EZB folgt US-Notenbank mit zweitem großen Zinsschritt

Seite 2: "Die Inflation wird bleiben"

Auch die EZB-Chefin Lagarde stellte fest, dass sich die wirtschaftliche Aktivität sich im dritten Quartal wahrscheinlich deutlich verlangsamt habe. Auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss in Frankfurt fügte sie zudem an: "Und wir erwarten eine weitere Abschwächung im weiteren Jahresverlauf und zu Beginn des nächsten Jahres."

Es ist wieder einmal fast Realsatire, hört man sich die Ausführungen der EZB-Chefin an, die inzwischen sogar von einer Inflationsrate über acht Prozent ausgeht. Sie musste also erneut ihre eigene Prognose nach oben korrigieren.

Doch noch immer versucht sie, positive Stimmung zu verbreiten und hält eine Rezession zum Beispiel für "unwahrscheinlich". Das ist das Wunschdenken, nach dem sie lange Zeit gegen jede Vernunft prognostiziert hatte, dass die Inflation bald wieder sinken werde.

Nun erklärt Lagarde eigentlich das eigene Scheitern: "Die Inflation ist viel zu hoch und wird es noch geraume Zeit bleiben", sagte sie nach der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstagnachmittag.

Inzwischen liegt die Teuerung also fünfmal so hoch, wie sie nach der Zielvorgabe der EZB sein dürfte. Auf die selbstgestellte Frage, ob die Zentralbank ihre "Aufgabe erfüllt" habe, antwortet sie sogar mit "Nein". Die Konsequenzen aus dem Scheitern will sie aber nicht ziehen. Sie tritt nicht zurück. Die Notenbank-Chefin artikuliert dagegen wolkig, dass es bis zu einer Normalisierung der Geldpolitik "noch viel zu tun gibt".

Man habe jetzt bekräftigt, dass der "künftige Weg und das Tempo bei den Zinsschritten auf der Basis der Datenlage entscheiden wird". Das werde man von Treffen zu Treffen tun. Somit hat Lagarde eigentlich bestätigt, dass bisher nicht eine Datenlage die bisherige Geldpolitik bestimmt hat, sondern Wunschdenken im Frankfurter Turm vorherrschte.

Die EZB müsse nun vor allem dafür sorgen, dass die Märkte und die Bevölkerung der Notenbank dahingehend vertraut, dass sie ihr Ziel von zwei Prozent erreicht. Sonst könnten die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen, denn dann würden sich die Preissteigerungen auf lange Sicht festsetzen.

Dabei passiert genau das, da allüberall Gewerkschaften zum Beispiel hohe Lohnforderungen stellen, weil sie dauerhaft von starken Kaufkraftverlusten der Beschäftigten ausgehen. Das kann man nicht den Beschäftigten anlasten, sondern einer EZB-Geldpolitik, die das provoziert hat.

Gegen Kritik, die zum Beispiel an den Zinserhöhungen aus ihrem Heimatland Frankreich auch von ihrem Freund und Präsident Emmanuel Macron kommt, erklärt Lagarde nun, die EZB müsse tun, was sie tun müsse.

Eine Zentralbank muss sich auf ihr Mandat fokussieren; unser Mandat ist Preisstabilität und wir müssen dieses Mandat erfüllen, und dazu alle Instrumente einsetzen, die uns zur Verfügung stehen.

Christine Lagarde

Man müsse die Mittel auswählen, die am angemessensten und effizientesten seien. Das ist deshalb Realsatire, da die Lagarde-EZB ihr Mandat seit dem Amtsantritt vernachlässigt und statt für Preisstabilität zu sorgen vor allem mit der Geldpolitik Konjunkturpolitik betrieben hat, was nicht das Mandat der Zentralbank ist.

Hätte man vor einem Jahr mit Leitzinserhöhungen gegengesteuert, hätte dies womöglich einen Effekt gehabt. Dass diese Erhöhungen jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, kurzfristig Wirkung entfalten können, das bezweifeln viele Experten.

Immer mehr Sektoren

Letztlich bezweifelt das auch die EZB selbst. Schaut man sich die Presseerklärung zu den Entscheidungen des EZB-Rats an, dann wird sehr deutlich, dass die Inflation inzwischen deutlich an Breite gewonnen hat: "Der Preisdruck manifestiert sich in immer mehr Sektoren."

So prognostiziert auch die EZB, dass die hohe Inflation die Realeinkommen privater Haushalte verringert und die Kosten von Unternehmen in die Höhe treibt. Sie wirkt weiterhin dämpfend auf Ausgaben und Produktion und treibt damit die Wirtschaft stärker in Richtung Rezession.

Dass die EZB-Geldpolitik zu einer Verschlechterung des Wechselkurses beigetragen und damit die Inflation weiter angetrieben hat, gibt man nebulös in Frankfurt auch zu: "Die Einkommen im Euroraum werden durch schlechtere Terms of Trade belastet, da die Importpreise rascher steigen als die Exportpreise."

Allerdings schiebt man dann wieder die Hauptlast auf die "hohen Energiekosten", die wiederum "auf die gesamte Wirtschaft durchschlagen". Das stimmt natürlich, doch ist das, wie das Schweizer Beispiel zeigt, bestenfalls nur die halbe Wahrheit.