EU verschärft Urheberrechtsschutz im Internet
Parlament stellt Weichen für EU-Copyright-Richtlinie in der Informationsgesellschaft
Das Parlament der Europäischen Union hat heute einen Bericht des italienischen Abgeordneten Enrico Boselli zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft angenommen. Der Bericht Bosellis reflektiert die Meinung des EU-Parlaments zum umständlich benannten "gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft". Dabei geht es um eine Harmonisierung des EU-Rechts, einerseits, um eine geimeinsame europäische Rechtsgrundlage für die Ratifizierung des Abkommens der World Intellectual Property Organisation (WIPO) von 1996 zu schaffen, andererseits um eine dem Digital Millennium Copyright Act (DMCA) vergleichbare Gesetzeslage zu schaffen, die angeblich für Rechtssicherheit im beinahe rechtsfreien Raum Internet sorgen werde.
Bis zuletzt hatte es noch ernsthafte Rangeleien im EU-Parlament gegeben. Liest man die Pressemeldung über die gestrige Diskussion zum Thema, so könnte man den Eindruck erhalten, dass das Gesetz von manchen als Verschärfung des Urheberschutzes gesehen wird, von manchen aber auch als Aufweichung desselben. Einer der Parlamentarier hatte den gesamten Vorgang um diese Richtlinie als "Ritt über den Bodensee" bezeichnet, ein etwas altertümlich erscheinender Vergleich, aber nichtsdestotrotz treffend. Denn an die 300 Lobby-Organisationen hatten in den letzten Tagen und Wochen versucht, Einfluss auf die Euro-Parlamentarier auszuüben, das entspricht einem halben Lobbyisten pro Parlamentarier. Das Pendel war im Verlauf des Meinungsbildungsprozesses wüst in verschiedene Richtungen ausgeschlagen, bis hin zu Extremen wie dem, das jedes private Kopieren verboten sein würde und sogar technische Zwischenkopien in Cache- und Proxy-Speichern urheberrechtsabgabenpflichtig seien.
Doch die endgültige Beschlussfassung lässt zumindest solche Horrorvisionen nicht Wirklichkeit werden. Der einzige Beschluss, der für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend sein wird, betrifft diese Art von "technisch notwendigen" Kopien. Zeitlich begrenzte Reproduktionen, die Teil eines "integralen und essentiellen technischen Vorgangs" sind, bleiben weiterhin abgabenfrei.
Doch grundsätzlich lässt sich sagen - zu diesem frühen Zeitpunkt kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung und ohne gleichzeitig mit einem EU-Rechts- und einem Urheberrechtsexperten gesprochen zu haben, was eigentlich Voraussetzung wäre, um einigermaßen sinnvoll über diese vertrakte Thematik schreiben zu können -, dass die angestrebte Richtlinie tatsächlich eine Verschärfung des Rechtsschutzes zu Gunsten der Rechteinhaber darstellt. In erster Linie wird eindeutig festgelegt, dass Rechteinhaber die Freiheit besitzen, über alle Formen von Reproduktion oder Aufführung ihrer Werke in der digitalen und vernetzten Welt zu entscheiden. Alles andere sind "Ausnahmen", über deren Zahl und Beschaffenheit es bis zuletzt ein Gerangel gab.
So wird das private Kopieren nach wie vor erlaubt sein, doch wie bei allen anderen Ausnahmen auch, muss es eine "angemessene Entschädigung" für die Rechteinhaber geben. Das verweist auf die möglicherweise bevorstehende europaweite Einführung pauschaler Abgaben für Medien, die dem Kopieren dienlich sein können. In deutschen Landen bereits wohlbekannt, z.B. in Form der Leerkassettenabgabe und der Abgabe für Scanner und Kopiergeräte, die von den Händlern dem Verkaufspreis aufgeschlagen werden, ist diese Art der Vergütung in Ländern wie Großbritannien ein völliges Novum. Der teilweise sehr vorsichtige Ton des "gemeinsamen Standpunkts zur Richtlinie" ist ein Resultat des Umstands, dass die Gesetzgebung diesbezüglich in Mitgliedsstaaten der EU sehr unterschiedlich ist und dass die einzelnen Staaten die jeweils eigene Gesetzgebung als notwendig zur Erhaltung ihres kulturellen Erbes ansehen.
Weitere wichtige Ausnahmen sind solche für Bibliotheken, wie auch Kopien für Forschung und Lehre, aber auch zu Zitatzwecken im Journalismus und bei Politikerreden und anderen urheberrechtlich geschützten Äußerungsformen, deren Verbreitung im öffentlichen Interesse ist. Doch wie schon erwähnt, sind diese Ausnahmen nicht völlig befreit vom Urheberrecht. Es muss immer für eine angemessene Entschädigung gesorgt sein - sprich Pauschalabgabe - und die Rechteinhaber haben eine Art automatisches Vetorecht.
Schlimmstenfalls können die User doppelt zahlen, nämlich indem sie eine Pauschale für alle Kopiergeräte zahlen, ob CD-Brenner, CD-Rohling oder Floppy Disk, aber auch deshalb, weil die neue Richtlinie explizit digitale Kopierschutzeinrichtungen begünstigt. Es heißt zwar, dass pauschale Vergütungsformen dann nicht zur Anwendung kommen sollen, wenn die Rechteinhaber ihre Werke in einer Form anbieten, dass Kopierschutzmaßnahmen implementiert sind, doch wer wird diese Art von Doppeltbesteuerung zu verhindern wissen? Es könnte also soweit kommen, dass man eine Art Leerkassettenabgabe für Festplatten zahlt, gleichzeitig aber für den Gebrauch digital geschützter Musikstücke zahlt, die ohnehin nicht oder nur beschränkt kopierbar sind.
Einen deutlichen Einfluss scheint auch die Diskussion um Napster auf die Gesetzgebung ausgeübt zu haben, wobei die Gerichtssentschneidung in den USA explizit in den Stellungnahmen der EU-Parlamentarier Eingang fand. Die Gesetzgebung ist darauf ausgelegt, dass Betreiber von Systemen wie Napster nicht wissentlich das Tauschen Copyright-geschützter Materialien durch ihre technischen Systeme ermöglichen dürfen. Das betrifft eigentlich jegliches Peer-to-Peer-Modell von Dateitausch.
Noch expliziter ist die Richtlinie bezüglich Tools und aktiver Handlungen zur Umgehung digitaler Schutzmaßnahmen. Eng angelehnt an den Digital Millennium Copyright Act, sollen also Tools zum Kopierschutzbrechen und Umgehungsmaßnahmen wie z.B. DeCSS in Zukunft im Gemeinschaftseuropa illegal sein. Um das zu präzisieren, solche Tools sind mit der vorliegenden Richtlinie noch nicht illegal, doch fordert sie die Einführung neuer Gesetze, die sie illegal machen werden.
Die EU-Parlamentarier einigten sich auch auf eine Verkürzung der Implementierungsfrist von 24 auf 18 Monate. Insgesamt scheint damit die Kopierschutzlobby gesiegt zu haben. Europa behält sich dabei zwar einige Ausnahmen vor, die zum Teil vom jeweiligen nationalen Interesse bestimmt sein können, doch Ausnahmen sind definitionsgemäß Ausnahmen. Anstatt die Möglichkeiten, die digitale Medien für einen freien Fluß des Wissens und der Information anbieten, zu ergreifen, wird der Spielraum für nicht explizite Kopien weiter eingeengt. Die Ausnahmen mögen eine Userrevolte und den finanziellen Kollaps des Bildungssystems gerade noch verhindern helfen, doch im Prinzip werden hier Hähne eher zu als aufgedreht.
Eine ausführlichere Beschreibung der verschiedenen Positionen und des Werdegangs dieser Gesetzgebung findet sich in "Kopieren verboten" von Stefan Krempl.