EU hat Interesse an Abschaffung der Zeitumstellung unterschätzt
Die Online-Befragung ist wegen des großen Andrangs immer noch nicht erreichbar
Die zweimal jährliche Zeitumstellung ist ein Thema, das in Europa viele Menschen bewegt. Wie viele und wie sehr, wird von der Politik anscheinend unterschätzt. Darauf deutet das bisherige Ergebnis einer noch bis zum 16. August laufenden Online-Umfrage dazu hin, die die EU-Kommission nach einer Handlungsaufforderung des EU-Parlaments im Februar gestartet hat (vgl. Sommerzeit ja oder nein? - EU-Kommission befragt Bürger online: Dieses vorläufige Ergebnis ist … dass das Abstimmungsformular aufgrund des großen Andrangs derzeit gar nicht erreichbar ist, wie die EU-Kommission gestern einräumte.
Die Brüsseler Behörde soll der Aufforderung des Europaparlaments nach eine "gründliche Bewertung" der EU-Richtlinie vornehmen und "im Bedarfsfall" einen Vorschlag zur Abschaffung der Zeitumstellung vorlegen (vgl. EU-Parlament fordert Juncker in der Zeitumstellungsfrage zum Handeln auf). Dazu stellt sie nicht nur die Frage, ob die Zeitumstellung beibehalten oder abgeschafft werden soll, sondern auch, ob man sich im Falle einer Abschaffung die bisherige Normal- oder die bisherige Sommerzeit als neuen Standard wünscht. An der Umfrage beteiligen können sich nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen. Beide Gruppen dürfen auch Anmerkungen zu ihren Entscheidungen abgeben.
Tendenz in der Argumentation der Kommission erkennbar
Mit solchen Anmerkungen wartet auch die EU-Kommission selbst auf, wobei eine gewisse Tendenz erkennbar ist, die Zeitumstellung beizubehalten: Zu den Belastungen für Kühe und andere Nutztiere heißt es, diese seien durch Melk- und Fütterungsautomaten "weitgehend gegenstandslos geworden". Negative Auswirkungen auf den menschlichen Biorhythmus versucht man mit der etwas umständlichen Argumentation zu kontern, die Menschen könnten durch die Zeitumstellung im Sommer länger aufbleiben und dann Sport treiben, was gut für die Gesundheit sei. Was Unfälle betrifft, sieht die EU-Kommission die dazu vorliegenden Erkenntnisse als noch "nicht gesichtet" an. Eventuell, so heißt es, gebe es ja morgens mehr durch Müdigkeit und Dunkelheit, aber dafür ja vielleicht abends weniger durch längeres Tageslicht im Sommer.
Bezüglich des Arguments Energieeinsparungen, mit dem die Sommerzeit bei ihrer Einführung begründet wurde, muss die Kommission einräumen, dass diese den inzwischen vorhandenen wissenschaftlichen Daten dazu "nur marginal" seien. Tatsächlich erkennen manche Studien sogar einen höheren Energieverbrauch, weil die Beleuchtung durch die Umstellung auf LED-Lampen heute viel weniger Energie benötigt, während die Heizungen, die die Europäer nun früher anschalten, weniger an Effizienz gewonnen haben.
Keine maßgeschneiderten Länderlösungen
Dem Wunsch Litauens, die auf recht unterschiedlichen Breitengraden befindlichen einzelnen europäischen Ländern selbst entscheiden zu lassen, ob sie eine Zeitumstellung vornehmen wollen oder nicht, erteilt die EU-Kommission bereits vorab eine Absage: "Unkoordinierte" Umstellungen, so heißt es, würden "zu höheren Kosten für den grenzüberschreitenden Handel, zu Unannehmlichkeiten im Verkehr, bei der Kommunikation und bei Reisen sowie zu einer geringeren Produktivität bei Gütern und Dienstleistungen führen".
Belastungen für die Wirtschaft und für Reisende gibt es aber auch durch die bestehende Regelung: Sie führt zweimal jährlich zu Anpassungsschwierigkeiten mit den Ländern, die eine Zeitumstellung nicht für sinnvoll halten - und die werden eher mehr als weniger (vgl. Russland beerdigt die Zeitumstellung). In China, dem einwohnerstärksten Land der Welt, werden die Uhren ebenso wenig umgestellt wie in Russland und der Türkei. Gleiches gilt für fast alle anderen ost- und südasiatischen Länder (einschließlich der Wirtschaftsgiganten Japan, Südkorea und Indien), den weitaus größten Teil Südamerikas sowie fast ganz Afrika. Dass es in 48 der 50 US-Bundesstaaten eine Zeitumstellung gibt, hat für Europa insofern keinen Anpassungsnutzen, als diese dort erst eine Woche später erfolgt.
Bereits zwei Mal abgeschafft
Wird die Zeitumstellung wieder abgeschafft, wäre das kein historisches Novum. Tatsächlich verabschiedete man sich in Deutschland und Österreich schon mehrmals von ihr: Das erste Mal nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg: 1916 hatten sie das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn eingeführt, um im Zivilbereich Gas, Petroleum und Stearin zu sparen, das man in die Produktion von Munition und die Weiterführung des Krieges stecken wollte. Das wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg, nach dem die Maßnahme noch bis 1949 weiter galt. Erst Anfang der 1980er Jahre führten sie die BRD, die DDR und Österreich wieder ein.
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