Sozialdemokraten, Grüne, Linke und Liberale einig: "Diesmal soll Viktor Orban nicht so einfach davonkommen."
Sie drohen, wie es die Tagesschau formuliert mit der "Atombombe" unter allen möglichen Strafmaßnahmen, nämlich mit einem Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages. Darin geht es um die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat". Gemeint sind Werte wie "Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte".
Das ist ziemlich schweres Geschütz. Auch die deutschsprachige ungarische Zeitung Pester Lloyd spricht in diesem Zusammenhang von "nuklearer Option". Nach der Feststellung einer schwerwiegenden Verletzung könnte nämlich beschlossen werden, "bestimmte Rechte auszusetzen, einschließlich der Stimmrechte". Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel wird von der Tageschau damit zitiert, dass es nach mehr als sechs Jahren Gespräche über unterschiedliche Gesetze in Ungarn, die in eine falsche Richtung gingen, Zeit werde, um ein klares Signal zu setzen: "Deshalb ist Artikel 7 jetzt mal angesagt."
Hohe Mehrheitshürden, fehlende Einigkeit
Wahrscheinlich muss sich Orban aber nicht wirklich fürchten, denn die Entsendung der EU-rechtlichen "Atombombe" benötigt große Einigkeit in der Sache. Sie setzt sehr hohe Mehrheitshürden. Wie schwierig es ist, Einigkeit zu erreichen zeigt sich im EU-Parlament: Neben dem Resolutionsantrag der Fraktion S&D (Sozialdemokratien), ALDE (Liberale), den Grünen und weiteren linken Gruppen, die für ein Rechtsstaatsverfahren plädieren, gibt es einen weiteren Resolutionsantrag von Manfred Weber, dem Fraktionschef der konservativen EVP.
Der CSU-Politiker Weber ist dagegen, die "härteste Waffe zu zücken". Es würden ja Gespräche laufen ja zwischen der Kommission und der ungarischen Regierung. Man müsse "im Verfahren fair bleiben, in der Sache aber hart sein."
Allerdings besteht nach Informationen des EU-Observers auch im Lager der EVP Uneinigkeit. Nicht alle sind dem ungarischen Regierungschef gegenüber so konziliant eingestellt, wie es CSU-Politiker sind. Manchen Abgeordneten aus der rechten Mitte hätten genug davon, Orban zu verteidigen.
So könnte heute aus dem EU-Parlament ein Stimmungssignal nach Budapest erfolgen, das Orban gewisse Toleranzgrenzen seiner gegenüber der EU "auf Krawall gebürsteten Politik" (Pester Lloyd) zu berücksichtigen hat.