EU droht im globalen Innovationswettbewerb hinter USA und China zurückzufallen

Portrait einer Wissenschaftlerin, die unter Mikroskop schaut.

(Bild: Gorodenkoff / Shutterstock.com )

Die EU riskiert, im globalen Wettbewerb den Anschluss zu verlieren. Die Lösung könnte in einer Wiederbelebung der Innovationskraft liegen. Doch reicht das aus?

Die Europäische Union droht im internationalen Wettbewerb den Anschluss zu verlieren. Die USA und China sind wirtschaftlich dominierend und könnten die Europäer bald abhängen.

Es ist eine Debatte darüber entbrannt, wie die EU diesem Bedeutungsverlust entgehen kann. Der französische Präsident Emmanuel Macron erhofft sich von einer Kapitalmarktunion wirtschaftliche Impulse. Zuletzt machte sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für diese Idee stark.

Mangelnde Innovationskraft in Europa: Studie zeigt Defizite auf

Doch die Probleme liegen tiefer, wie eine Studie des Centrums für Europäische Politik (cep) zeigt. Demnach haben die Europäer einen Großteil ihrer Innovationskraft eingebüßt, sodass etablierte europäische Schlüsselindustrien wie Automobil, Pharma oder Luft- und Raumfahrt ihre Position auf den Weltmärkten verlieren könnten. Gleichzeitig kommt die EU bei Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz zu wenig voran.

"Ein Weg, das Wachstum in der EU langfristig zu sichern, ist die Wiederbelebung der traditionell innovativen europäischen Innovationskraft", sagt Victor Warhem, cep-Ökonom und Autor der Studie. Dafür seien aber öffentliche Mittel unerlässlich, da private Investitionen in Hochrisikotechnologien typischerweise suboptimal seien.

Warhem plädiert dafür, nach dem Vorbild Chinas und der USA in allen Mitgliedstaaten einen festen Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verpflichtend für Innovationen einzusetzen. Nach Auswertung wissenschaftlicher Analysen schlägt der cep-Forscher einen Anteil von 0,02 Prozent vor. Dies hätte im Jahr 2023 EU-weit rund 3,4 Milliarden Euro entsprochen.

Ferner drängt Warhem auf ein sogenanntes Ligasystem, um die Anstrengungen der geförderten Hightech-KMU zu maximieren, sowie auf eine Anbindung der neuen EU-Innovationsagenturen an die EU-Institutionen. "Nützlich ist auch ein europäisches Programm, das darauf abzielt, den Anteil der Studierenden zu erhöhen, die bereit sind, ein MINT-Studium zu absolvieren und Unternehmer zu werden", sagt der cep-Experte.

Studienpräferenzen und Talentmangel bremsen Innovationskraft

Ein Grund für diesen Rückstand sind die Studienpräferenzen der europäischen Studierenden. Sie bevorzugen weniger MINT-Fächer (Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwissenschaften und Mathematik) als Amerikaner und Chinesen.

Dies führt zu einem Mangel an MINT-Absolventen in der EU, insbesondere im Vergleich zu den USA und Südkorea. Im Vergleich zu den USA gab es 2021 rund 20 % weniger MINT-Absolventen pro Einwohner. Noch negativer fällt der Vergleich mit Südkorea aus: Hier liegt Europa rund 45 Prozent zurück.

Verschärft wird die Situation durch die Abwanderung talentierter Forscher in die USA, was zu einem Mangel an innovativem Potenzial in Europa führt. Ferner ist die Investitionskapazität in Risiko- und Skalierungskapital in der EU deutlich geringer als in den USA.

An letzterem Punkt möchte Macron mit seiner Idee einer Finanzmarktunion ansetzen. Doch das wird kaum ausreichen. Die cep-Studie empfiehlt, mehr junge Menschen für ein MINT-Studium zu begeistern – und sie auch zum Abschluss zu bringen.

Hier legt die Studie eine gezielte Werbung über europäische Medien nahe. Vergleichbar mit den USA in den 1980er-Jahren, als die Streitkräfte einen schlechten Ruf hatten. Mit Filmen wie "Top Gun" sollte das Image aufpoliert werden. Das könnte auch in Europa mit originellen kulturellen TV-Shows und Filmen erreicht werden, nur dass nicht Soldaten im Mittelpunkt stehen, sondern Informatiker und Ingenieure, die nach ihrem Studium erfolgreiche Unternehmer werden.

Innovationssysteme der USA und Chinas als Vorbild

Aber auch die europäischen Staaten müssen sich ihrer Rolle in der Förderung von Innovationen wieder stärker bewusst werden. Als Vorbild für eine erfolgreiche Innovationsförderung verweist die Studie auf staatlich getriebene Modelle in den USA und China. In den USA investieren Agenturen wie DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) gezielt in risikoreiche, aber potenziell bahnbrechende Technologien mit Bezug zur nationalen Sicherheit.

In China hingegen verfolgt das gesamtgesellschaftliche "Zhongguo-System" strategische Innovationsziele. Ein Beispiel ist das "Little Giants"-Programm, das ausgewählte kleine und mittlere Hightech-Unternehmen ähnlich einer Sportliga fördert und unter Leistungsdruck setzt.

Die Studie empfiehlt, Elemente dieser Ansätze für den EU-Kontext zu adaptieren. So könnte ein fester Anteil des EU-BIP für eine unabhängige Agentur für bahnbrechende Innovationen mit doppeltem Nutzen bereitgestellt werden. Auch ein "Champions League"-System und "Moonshot"-Missionen für europäische Hightech-Unternehmen werden vorgeschlagen.

"Durch aufeinanderfolgende Experimente und Iterationen werden wir herausfinden, welches Innovationsmodell am besten zu unseren Bedürfnissen und Bestrebungen passt, um stark und bedeutsam zu bleiben. Es ist dringend nötig, so schnell wie möglich mit der Erprobung zu beginnen", resümiert Warhem.