EU plant Lauschangriff gegen Globalisierungsgegner
Rat für Justiz und Inneres fordert Überwachung von politischen Protestbewegungen und Reiseverbote für potentielle Störer bei Großereignissen
Die EU entdeckt den Feind im Inneren. Am 13. Juli, nach Götheborg und vor Genua, tagte der Rat für Justiz und Inneres der EU und einigte sich auf "Schlussfolgerungen zu der Sicherheit der Tagungen des Europäischen Rates und anderer Veranstaltungen von ergleichbarer Tragweite". In diesem Dokument wird der Grundstein für ein gemeinsames "operationales" Vorgehen gegen Verletzungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei politischen Großereignissen gelegt. Durch Überwachung und Speicherung von Informationen in nationalen Datenbanken sollen potentielle Randalierer identifiziert und dementsprechend Reiseverbote gegen diese ausgestellt werden. Diskutiert aber noch nicht beschlossen wurde auch die Zuständigkeit von Europol für diese Anlässe, das Anlegen einer zentralen Datenbank und der Austausch gesammelter Informationen über das Schengen-Informations-System (SIS).
Als im Anschluss an Genua der deutsche Innenminister Schily und sein italienischer Amtskollege Claudio Scajola laut über eine gemeinsame EU-Einsatztruppe gegen politische Demonstrationen nachdachten, hatten andere im stillen Kämmerlein bereits erste in diese Richtung gehende politische Weichenstellungen unternommen. Wie die News-Site der Bürgerrechtsorganisation Statewatch enthüllt, war die Arbeitsgruppe polizeiliche Zusammenarbeit des Ministerrats in Brüssel wieder einmal besonders fleißig. Im Anschluss an Götheborg wurden in rasch aufeinander folgenden Treffen "Schlussfolgerungen" abgestimmt, in denen die der Rat der EU Pläne für gemeinsames Handeln zur Verhinderung oder Eindämmung von Ausschreitungen bei politischen Demonstrationen festlegt.
Vorgesehen ist, Mechanismen für "operationale Zusammenarbeit" zu schaffen. Dazu zählt die "Einrichtung einer ständigen nationalen Kontaktstelle in den Mitgliedstaaten", "die Bereitstellung einer Gruppe von Verbindungsbeamten" bei den entsprechenden Anlässen und der "Einsatz von Beamten der Polizei- oder Nachrichtendienste, die in der Lage sind, Personen oder Gruppen zu identifizieren, die eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen können." Die Leitung der Operationen soll einer "Task Force der Polizeichefs" unterstehen.
Man beachte, dass bei der "Identifikation" von "Personen oder Gruppen, die eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen können" bereits der Verdacht genügt, Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Die Mitgliedsstaaten werden angeregt zur "Einholung, Sammlung und Austausch der Informationen [...] unter anderem auch der Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen". Das weitgespannte Lauschangriff-Netz beinhaltet die Überwachung von E-Mail, Web-Surfing, die Unterwanderung von Meetings durch Spitzel und Foto- und Videoüberwachung bei Meetings und Demos. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in nationale Datenbanken Eingang finden, wobei man durch "Nutzung aller rechtlichen und technischen Möglichkeiten [...]einen raschen und besser strukturierten Austausch der Daten über gewalttätige Randalierer" erreichen will.
Auf der Basis dieser Erkenntnisse können dann "Personen, die als Verursacher von Störungen der öffentlichen Ordnung allgemein bekannt sind, daran gehindert werden, in den Mitgliedstaat einzureisen, in dem das Ereignis stattfindet, wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass diese Personen in der Absicht reisen, schwere Störungen der öffentlichen Ordnung zu organisieren oder herbeizuführen oder sich an ihnen zu beteiligen".
Ginge es nach den Hardlinern unter den EU-Staaten, das sind in diesem Fall Deutschland, Italien, Luxemburg, Portugal, Belgien, Schweden und das Vereinigte Königreich, dann würden die Empfehlungen des Ministerrats noch viel weiter reichen. Diese Länder befürworteten, dass Europol mit der Erfassung von Informationen über Demonstranten beginnt und diese in einer zentralen, an das Schengen-Informations-System (SIS) angeschlossenen Datenbank erfasst werden, also praktisch eine politische EU-Geheimpolizei, wovon es nur noch ein kleiner Schritt ist zur paramilitärischen EU-Anti-Demotruppe wäre.
Die "Schlussfolgerungen", die nun gefunden wurden, setzen rechtlich auf einem Ratsbeschluss von 1996 über polizeiliche Zusammenarbeit zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auf, der sich ursprünglich nur auf Fußball-Hooligans bezog. 1997 wurde der Beschluss jedoch ausgeweitet auf alle Situationen "in denen größere Menschenmengen möglicherweise eine Bedrohung der Gesetze und der Sicherheit darstellen und von einem Mitgliedsland in ein anderes reisen". (siehe Statewatch-Dokumentation)
Reiseverbote auf der Basis polizeilicher oder geheimdienstlicher Informationen gegen verdächtigte Hooligans, also gewaltbereite Fussballfans, hatte es bereits bei der EM2000 gegeben, doch das hatte die Hüter der Bürgerrechte im liberalen Lager noch nicht aufgeschreckt. Ob die Maßnahmen, die nun gegen Globalisierungsgegner vorgeschlagen und zum Teil vor Genua bereits praktiziert wurden, zu einem späten Erwachen führen, bleibt abzuwarten. Die Zivilgesellschaft ist manchmal erstaunlich träge in ihren Reaktionen auf Einschnitte, vor allem in den Sommerferien.
Die "Schlussfolgerungen" des Rates sind gesetzlich nicht bindend, es wird jedoch erwartet, dass die Regierungen in Anpassung an die Empfehlungen Gesetze erlassen, die deren Durchführung ermöglichen. Derzeit wird noch die Verantwortung der Polizeibehörde in dem Land, in dem das Ereignis stattfindet, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, betont. Ebenso ist es den einzelnen Herkunftsländern potentieller Randalierer überlassen, Reiseverbote auszusprechen, wie das im Vorfeld zu Genua bereits praktiziert wurde. Doch der Schritt zur Anbindung an EU-Netze wie SIRENE und das bereits erwähnte Schengen-Informationssystem sind eigentlich die nächste logische Entwicklung. Dies ebenso wie die Einbindung von Europol, wurde von der oben genannten Ländergruppe, allen voran Deutschland und Italien, bereits gefordert.
Die "Experten" in der Arbeitsgruppe polizeiliche Arbeitsgruppe haben wieder einmal eine klassische Vorgehensweise gewählt. Bei Treffen am 1. und 4.Juli wurde bereits ein Entwurf einer Richtlinie für die Bekämpfung von Demonstrationen ausgearbeitet, dieser Entwurf wurde mit dem ständigen Beraterstab des Ministerrats für Justiz und Inneres abgestimmt, sowie zweimal mit COREPER, einem hochrangigen Komitee ständiger Vertretungen der 15 Regierungen in Brüssel. Nationale Parlamente oder das Europaparlament wurden zu den Beratungen aber nicht hinzugezogen, und am 13.Juli waren die "Schlussfolgerungen über Sicherheit bei Treffen des Rats der Minister und vergleichbaren Ereignissen" auch schon verabschiedet. In einem ähnlichen Stil waren 1995 die "International User Requirements" und im Vorjahr der Solana-Beschluss zur Informations(un)freiheit zustande gekommen.