Echelon im Bundestag: Abgeordnete drängen auf Spionageverbot
Nato-Truppenstatut keine geeignete Rechtsgrundlage für Bad Aibling
Vor dem Ausschuss für europäische Angelegenheiten im Bundestag haben gestern der britische Journalist Duncan Campbell sowie der brandenburgische Landesdatenschützer Alexander Dix über das Echelon-Spionagesystem ausgesagt. Damit beschäftigte sich der Bundestag zum ersten Mal mit Echelon - allerdings in einer nicht-öffentlichen Sitzung.
Das weltweite Spionagesystem Echelon wird von den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland betrieben. Das streng geheime Abhörsystem wurde 1948 gegründet, um die Sowjetunion zu überwachen. Die Staaten hören mit Hilfe von 120 Satelliten-Abhöranlagen Milliarden von Telekommunikations-Verbindungen auf der Erde nach militärischen und wirtschaftlichen Informationen ab. Ziel sind jedoch nicht nur Wirtschaftsorganisationen, sondern auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es noch nicht.
Aus dem Büro der grünen Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Europaabgeordneten der Grünen, Claudia Roth, hieß es, dass die meisten Abgeordneten den Ausführungen von Duncan Campbell mit staunenden Augen gefolgt waren. Insgeamt habe er einen "ausgezeichneten Eindruck" hinterlassen. Campbell hat für das Europäische Parlament den STOA-Bericht "Abhörmöglichkeiten 2000" verfasst, der teils auf den Rechercheergebnissen des Neuseeländers Nicky Hagers, teils auf eigenen Recherchen beruht.
Bundesregierung folgt US-Politik
Anders der Vertreter der Bundesregierung, Werner Müller aus der Abteilung 2 IS II A (IS = Innere Sicherheit) des Bundesinnenministeriums: Seine Ausführungen stießen auf ungläubiges Kopfschütteln auch der SPD-Abgeordneten. Müller folgte der Argumentation der US-Regierung, indem er behauptete, das Echelon-System sei ein Abhörsystem gegen Betrug und Verstöße gegen Embargobestimmungen. Dabei handele es sich nicht um Wirtschaftsspionage, sondern um Aktionen zu Gunsten des wirtschaftlichen Wohls des Landes.
Duncan Campbell wies hingegen darauf hin, dass die US-Regierung über Echelon gewonnene Informationen nicht nur in Bestechungs- und Korruptionsfällen an private Unternehmen weitergebe. Auch im Fall unzulässiger Einflussnahme, worunter die US-Regierung jede Form von Lobbying, Druck beziehungsweise Unterstützung versteht, sei dies bereits der Fall. Dadurch sei bereits in Europa ein volkswirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe entstanden. Für Campbell ist dieser Handelskrieg bereits "ein neuer Kalter Krieg".
1993 hatte die US-Regierung eine politischen Richtlinie verabschiedet, die umgangssprachlich unter dem Motto "das Spielfeld einebnen" bekannt wurde. In der Folge wurden neue Handels- und Wirtschaftskomitees eingerichtet. Die NSA und die CIA sollten für US-Geschäfte bei ausländischen Vertragsverhandlungen unterstützend tätig sein. In Großbritannien gab das GCHQ-Ermächtigungsgesetz von 1994 als eines seiner Zwecke an, "das ökonomische Wohlergehen des Vereinigten Königreichs in Beziehung zu Aktionen oder Absichten von Personen außerhalb der britischen Inseln" zu fördern.
Reichard Boucher, Sprecher des US-Außenministeriums wies am selben Tag die Vorwürfe zurück: "Die Vortellung, dass wir Informationen zur Unterstützung der amerikanischen Unternehmen sammeln, ist ganz einfach falsch." Druck erhält die USA jetzt auch seitens Frankreich. Dort setzte die französische Justiz Agenten der Spionageabwehr auf das Lauschsystem an.
Nato-Truppenstatut keine geeignete Rechtsgrundlage
Ein Schwerpunkt der Aussagen bezog sich auf die Rechtsgrundlage von Abhörstationen wie Bad Aibling. So geht aus der Antwort auf die kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Hans-Joachim Otto hervor, dass das Nato-Truppenstatut seitens der Bundesregierung als Rechtsgrundlage angesehen wird. Aufgrund der deutlichen Verlegung auf Wirtschaftsspionage, wie es unter anderem aus Aussagen des ehemaligen CIA-Chefs James Woolsey hervorgeht, sei, so Dix, die NSA kein rein militärischer Geheimdienst. Insofern sei auch das Nato-Truppenstatut, das Aufklärung zur Sicherung der eigenen Truppen erlaubt, nicht die passende Rechtsgrundlage. Zudem verstoße Echelon nicht nur gegen deutsches, sondern auch gegen europäisches Gemeinschaftsrecht.
Die Juristin Antje Endell wies in einem Betrag für die Zeitschrift DUD darauf hin, dass alliierte Sonderrechte auf dem Gebiet der Telekommunikation seit Inkrafttreten des G-10-Gesetzes 1968 nicht mehr bestehen:
"Laut einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bundesverteidigungsminister und dem Oberbefehlshaber des US-Heeres in Europa und der 7. Armee über die Benutzung von Standortübungsplätzen und Standortschießanlagen, die den US-Streitkräften gemäß dem Zusatzbekommen zum Nato-Truppenstatut zur ausschließlichen Nutzung überlassen sind [BT Drs. 12/6477], befindet sich die Abhöreinrichtung in Bad Aibling in einem dem Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut (ZA-NTS) [vom 3.8.1959 und 28.3.1993] unterfallenden Kasernenbereich."
Laut Artikel 60 des ZA-NTS gibt es für Fernmeldeanlagen und -dienste, Rundfunk- und Fernsehsender sowie -empfangsanlagen eine Sonderregelung. Demnach darf eine Truppe - soweit dies für militärische Zwecke erforderlich ist - Funkempfangsanlagen betreiben. Deutsche Behörden haben zwar ein erweitertes Zutrittsrecht, müssen dabei jedoch die Erfordernisse der militärischen Sicherheit und insbesondere die Unverletzlichkeit von Räumen, Einrichtungsgegenständen und Schriftstücken, die der Geheimhaltung unterliegen, berücksichtigen.
Falls es zu einem Streit kommt, können die Parteien die Einsetzung einer beratenden Kommission verlangen, die Lösungsvorschläge erarbeitet. Dazu können auch externe Schlichter oder Gutachter beauftragt werden. Die Lösung muss allerdings nicht akzeptiert werden. In diesem Fall wird das Problem zur "umgehenden Beilegung" an die diplomatischen Kanäle verwiesen.
Laut Endrell gibt es allerdings bis heute innerhalb der Nato ein faktisches Zwei-Klassen-Recht mit Vorrechten für die Großmacht USA und für Großbritannien. Zuletzt habe sich das im Kosovo-Krieg bewiesen, als die USA und Großbritannien den Befehl des Nato-Oberbefehlhabers kassierten, den Flughafen Pristina zu besetzen.
Campbell wies den Ausschuss darauf hin, dass Aufklärungsaktivitäten nicht nur von der Station in Bad Aibling, sondern auch von dem Information-Distribution-Center in Wiesbaden sowie einer Anlage in Berlin-Tempelhof aus betrieben werden. Die Parlamentarische Kontroll-Kommission stellte zuletzt bei ihrem Besuch im Mai in Bad Aibling fest, dass die Antennen in Richtung der GUS-Staaten sowie Osteuropa ausgerichtet seien. Campbell wies hingegen darauf hin, dass die Fernmeldekommunikation in Deutschland von Stationen in Großbritannien aus überwacht werde. Allerdings hätten die Aktivitäten seit 1997/98 nachgelassen.
Keine Beweise für Echelon-Wirtschaftsspionage
Der Vertreter des Bundesinnenministeriums Müller sagte, das Ministerium sei allen im STOA-Bericht vom Campbell aufgeführten Fällen nachgegangen. Im Fall Enercon habe sogar der Generalbundesanwalt ermittelt. Dabei habe es sich jedoch um eine normale Form der Industriespionage gehandelt. In diesem Fall wie auch in den anderen Fällen gäbe es keine Belege für eine Beteiligung der NSA oder der Geheimdienste anderer UKUSA-Staaten.
Europa setzt auf Lauschabwehr
Nach Aussage von Alexander Dix ist eine europaweite Einigung notwendig, um das Problem anzugehen. So müsste eine Vereinbarung beziehungsweise eine Absichtserklärung beschlossen werden, die beinhaltet, dass innerhalb der Europäischen Union keine Wirtschaftsspionage betrieben wird. Zusätzlich müsse die EU gemeinsame Kryptorichtlinien entwickeln.
Auf Initiative des Bundesinnenministers Otto Schily hat der Europäische Rat für Justiz und Inneres kürzlich beschlossen, eine pfeilerübergreifende Ad-Hoc-Arbeitsgruppe einzurichten. Die Gruppe wird sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit Bürger mit Hilfe von Verschlüsselungsmitteln oder anderen Methoden ihre private Kommunikation schützen können.
Nach Ansicht von Otto Schily müsse dabei auch das Interesse der Strafverfolgungsbehörden berücksichtigt werden. Dix betonte, dass damit aber nicht automatisch die Interessen der Geheimdienste gemeint seien. Die Krypto-Debatte wird in Deutschland spätestens im Frühjahr nächsten Jahres eröffnet. Dann ist die Zwei-Jahres-Frist abgelaufen, die in den deutschen Kryptoeckwerten von 1999 festgelegt worden war.
Die Lauschabwehr mit Hilfe von Kryptografie wird auch ein Thema des am Mittwoch beschlossenen vorläufigen Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments sein. Er wird sich jedoch auch um die Verifizierung der STOA-Berichte kümmern. Die Grünen konten sich mit ihrer Forderung nach Einsetzung eines ordentlichen Untersuchungsausschusses aufgrund des Widerstandes der britischen Abgeordneten nicht durchsetzen.
Grüne fordern Spionageverbot
Die grünen Bundestagsabgeordneten Claudia Roth und Christian Sterzing kündigten bereits an, dass auch im Deutschen Bundestag weiter über Echelon debattiert werde. Sie forderten die Bundesregierung auf, "rasch und konsequent mit den USA und den EU-Mitgliedstaaten ein allseitiges Verbot auszuhandeln, Menschen in diesen Ländern nicht gegenseitig auszuspionieren".