Echelon oder wie sich Information (nicht) verbreitet

Geheimhaltung ist stets Zeichen einer schlechten Regierungspolitik

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Mein Buch Secret Power aus dem Jahre 1996 über die Rolle Neuseelands im Echelon-Netzwerk wurde im Geheimen geschrieben; da ich befürchten musste, dass die Geheimdienste die Veröffentlichung des Buches, das auf ausführlichen Interviews mit Geheimdienstmitarbeitern beruhte, zu verhindern suchen würden. Ich legte viel Sorgfalt darauf, die Treffen mit meinen Quellen geheim zu halten, versteckte meine Interviewnotizen und -dateien jahrelang und erzählte davon nur meinen engsten Freunden. Ich hatte das Gefühl, dass ich es mit etwas sehr Machtvollem zu tun hatte, das einmal der Welt enthüllt, die neuseeländischen Geheimdienste ernsthaft in Bedrängnis bringen konnte (Wie ich Echelon erforscht habe).

Meine Verleger und Anwälte waren damit einverstanden, dass die Veröffentlichung eine totale Überraschung sein sollte. Das Buch wurde schließlich innerhalb von nur zwei Tagen gedruckt, gebunden und an die Buchläden verschickt, um das Risiko zu minimieren entdeckt und behindert zu werden. Exemplare wurden ins Ausland verschickt, um jede rechtliche Unterdrückung zu verhindern und keine Presseöffentlichkeit wurde zugelassen, bis die Bücherkisten die Buchläden erreicht hatten. Und tatsächlich ging es wie eine Bombe hoch: Das Buch war sofort in ganz Neuseeland in den Hauptnachrichten und erzeugte auch in verschiedenen anderen Ländern Öffentlichkeit. Die Verleger mussten zwei weitere Auflagen in den folgenden Tagen nachdrucken. Am Morgen der Veröffentlichung hielten die Leiter der neuseeländischen Geheimdienste im Büro des Premierministers eine Notfallsitzung ab. Alarmiert lasen sie das Buch und diskutierten, ob man den Vertrieb mit rechtlichen Mitteln stoppen könnte.

Dann, nach einigen Tagen spektakulärer Öffentlichkeit, verschwand das Buch aus der Aufmerksamkeit der Medien - und hatte kaum etwas am Status Quo verändert. Das Medieninteresse erstarb so schnell, wie es erwacht war. Die Geheimdienste und die Regierung hatten beschlossen, die Veröffentlichung nicht zu verhindern. Zweifellos erinnerten sie sich an einen früheren Versuch das britische Buch "Spycatcher" zu unterdrücken. Erst das hatte dafür gesorgt, dass aus ihm ein Bestseller geworden war. Stattdessen verlegten sie sich auf die subtilere Taktik, es einfach zu ignorieren. Die Regierung verweigerte jeden Kommentar. Die Minister sagten nicht, ob es falsch oder richtig war, sie sagten einfach nichts.

Die Geheimdienste wissen, wie effektiv diese Taktik ist. Denn die Medienkonvention der Kontroverse benötigt zwei Teilnehmer. Eine einseitige Debatte, in der die Hauptteilnehmer sich verweigern, stirbt schnell. Die Regierung zitierte nur die "lang etablierte Gepflogenheit, keine Stellungnahme zu Angelegenheiten der Geheimdienste abzugeben" - dies ist zwar ein Affront für eine demokratische Regierung, nichtsdestoweniger aber effektiv. Einige wenige konservative Kommentatoren, sowie ehemalige Geheimdienstbeamte, die sich nun im akademischen Bereich aufhielten, kommentierten es, sagten jedoch aber nur, dass in dem Buch nichts Neues sei. Dann Stille.

Es tröstete mich, dass Leute innerhalb der Geheimdienste meine Recherchen bestätigten; von all den Hunderten detaillierten Fakten im Buch gab es nur eine Handvoll trivialer Fehler (so zum Beispiel das Datum, an dem einige Geheimdienstbeamte versetzt wurden). Auch zeigten sich Leute in der ganzen Welt, die sich für Geheimdienste interessierten, begeistert über die neuen Informationen im Buch. Aber nach einer Weile musste ich akzeptieren, dass Jahre der Arbeit, die ich in das Buch investiert hatte, zu überhaupt keiner Veränderung bei den neuseeländischen elektronischen Spionagediensten geführt hatten, und dass sich auch die öffentliche Diskussion zu diesen Themen nicht wirklich geändert hatte: Die neuseeländische Regierung wiederholte ihre üblichen Ausreden und Falschinformationen über Aufklärungsoperationen, als ob das Buch nie geschrieben worden war.

Darin liegt eine wichtige Lehre: Schon zuvor waren Informationsbruchteile über das Echelonsystem nach Außen gedrungen. Vor allem in Duncan Campbells Artikel von 1988 (Inside Echelon), aber auch in einigen anderen britischen Nachrichten aus den frühen 90er Jahren, die ich während meiner Recherche entdeckte. Britische und US-amerikanische Geheimdienstbehörden hatten sich auch damals hinter der "lang etablierten Gepflogenheit" versteckt und diese Nachrichten waren im Sande verlaufen. Die Enthüllungen in jedem Fall kamen und verschwanden wieder innerhalb eines oder zweier Tage, erzeugten eine kleine politische Debatte, wurden miteinander nicht einmal in Verbindung gebracht und hinterließen außer bei den wenigen Spezialisten, die Zeitungsausschnitte zu solchen Themen archivieren, keinen bleibenden Eindruck. Die Lehre ist also folgende: Information, die den Status Quo herausfordert, bedroht oder besorgt die Mächtigen so lange nicht, so lange sie auf einige wenige Leute beschränkt bleibt. So lange "gefährliche" Informationen in Veröffentlichungen oder Büchern mit kleiner Auflage verbreitet werden - von den Behörden unbestätigt und nicht anerkannt -, kann man mit ihnen umgehen, da sie praktisch nur wenig Wirkung zeigen. Das erste Jahr nach meiner Buchveröffentlichung war eine ernüchternde Bestätigung dieser Realität.

Aber Informationen verbreiten sich auf unvorhersehbare und überraschende Weise. Nachdem die Geschichte in Neuseeland im Sande verlaufen war, schrieb ich einen Artikel für das US-amerikanische Magazin "Covered Action Quarterly" (CAQ), der auf meinem Buch basierte. Darin stellte ich die Details des Echelon-Netzwerkes dar, so wie sie mir von neuseeländischen Geheimdienstangestellten erzählt worden waren. Ich erklärte, dass fast jeder Aspekt der neuseeländischen Spionagetätigkeit ein kleiner Teil eines Netzwerkes unter US-Regie darstellte, das die Enthüllung allianzweiter Spionagesysteme und Projekte im Südpazifik ermöglichte. Der Artikel wurde von Spezialisten und "alternativen" Leuten gut aufgenommen, aber nicht darüber hinaus.

Dann, ein Jahr nachdem dieser Artikel veröffentlicht wurde und ich mich anderen Rechercheprojekten gewidmet hatte, wurde Echelon fast zufällig auf einen Schlag bekannt. Der CAQ-Artikel wurde von einem britischen Forscher entdeckt, der den Bericht Eine Beurteilung der Technologien politischer Kontrolle für die Bürgerrechtskommission des Europäischen Parlaments vorbereitete. Der Bericht beschäftigte sich mit allem - angefangen von polizeilichen Kontrolltechnologien für Aufstände bis hin zu Videoüberwachung - aber die größte Nachricht im Bericht war dieses Überwachungssystem namens Echelon. Ich erinnere mich genau daran, wie eines Tages im Januar 1998 mein Telefon anfing zu klingeln, da nun europäische Journalisten die Echelon-Geschichte verfolgten, und es hörte für Wochen nicht auf zu klingeln. All die Nachrichten und Auseinandersetzungen seither sind die Folge dieses Berichts. Eineinhalb Jahre nach dem es keine Nachrichten mehr über mein Buch gab - unterstützt durch das kalkulierte Schweigen der beteiligten Regierungen - hatte der Bericht des Europäischen Parlaments Echelon zu einer offiziellen Angelegenheit gemacht.

Da ich mich lange mit Spionage und Aufklärung beschäftigt habe, ist mir allzu bewusst geworden, wie selten verlässliche Informationen zu diesen Themen je die Öffentlichkeit erreichen. Viele der kleinen Enthüllungen, die in den Nachrichten landen, wurden von den Diensten geplant, Bruchteile der richtigen Information sickern aus hochgeheimen Behörden heraus. Sie bleiben normalerweise verstreut, werden verleugnet und falsche Information werden Jahr für Jahr in den Nachrichten wiederholt, so das es nichts substantielleres gibt. Die laufende Debatte über die Geheimdienste, veranlasst durch die Informationen über Echelon ist deshalb eine seltene und wichtige Gelegenheit, die man nutzen muss.

Ich glaube, dass Menschen die von Menschen geschaffene Technologie kontrollieren können. Aber es gibt immer eine zeitliche Verzögerung, währenddessen die Leute mehr über die Implikationen der neuen Technologien erfahren, sie in der Öffentlichkeit debattieren und Ideen zu ihrer Kontrolle entwickeln. Im Fall von Nachrichtendiensten behindert Geheimniskrämerei oft diesen Vorgang. Sobald die Nachrichtendienste die Herausgabe von Informationen verweigern, die eine ernste Debatte über Geheimdienstaktivitäten erlauben würde, wird die öffentliche Debatte wie ein Witz abgetan - als ob es die Domäne von Verschwörungstheoretikern wäre, über Nachrichtendienste zu reden. Findet diese Debatte nicht statt, werden Nachrichtendienste vor politischer Verantwortlichkeit und Kontrolle geschützt.

Genau deshalb muss die aktuelle Debatte über Echelon genutzt werden. Die Information, die an mich und andere durchgesickert ist, ermöglicht seit Jahrzehnten die erste wirklich öffentliche Untersuchung darüber, wie elektronische Spionagedienste kontrolliert und wie neue Möglichkeiten zum Schutz der Privatsphäre und Bürgerrechte entwickelt werden können - zum Beispiel könnte daraus eine öffentliche Nachfrage für sichere Kommunikation seitens der Telekommunikationsbetreiber entstehen. Es ist vermutlich für viele Jahre die beste Möglichkeit, um ein öffentliches Verständnis für Überwachungstechnologien zu entwickeln und entsprechende Kontrollen einzusetzen.

Die Kapazitäten des Echelonsystems werden natürlich ständig erweitert. Als mein Buch 1996 bereits vor der Fertigstellung stand, erzählten mir Geheimdienstmitarbeiter über neue Pläne für Waihopai die neuseeländische Station, welche die pazifische Satellitenkommunikation als Teil des Echelonnetzwerkes überwacht: 1998 und 1999 wurde für 3,5 Millionen Dollar die Station erweitert - inklusive einer dritten Abhörantenne, die Waihopai zur primären Station im Südpazifik für das Abhören von Intelsat-Satelliten macht. (Fußnote: Diese Entwicklung führte dazu, dass die Schwesterstation in Westaustralien sich nun der Überwachung der asiatischen und indischen Ozeansatelliten widmen kann.)

Als unsere Regierung den neuen Bau ankündigte, bemerkte sie an, dass diese Entwicklung eine kleine Änderung im Verbrechensgesetz erfordere, um den Stationsbetrieb innerhalb des neuseeländischen Gesetzes zu gewährleisten. Da die Gesetzesänderungen sich ganz speziell auf die Legalisierung der durch diese Station durchgeführten Telefonüberwachung bezogen, war dies praktisch das offizielle Eingeständnis, dass sich die Aufgaben der Station mit der neuen Antenne auf den Bereich der Telefonüberwachung erweiterten. Bis dahin hatte die Station nur Email, Fax und andere geschriebene Kommunikation abgehört und verarbeitet.

Als ich das Buch fertig stellte, versuchte ich zu klären, wie es mit den Telefonüberwachungskapazitäten von Echelon aussah. Da die neuseeländische Behörde 1996 keine Telefonate abhörte, konnten meine Quellen mir nicht erzählen, was woanders im Netzwerk geschah. Es ist immer noch unklar, wie weit die westliche Aufklärungstechnologie entwickelt ist; es ist unwahrscheinlich, dass in Realzeit Telefongespräche massenweise nach Schlüsselwörtern durchsucht werden wie es bei schriftlicher Kommunikation der Fall ist. Nachdem im letzten Jahr für die Telefonüberwachung die neue Computer- und Elektronikausrüstung in Waihopai installiert wurde, ist der Beweis erbracht, dass Telefongespräche definitiv Teil der automatischen Überwachungsmöglichkeiten von Echelon sind - vermutlich zielen sie auf einzelne Telefonnummern, digitale Stimm-Profile sowie Gesprächsaufzeichnung. Alles was beim kleinsten Mitglied der Allianz, Neuseeland, geschieht, geschieht auch beim Rest der Welt.

Bis heute haben sowohl Konservative als auch linke Regierungen jede öffentliche Untersuchung der neuseeländischen Rolle bei Echelon verweigert. Sie haben nicht einmal zugegeben, dass Echelon existiert. Die Diskussionen des Europäischen Parlaments über Echelon haben eine Debatte in der Öffentlichkeit und den Medien in Neuseeland hervorgerufen, aber die Regierung hat bislang dem Parlament keine eigene Untersuchung genehmigt. Der Grund dafür ist klar: Die im November 1999 gewählte Labour-Alliance-Koalition verfolgt eine recht fortschrittliche und unabhängige Außenpolitik; zum Beispiel will sie unser Militär in eine Friedenstruppe umwandeln. Aber die nachrichtendienstlichen Verbindungen zur westlichen Allianz sind sehr fest und die Regierung weiß, dass sie einen bitteren Kampf mit den Vereinigten Staaten riskiert, wenn sie die Rolle Neuseelands in den Geheimdienstvereinbarungen ändern wollte.

Als kleinstes Mitglied der US-amerikanischen Nachrichtendienst-Allianz fühlen sich die leitenden neuseeländischen Geheimdienstbeamten ein wenig unsicher. Sie liefern alles, was die US-amerikanische National Security Agency (NSA) verlangt und vermeiden jede Störung, damit Neuseeland im Club bleiben kann. Ironischerweise bedeutet dies, dass am ehesten als Reaktion eine Untersuchung der Veränderungen von Echelon in Neuseeland auf die Veränderungen in Europa und in den USA stattfinden wird, die jedoch ihrerseits eine Konsequenz der neuseeländischen Enthüllungen sind.

Meine Haltung gegenüber der Regierung hat sich verändert, seitdem ich mich mit Geheimdienstaktivitäten beschäftige. Ich glaube, dass Geheimhaltung in Demokratien und nichtdemokratischen Regimen die Basis für eine schlechte Regierung und für unethisches Geschäftsgebaren ist. Ich habe den Eindruck, dass es mit der Geheimhaltung und der weniger offenen Regierung in den 90er Jahren der "neuen Rechte" noch schlimmer geworden ist. Geheimhaltung ist der Schlüssel, um die Öffentlichkeit von Entscheidungen fern zu halten, die ihr Leben betreffen, und sie ermöglicht unethisches, grausames oder korruptes Verhalten. Geheimhaltung wiegt auch diejenigen an der Macht in Sicherheit, die nicht die Wahrheit sagen - was in öffentlichen Stellungnahmen über Geheimdienste und viele andere Themen regelmäßig geschieht. All das macht die Enthüllung von Geheimnissen - in allen Gebieten des politischen Lebens - zu einer wesentlichen demokratischen Aufgabe.

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dort wo Informationsfreiheitsgesetze unzulänglich sind - und im Geheimdienstbereich sind sie es immer - auch eine mächtige demokratische Schutzfunktion versagt: Wo Einzelne - der Öffentlichkeit Verpflichtete - innerhalb der Regierung oder Firmenorganisationen mutig genug sind, wichtige Informationen an Journalisten und Politiker herauszugeben. Das sollte aber nicht die Art und Weise sein, wie wir an wichtige Informationen herankommen. Heute ist es oft genug die einzige Option.

Mein letztes Buch, - das1999 in Neuseeland und 2000 in den USA veröffentlicht wurde - illustriert ebenfalls die Rolle der illegalen Informationsübermittlung. Es deckt die Taktiken auf, Exposé der Taktiken, die von Public-Relations Firmen benutzt werden, um öffentliche Kampagnen zu untergraben und zu bekämpfen im Sinne ihrer Kunden in der Wirtschaft. Genau wie bei Geheimdienstoperationen legten offenbar angesehene Firmen Wert auf Geheimhaltung, um Aktivitäten zu verbergen, die sie nicht einmal im Traum öffentlich begangen hätten. Aber es war nur ein einziger prinzipientreuer Verräter nötig, der Hunderte von internen Dokumenten fotokopierte, um eine wichtige Fallstudie politischer Manipulation durch PR-Firmen zu ermöglichen.

Am Ende des Buches habe ich einen Leitfaden angefügt, der beschreibt, wie man Informationen auf sichere und ethische Weise weitergeben kann - Sie können das auch unter www.homestead.com/whistleblower/ lesen. Wenn die Öffentlichkeit, Technologien wie Echelon kontrollieren will und ihren Einfluss im 21. Jahrhundert geltend machen möchte, spielen Werkzeuge für den Umgang mit der derzeitigen Kultur der Geheimhaltung eine unerläßliche Rolle.

Aus dem Englischen übersetzt von Christiane Schluzki-Haddouti