"Wir tun nichts, was uns mehr schadet als Putin"

Seite 3: "Ostdeutsche wissen, was Veränderung bedeutet"

Heute ist Ostdeutschland eine Region im Vorwärtsgang. Inzwischen gibt es hier nicht mehr nur einzelne wirtschaftliche Leuchttürme mit regionaler und bundesweiter Strahlkraft. Ostdeutsche Standorte spielen in der Weltliga mit. Das zeigen Investitionsentscheidungen wie der neue Intel-Standort in Magdeburg, den der Bund massiv fördern wird.

Das Batteriewerk von CATL in Arnstadt, die europaweit führende Mikroelektronik mit Infineon, AMD und Bosch in Sachsen, die BASF-Kathodenfabrik in Schwarzheide oder die Gigafactory von Tesla in Grünheide – alle diese Investitionen haben überaus positive Effekte für Ostdeutschland insgesamt.

Es entstehen ja nicht nur neue, hochwertige und gutbezahlte Arbeitsplätze. Gestärkt werden auch lokale Handwerker, mittelständische Zulieferer, einheimische Dienstleister. Steuereinnahmen steigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ziehen zu statt fort.

Neue Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen entstehen; letztere sind im Osten im Vergleich zum Westen immer noch zu dünn gesät. Deshalb hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, den Ausbau und die Neuansiedlung außeruniversitärer Einrichtungen künftig prioritär in Ostdeutschland zu unterstützen.

Ähnliches gilt für die Förderung von Start-ups. Gerade in den großen Städten im Osten gibt es eine wachsende Start-up-Szene, auch weil der Bund Modellvorhaben gezielt unterstützt. Dabei sind in den vergangenen Jahren viele fantastische Ideen in die Tat umgesetzt worden, das zeigt sich auch an den Gewinnern des VORSPRUNG.

Junge Unternehmerinnen und Unternehmer, die etwas gewagt haben und in kürzester Zeit Marktführer wurden, Traditionsunternehmen, die sich zu Hidden Champions auf dem Weltmarkt entwickelt haben – Sie geben ihnen eine Bühne, das finde ich großartig. Staatsminister Schneider hat den VORSPRUNG zwar schon vor einigen Wochen im Kanzleramt verliehen. Dennoch an dieser Stelle auch von mir: Herzlichen Glückwunsch allen Preisträgerinnen und Preisträgern! Man kann ja auch zweimal gelobt werden.

Das sind alles sehr erfreuliche Entwicklungen. Einige meinen sogar schon, Ostdeutschland stehe an der Schwelle einer neuen Reindustrialisierung. Zumindest die Chance dazu besteht, wenn wir das Richtige tun, und auch hier gilt: Think big!

Erstens: Wer neue Industrien ansiedeln will, der braucht zunächst einmal große ebenerdige Flächen. Tesla beispielsweise benötigt 300 Hektar, Intel in Magdeburg sogar 450, das sind 620 Fußballfelder. Solche Flächen im Herzen Europas sind eine Rarität und heiß begehrt, in Ostdeutschland gibt es sie. Dazu braucht es eine gute Infrastruktur, vor allem schnelles Internet und ein flächendeckendes Netz, gerade in ländlichen Räumen. Deshalb treibt der Bund den Bau von Glasfasernetzen konsequent voran und wird das auch weiterhin und verstärkt tun.

Zweitens: Große Investitionsentscheidungen werden für mehrere Jahrzehnte geplant und getroffen. Die Rahmenbedingungen dafür sind klar: Deutschland wird 2045 CO2-neutral sein und will zugleich Industrieland bleiben. Damit wird die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien zum entscheidenden Standortvorteil für die Industrie.

Und Ostdeutschland hat die Flächen und die meteorologischen Bedingungen, die es für den massiven Ausbau der Erneuerbaren braucht. Aber dafür braucht es auch Akzeptanz für den Ausbau vor Ort. Mit der Haltung "Hauptsache nicht in meinem Vorgarten" kommen wir nicht voran.

Als Unternehmerinnen und Unternehmer wissen Sie das sehr genau. Deshalb bitte ich Sie ausdrücklich um Ihre Mithilfe. Werben Sie, wo Sie gehen und stehen, für den Ausbau der erneuerbaren Energien, auch im Interesse Ihrer Unternehmen und des Standorts Ostdeutschland!

Der dritte Faktor, über den wir größer denken müssen, gerade hier in Ostdeutschland, sind gut ausgebildete Fachkräfte. Ja, wir haben gut ausgebildete Fachkräfte in Ostdeutschland. Aber wir haben zu wenige davon. Und das Problem wird sich verschärfen, wenn wir nicht gegensteuern.

Der demografische Knick der Neunzigerjahre, als viele gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger in den Westen zogen und deutlich weniger Kinder geboren wurden, bleibt eine Hypothek. Sie fehlen dem Osten heute und bei Weitem nicht nur auf dem Arbeitsmarkt. Dazu gehen überall in Deutschland gerade die geburtenstarken Babyboomer in Rente.

Die Folgen merken wir überall – in Ostdeutschland aber besonders. Hier fehlen in manchen technischen Berufen wie Mechatroniker, Systemelektroniker, Softwareentwickler oder IT-Berater bereits jetzt schon passende Bewerberinnen und Bewerber für mehr als jede zweite Stelle.

Und laut einer aktuellen Studie sagen über 70 Prozent der befragten Unternehmerinnen und Unternehmer, die größte Herausforderung in Ostdeutschland sei, Fachkräfte zu werben und zu halten. Die Prognosen für die Zukunft sind nicht erleichternder. Bis 2040 wird Ostdeutschland aller Voraussicht nach etwa zehn Prozent seiner Erwerbspersonen verlieren, der Westen etwas mehr als fünf Prozent. Ich bin aber etwas optimistischer als diese Vorhersagen, denn die gab es auch in der Vergangenheit – und sie sind nicht immer eingetroffen.

Und wir haben uns auch viel vorgenommen, um die Fachkräftebasis in Deutschland zu sichern und das Erwerbspersonenpotenzial möglichst stabil zu halten. Aber aus eigener Kraft wird Ostdeutschland die Fachkräftelücke nicht füllen können – und Deutschland insgesamt auch nicht. Wir brauchen internationale Fachkräfte, das wissen Sie hier im Raum selbst am besten.

Und wenn wir das hinkriegen wollen, dann geht es nicht allein um sanierte Städte und günstige Wohnbedingungen, gute Kitas und Schulen, eine saubere Umwelt und fantastische Naherholungsgebiete. All das hat der Osten – wem sage ich das hier, in Fontanes Mark Brandenburg? Sondern es geht auch um Neugier, um Weltoffenheit, um das Gefühl, willkommen zu sein und dazuzugehören.

Da wird von Ostdeutschland manchmal ein Bild gezeichnet, das so nicht die Realität widerspiegelt, und das ärgert mich. Und auch diejenigen, die gegen Ausländer Stimmung machen oder mit dumpfen Ressentiments auf Stimmenfang gehen, erweisen Ostdeutschland einen Bärendienst.

Aber ich glaube, es liegt in unser aller Verantwortung, das zu ändern. Und ich weiß, dass auch viele von Ihnen für ein Ostdeutschland werben, das weltoffen ist und sich selbstbewusst eines klarmacht: Ostdeutsche wissen, was Veränderung bedeutet und wie sie geht. Schließlich waren Sie es, die mit ihrem Mut dieses Land und diesen Kontinent 1989 für immer verändert haben.

Und deshalb: Think big! Blicken wir über den Tellerrand hinaus! Weltkonzerne interessieren sich heute für Ostdeutschland, sie investieren hier in die Zukunft. Aber wir müssen uns auch aktiv um sie bemühen. Deshalb ist es gut, dass sich das Ostdeutsche Wirtschaftsforum ganz bewusst internationaler aufstellt. Das ist der richtige Weg für Deutschland und ganz besonders für Ostdeutschland.