EU-Sanktionen: Wie das Öl-Embargo gegen Russland in der Ägäis fällt
Olaf Scholz bezeichnet Strafmaßnahmen gegen Moskau als erfolgreich. Er hat die Rechnung ohne den griechischen Wirt gemacht
"Das Öl-Embargo wird Russland hart treffen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor wenigen Tagen vor ostdeutschen Unternehmern. Zugleich zeigen Recherchen, wie die Sanktionen gegen Moskau in der EU aufgeweicht wurden, vor allem auf Druck griechischer Reedereien.
Von dem "zerstörenden" Erdöl-Embargo gegen Russland, das die EU-Kommission Ende Mai noch angekündigt hatte, ist nicht viel zu spüren. Ein Bericht des ARD-Magazins Monitor zeigt, dass die russische Regierung "mithilfe griechischer Öltanker" das globale Ölgeschäft sogar ausbauen konnte.
Für die neuen Geschäfte mit Asien sei Russland derzeit noch auf Tanker aus Europa angewiesen, insbesondere aus Griechenland. "Ohne die griechischen Öltanker geht fast nichts im globalen Ölgeschäft auf hoher See. Knapp 27 Prozent der weltweiten Tankerflotte gehören griechischen Reedereien", heißt es bei Monitor.
Das Magazin führt Zahlen des Institute of International Finance an, nach denen sich der Anteil an Öl aus Russland, das durch griechische Tanker verschifft wird, im letzten Jahr beinahe verdoppelt hat.
Würden die griechischen Tanker wegfallen, wäre es Putin kaum möglich, seine globalen Öl-Exporte von Europa in andere Staaten zu verlagern, zitiert das Magazin eine Expertin.
Dem ARD-Magazin lag nach eigenen Angaben ein unveröffentlichter erster Vorschlagsentwurf der EU-Kommission von Anfang Mai vor.
Darin sei ein Verbot für Tankschiffe aus EU-Ländern vorgesehen, russisches Öl "mit Schiffen, die unter der Flagge eines Mitgliedstaats registriert sind oder sich im Eigentum eines Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaats befinden, in Drittländer zu befördern".
"Im finalen Text zum beschlossenen Embargo wurde dieser Absatz dann allerdings komplett gestrichen", berichtet das TV-Magazin.
Nach Ansicht von Michelle Wiese-Bockmann vom Londoner Schifffahrt-Register Lloyd‘s List war das ein Ergebnis effektiver Lobbyarbeit der griechischen Reedereien: "Die griechischen Reedereien sind aufgrund ihrer großen Flotte und weil sie schon lange im Geschäft sind, sehr mächtig und haben eine sehr starke Stimme in der internationalen Schiffsindustrie. Das ermöglicht ihnen, ihre Interessen auf EU-Ebene durchzusetzen."
Reeder beeinflussen öffentliche Meinung in Griechenland
Telepolis hatte schon im Mai über die Russland-Geschäfte griechischer Reeder berichtet. Obwohl die Regierung Mitsotakis die Sanktionen der EU gegen Russland unterstützt, habe sie in Brüssel eine Ausnahme für die einheimischen Reeder aushandeln müssen, schrieb der Journalist Wassilis Aswestopoulos.
Mehr als die Hälfte des aktuell exportierten russischen Erdöls werde mit Tankschiffen griechischer Reeder verschifft. Die EU hatte beabsichtigt, den Transport russischen Öls mit Schiffen aus EU-Staaten zu unterbinden.
Aswestopoulos verweis auf Presseberichte, denen zufolge Vertreter der Reeder persönlich bei Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis interveniert haben. Die Reeder, die in Griechenland von großzügigen Steuerbefreiungen profitieren, haben in den ersten vier Monaten 2022 rund zwei Milliarden US-Dollar in 105 neue Schiffe investiert, 46 davon sind Tanker.
Die Reeder, die in Griechenland von großzügigen Steuerbefreiungen profitieren, haben in den ersten vier Monaten 2022 rund zwei Milliarden US-Dollar in 105 neue Schiffe investiert, 46 davon sind Tanker.
Dazu Aswestopoulos: "Als Steuerzahler sind die Reeder, deren Schiffe oft unter fremder Billigflagge fahren, kein übermäßig großer Faktor der griechischen Wirtschaft. Allerdings befinden sich mit SKAI-TV, ANT1-TV, STAR-TV, MEGA-TV und ALPHA TV fünf der sechs landesweit lizensierten Privatsender in der Hand von Reedern. Dazu kommen Radiostationen und Zeitungen. Keine Regierung in Athen kann es sich erlauben, gegen die Interessen der Reeder zu regieren."
Die Bürger erleben das Paradoxon, dass in den TV-Stationen gegen Russland und vor allem gegen Präsident Wladimir Putin argumentiert wird, während die Inhaber der Sender gleichzeitig mit Russland Geschäfte machen und nun vom erhöhten Bedarf am Schiffstransport von LNG profitieren. Dies trägt nicht unbedingt zur Akzeptanz der Folgen der Sanktionen im Land bei.
Die griechischen Bürger merkten zunehmend, dass die Gewinne der Reeder, ebenso wie die erhöhten Gewinne der einheimischen Elektrizitätsunternehmen, geschützt werden, während sie selbst mit steigenden Preisen und Knappheit zu kämpfen haben. Mitsotakis Maßnahmen gegen die überhöhten Strompreise bestünden darin, dass der Staat, ergo die Steuerzahler, einen Teil der Stromrechnung begleiche.