EU ohne russisches Gas: Warum Brüssel doch nicht gelassen ist

Gasspeicher. Bild: Fotogrin/ Shutterstock.com

Die EU gibt sich beim Gasthema betont entspannt. Doch interne Dokumente zeigen: Die Sorge wächst. Das liegt auch an Deutschland.

Das russische Gas strömt nicht mehr nach Europa. Die Europäische Union fürchtet dadurch aber keine Versorgungsengpässe. Trotz widersprüchlicher Angaben zum Gasvorrat gibt sich die EU-Kommission gelassen, wie Telepolis unlängst unter Berufung auf offizielle Mitteilungen aus Brüssel berichtete.

Durch effiziente Vorbereitung und Koordination – so heißt es von dort – könne das bisher über die Ukraine gelieferte russische Gas durch alternative Routen über Deutschland und Italien sowie durch Speicherentnahmen ersetzt werden.

Die EU arbeitet bereits seit 2022 daran, ihre Abhängigkeit von russischen Energieimporten so schnell wie möglich zu beenden. Der Import von russischem Gas ging deutlich zurück. 2023 wurden nur noch fossile Brennstoffe im Wert von sieben Milliarden Euro importiert, 2019 waren es noch 90 Milliarden. Dies wurde durch die Diversifizierung der Gaslieferanten, den Ausbau erneuerbarer Energien und eine Senkung des Gasverbrauchs erreicht.

Der Ausbau der Verbundnetze zwischen den Mitgliedstaaten soll einen effizienteren Energieaustausch ermöglichen und die Ressourcennutzung optimieren. Ein vollständig integrierter und flexibler Energiemarkt mit intelligenten Verteilernetzen ist das Fundament für ein widerstandsfähigeres und wettbewerbsfähigeres europäisches Energiesystem.

Als vorrangige Bereiche sieht die EU-Kommission die Senkung der Energiekosten für Endnutzer und die Beschleunigung der Dekarbonisierung. Für die Zukunft sollen erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Investitionen in die Energiewende und die Stärkung der Energiesicherheit im Fokus stehen, bei gleichzeitiger Technologieneutralität.

Sorgen nehmen zu

Auch wenn die EU nach außen Zuversicht zeigt, gibt es intern durchaus Besorgnis. Nach dem Transit-Stopp der Ukraine müssen jetzt die Länder in Ost- und Mitteleuropa die Konsequenzen tragen. Zwar erwartet man keine Mangellagen, aber steigende Energiepreise. Zudem wird Europa im Sommer mit knappem LNG aus den USA konkurrieren müssen.

Wie aus internen Dokumenten, die Telepolis vorliegen, hervorgeht, diskutierte der Energierat über die Zukunft der Energiepolitik mit dem Ziel einer echten Energieunion. Dabei wurden Themen wie die Reduzierung der Energiekosten, Wettbewerbsfähigkeit, Technologieneutralität, der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien, die Bedeutung von Netzen und Interkonnektoren sowie Energiesicherheit angesprochen.

Deutschland betonte die Notwendigkeit, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, Infrastruktur auszubauen und Flexibilität zu erhöhen. Dazu müssten Genehmigungsverfahren beschleunigt und ein verlässlicher Investitionsrahmen geschaffen werden.

Alles ganz easy – aber die Alarmstufe bleibt bestehen?

In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken wird deutlich, dass die anhaltende Alarmstufe des Notfallplans Gas kritisch gesehen wird. Während sich die Versorgungslage mit Erdgas entspannt hat, das Preisniveau auf Vorkriegsniveau gesunken ist und die Speicherstände die gesetzlichen Anforderungen übererfüllen, gilt die Alarmstufe im Oktober 2024 weiterhin.

Eine Greenpeace-Analyse kommt zu dem Schluss, dass die im Notfallplan aufgestellten sieben Indikatoren nicht mehr zutreffend seien und die Alarmstufe beendet werden müsse. Die Bundesnetzagentur verweist derweil auf "Restrisiken" trotz bestehender Versorgungssicherheit.

Kein Gasspeichergesetz

Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit, die Speicherbewirtschaftung rechtlich bindend zu verstetigen, da die Gasspeicher bislang ohne verpflichtende Speicherfüllstände rechtzeitig und marktgerecht befüllt wurden.

Nur in Ausnahmefällen wie Anfang 2022 nach Russlands Angriff auf die Ukraine könne zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit die Vorgabe von Speicherfüllständen erforderlich sein. Es sei wichtig, die bewährten Marktmechanismen zu nutzen, ohne zusätzliche regulatorische Hürden aufzubauen.

Äußerung der EU-Vertreter zu den Gasspeicherfüllständen:

Im Rahmen der Tagung des Energierats Mitte Dezember äußerte sich die EU-Kommission zu den Gasspeicherfüllständen. Energiekommissar Dan Jørgensen zeigte sich vorsichtig optimistisch bezüglich der Wintervorbereitungen der EU. Die Gasspeicher hätten im dritten Jahr in Folge das 90-Prozent-Befüllungsziel erreicht. Allerdings dürfe man nun nicht die Hände in den Schoß legen, so Jørgensen.

Insbesondere in der Ukraine und der Republik Moldau sei die Situation besorgniserregend. In einem Gespräch mit dem ukrainischen Energieminister sei von Angriffen von bislang nicht dagewesener Intensität, einem großen Energiebedarf und der Konkurrenzsituation um den Energiebezug aus der EU berichtet worden.

Die Lage ist also volatil, das Risiko groß. Wohl auch daher sorgt die von Deutschland erhobene Gasspeicherumlage für Unmut bei den europäischen Partnern. Das zeigen interne Dokumente aus einer Sitzung des EU-Energierates, die unserer Redaktion vorliegen. Demnach kritisierten Österreich, Tschechien und die Slowakei die Abgabe scharf und forderten deren rasche Abschaffung.

"Die Gasspeicherumlage würde die Haushalte in Österreich unverhältnismäßig stark belasten", heißt es laut Sitzungsprotokoll in einer Erklärung der österreichischen Delegation. Auch Tschechien bezeichnete die Umlage als "künstliche Marktverzerrung". Die Slowakei schloss sich der Kritik an. Beide Länder appellierten an Deutschland, die Abgabe wie angekündigt zum Jahresende auslaufen zu lassen.

Hintergrund ist eine Umlage, die Deutschland zur Finanzierung seiner Gasspeicher erhebt. Diese verteuert jedoch auch Gaslieferungen in Nachbarländer. Laut Protokoll verteidigte Staatssekretär Philipp Nimmermann die Abgabe: Die Bundesregierung nehme die Bedenken ernst und wolle die Umlage abschaffen. Er gehe davon aus, dass nach der tags zuvor verlorenen Vertrauensfrage auch die Opposition zustimmen werde.

Italien und die Niederlande zeigten Verständnis für die deutsche Position. Sie mahnten jedoch eine bessere Abstimmung auf EU-Ebene und einen Kostenteilungsmechanismus an. Auch EU-Energiekommissar Dan Jorgensen betonte die Dringlichkeit einer Abschaffung. Nur mit einem funktionierenden Gasmarkt sei die Unabhängigkeit von russischer Energie zu erreichen.

Die Gasspeicherumlage belastet die Endkunden beim Gaspreis zusätzlich und wird für die Befüllung der Speicher verwendet. Deutschland verfügt über besonders große Speicherkapazitäten. Die Umlage soll eine zu starke Belastung deutscher Verbraucher verhindern, verteuert aber auch Exporte. Das sorgt für Unmut in Ländern, die selbst weniger Speicher haben.

Der Streit verdeutlicht die Herausforderungen der Energiewende. Einerseits sind gut gefüllte Speicher für die Versorgungssicherheit unverzichtbar. Andererseits dürfen Verbraucher und europäische Partner nicht übermäßig belastet werden. Nationale Alleingänge wie die deutsche Umlage erschweren eine gesamteuropäische Lösung.

Die Bundesregierung steht innenpolitisch unter Druck, die Umlage rasch abzuschaffen. Auch auf EU-Ebene dürfte der Ruf nach einer besseren Koordination der Energiepolitik lauter werden. Denn klar ist: Die Energiewende und der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen können nur gemeinsam gelingen. Dafür braucht es eine faire Lastenverteilung und mehr Solidarität unter den EU-Staaten.