"Wir tun nichts, was uns mehr schadet als Putin"

Bild: ostdeutscheswirtschaftsforum.de

Rede von Bundeskanzler Scholz bei dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum am 12. Juni 2022 in Bad Saarow

Am gestrigen Sonntagabend hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow über die wirtschaftspolitische Abkehr von Russland und die Perspektiven für die Region und Deutschland gesprochen. Telepolis dokumentiert die Rede im Folgenden.

Lange, bevor Bad Saarow zur Oase für die solvente preußische Elite aus der Hauptstadt wurde, wanderte Theodor Fontane Ende des 19. Jahrhunderts durch die Region. In den höchsten Tönen lobte er die malerische Gegend um das Märkische Meer – so nannte er den Scharmützelsee. Sein Kutscher Moll hingegen sah mürrischer in die Landschaft: "Ist das eine Gegend! In Saarow ist nichts. Das kenne ich. Und hier in Pieskow ist gar nichts."

Ich persönlich bin eher bei Fontane. Und auch der Kutscher Moll würde sich wohl ziemlich wundern, wenn er heute hierher, nach Bad Saarow käme. Denn hier ist inzwischen so einiges – nicht zuletzt das Ostdeutsche Wirtschaftsforum, eine echte Erfolgsgeschichte, eng verknüpft mit Bad Saarow. Und diese Erfolgsgeschichte schreiben Sie kontinuierlich weiter. Frank Nehring, Ute Weiland, meine Hochachtung vor dem, was Sie und all Ihre Mitstreiter aufgebaut haben!

Ich bin gespannt auf die neue Partnerschaft mit "Deutschland – Land der Ideen", das wird dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum noch einmal einen kräftigen Schub geben. Von daher ist meine erste Botschaft: Machen Sie weiter so! Es braucht ein Wirtschaftsforum für Ostdeutschland, für diese sehr besondere Region mit ihrer besonderen Geschichte, ihren spezifischen Herausforderungen und vor allem anderen: mit ihren riesigen Chancen.

Meine zweite Botschaft lautet: Think big! Dieses Motto Ihrer morgigen Panel-Diskussion ist genau der richtige Ansatz. Mutige Ziele setzen, anpacken und loslegen – das ist, was wir brauchen, gerade in diesen Zeiten. Die Corona-Pandemie ist nicht vorbei, auch wenn die aktuellen Inzidenzwerte und der anstehende Sommer uns das in Deutschland fast schon vergessen lassen. Ergänzen will ich: Ich sehe Sie gern hier alle so dicht gedrängt – mein Gesundheitsminister übrigens auch.

Die letzten zweieinhalb Jahre haben Spuren hinterlassen: gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich, das wird uns auch noch eine ganze Weile nachhängen.

Seit dem 24. Februar kommt nun noch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hinzu. Nach den zwei Weltkriegen des letzten Jahrhunderts gründet unsere gesamte europäische und internationale Friedensordnung auf dem Prinzip "Die Stärke des Rechts steht über dem Recht des Stärkeren".

Mit seinem Überfall auf die Ukraine hat Putin dieses Prinzip fundamental infrage gestellt, darin liegt die Zeitenwende. Putin will die Grenzen in Europa mit Gewalt verschieben, er will zurück in eine Zeit, als große Mächte die Welt unter sich aufteilten. Das ist Imperialismus.

Ich weiß, in Ostdeutschland blicken viele Bürgerinnen und Bürger entsetzt und fassungslos auf diesen Krieg. Die Älteren hier haben noch Erinnerungen an den Krieg in unserem eigenen Land und daran, welche Spuren er hinterlassen hat. Viele erinnern sich auch an die Zeit vor 1989: Man hat einmal 40 Jahre friedlich zusammengelebt.

Es gibt persönliche Erfahrungen, enge wirtschaftliche Verbindungen und auch Freundschaften nach Russland, aber auch in die Ukraine. Und gerade hier in Ostdeutschland weiß man zudem um den Wert von Freiheit und Demokratie – gerade hier, wo ein Volk vor über 30 Jahren einen Staat in die Knie zwang, der seinen Bürgerinnen und Bürgern Freiheit und Demokratie verweigerte.

Deshalb dürfen gerade wir diesen gewaltsamen Angriff auf ein demokratisches Land in Europa nicht taten- und nicht widerspruchslos hinnehmen. Deshalb darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen.

Deshalb haben wir in der Europäischen Union gemeinsam mit unseren internationalen Partnern weitreichende Sanktionen gegen Russland verhängt. Und ich bin dankbar, dass diese hier im Osten solidarisch mitgetragen werden, obwohl sie gerade der ostdeutschen Wirtschaft viel abverlangen.

Aber wir wissen eben auch: Freiheit und Sicherheit haben einen Preis. Deshalb unterstützen wir die Ukraine gemeinsam mit der Europäischen Union und unseren internationalen Partnern und Verbündeten mit Waffenlieferungen, mit humanitärer und medizinischer Hilfe sowie finanziell, indem wir dafür sorgen, dass die Ukraine zahlungsfähig bleibt in dieser dramatischen Lage.

Und: Wir haben bislang fast 800.000 Geflüchtete bei uns willkommen geheißen, vor allem Frauen, Kinder und Ältere, auch Kranke und Pflegebedürftige. Überall ist die Solidarität mit den Geflüchteten überwältigend, ganz besonders hier in Ostdeutschland.

Da werden Unterkünfte organisiert, da wird medizinische Versorgung, werden Kita- und Schulplätze bereitgestellt und Spenden gesammelt, viele Unternehmen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren sich – mich berührt das sehr. Denn es zeigt, wie viel Gutes in unserem Land steckt. Dafür auch an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön!

Bereits jetzt wissen wir: Der Krieg in der Ukraine verändert nicht nur die Sicherheitslage in Europa, er verändert auch die Wirtschaftslage. Nirgends wird das so deutlich wie im Energiebereich. Klar ist: Wir haben uns zu lange und zu einseitig auf Energielieferungen aus Russland verlassen, aus einem Land, das unseren Nachbarländern gerade nach und nach die Energielieferung abdreht.