EU will eingefrorenes russisches Vermögen für Wiederaufbau der Ukraine verwenden
Von der Leyen: "Wir sollen nichts unversucht lassen"; Kritiker sprechen von "Bankraub". Update
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentierte gestern in der Davoser Höhenluft, wo die ukrainische Nationalhymne gesungen wurde, eine Idee, die zuvor in US-Publikationen und Think Tanks auftauchte.
Man werde mit Entschlossenheit der Ukraine helfen, "sich aus der Asche zu erheben", sagte von der Leyen in ihrer Rede. Dazu beabsichtige man eine Wiederaufbau-Plattform für die Ukraine.
"Wir sollten nichts unversucht lassen", so die Chefin der EU-Kommission, "einschließlich der möglichen Verwendung (eingefrorener) russischer Vermögenswerte".
Die Idee soll nun in einem Gesetzesvorschlag der EU umgesetzt werden, der heute in Brüssel vorgelegt werden soll. Laut dpa werde geprüft, ob "die (wegen westlicher Sanktionen eingefrorenen) Devisenreserven der russischen Zentralbank angezapft und einer neuen Bestimmung zugeführt werden könnten". Auch auf das eingefrorene Vermögen der russischen Oligarchen möchte man zugreifen, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren.
[Update: In der mittags publizierten Veröffentlichung der EU-Kommission zur Sache heißt es, "dass das Vermögen von Personen und Einrichtungen, die gegen die restriktiven Maßnahmen verstoßen, in Zukunft wirksam eingezogen werden kann". In einem ersten Schritt gehe es darum, dass Verstöße gegen EU-Sanktionen in die Liste der EU-Straftaten aufgenommen und zu einem Straftatbestand gemacht werden", teilte die EU-Kommissionspräsidentin mit.
Im Visier stehen hauptsächlich Oligarchen, die in der EU-Pressemitteilung herausgehoben erwähnt werden. Auch von der Leyens Twittermitteilungen zu den Vorschlägen weisen darauf hin.]
Vorschläge, dass auch eingefrorene Vermögen der russischen Zentralbank für den Wiederaufbau der Ukraine herangezogen werden sollten, kamen in der EU bisher von der polnischen Regierung und vom Hohen Vertreter der EU-Außenpolitik, Josep Borrell. Wie der Wirtschaftswissenschaftler Nicolas Véron und der Experte für Financial Crimes Compliance, Joshua Kirschenbaum, ausführen, steht diese Idee allerdings auf dünnem rechtlichem Boden.
Sie möge ja verführerisch sein, sie sei aber auch unnötig und unklug, so ihr Fazit. Dafür nennen sie fünf Gründe, die strategischer Natur sind. So zum Beispiel, dass darüber die Einigkeit im bislang - wenigstens halbwegs (siehe Ungarns Position in der Sache Ölembargo) - geschlossenen EU-Lager verloren gehen könnte. Weiter führen sie an, dass eine solche Beschlagnahmungsaktion von Vermögen zu Unsicherheiten in den Finanzmärkten führen könnte und dass der Zugriff auf russische Milliarden nicht zwangsläufig auch die Kriegsziele der Ukraine fördern würde.
Und sie nennen rechtliche Schwierigkeitsgrade:
Bei den Reserven der Bank von Russland handelt es sich um öffentliche Gelder. Auch wenn sie häufig damit verwechselt werden, sind diese Gelder doch etwas anderes als die eingefrorenen Vermögenswerte der sanktionierten Russen (die oft vereinfachend, aber bequemerweise als Oligarchen bezeichnet werden).
Bei den Vermögenswerten einiger Oligarchen wird vermutet, dass sie unrechtmäßig erworben wurden, aber sie genießen dennoch den Schutz, der Privateigentum gewährt wird.
Bei den Reserven der Bank von Russland handelt es sich dagegen um öffentliche Gelder, die weder unter diesen Schutz noch – im Kontext der Sanktionen – unter die Staatenimmunität fallen. Aber ihr Erwerb durch den russischen Staat, also im Prinzip im Namen des russischen Volkes, kann nicht grundsätzlich als unrechtmäßig angesehen werden.
Nicolas Véron, Joshua Kirschenbaum
Das wäre aus rechtlicher Sicht ein Bruch mit der regelbasierten Ordnung, "den die EU so gern beschwört", kommentiert der Brüsseler Korrespondent Eric Bonse. Er unterlegt dies mit einer Aussage des Völkerrechtlers Helmut Aust von der Freien Universität Berlin, wonach die Zentralbank-Reserven hoheitliche Gelder seien und damit "immunitätsgeschützt".
Man könne davon ausgehen, so Aust, "dass diese Reserven übergeordneten finanz- und volkswirtschaftlichen Zwecken der russischen Regierung dienen" (FAZ).
Nach Informationen der Südwestpresse hat die EU eine Reform des EU-Rechts vor, um die Regeln für die Konfiszierung und Wiedererlangung von Vermögenswerten zu ändern. Befugnisse nationaler Behörden zum "Aufspüren, Einfrieren, Einziehen und Verwalten von Erträgen aus Straftaten" sollen gestärkt werden.
Das mag für die Konfiszierung der Vermögen der superreichen Oligarchen in Anschlag gebracht werden, allerdings mit noch ungewissem Erfolg. Das Privatvermögen macht jedoch nur einen Bruchteil der eingefrorenen, bei westlichen Banken angelegten, geschätzt 300 Milliarden US-Dollar der Zentralbank aus.
Und das ist auch rechtlich eine andere Nummer, wie Finanzminister Lindner zu bedenken gibt. Auch zur Beschlagnahme von Privatvermögen äußerte sich der FDP-Politiker eher vorsichtig:
Finanzminister Christian Lindner sagte am Dienstag, Deutschland sei zwar offen für eine Debatte darüber, beschlagnahmtes russisches Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen. Man müsse aber zwischen Mitteln des Staates - wie etwa der Zentralbank - und privaten Mitteln unterscheiden. "In unserer Verfassung gibt es Garantien für Privatvermögen."
Südwestpresse
Beim G7-Treffen kam man deshalb auf die Idee, die Sache mit den Privatvermögen etwas in Richtung forcierte Freiwilligkeit zu drehen: Russische Oligarchen sollten sich aus eigenem Antrieb "von Sanktionen freikaufen".
Für die Vermögenswerte der Zentralbank gelten noch mal ganz andere Effekte. Würde das Geld der russischen Zentralbank nicht nur beschlagnahmt, was allein schon einen historischen Tabubruch darstelle, und in einem nächsten Schritt auch noch für den Wiederaufbau der Ukraine herangezogen, so wäre das "eine Art Bankraub, wie sogar Regierungsmitglieder in Berlin sagen", so Eric Bonse. Wahrscheinlich denkt man nicht nur in Berlin so.