Ein Drehbuch für James Bond
Die Briten stellten einen Auslieferungsantrag für Lugowoj, der nun behauptet, der britische Geheimdienst MI6 habe Litwinenko ermordet
Am Freitag, den 26. Mai war es soweit – die Briten stellten an Russland offiziell einen Auslieferungsantrag für Andrej Lugowoj, gegen den in Großbritannien Anklage erhoben worden ist. Wie die britische Generalstaatsanwaltschaft erklärte, wird Lugowoj des Mordes an Alexander Litwinenko verdächtigt. Doch wie zu erwarten, weigert sich Russland, Lugowoj an die Briten auszuliefern, da nach russischer Verfassung russische Bürger nicht an andere Staaten ausgeliefert werden können. Dieses Hickhack zwischen den Justizbehörden des Landes erlaubt weiterhin, neue Gerüchte um den Mord an Litwinenko zu setzen. Mittlerweile behauptet Lugowoj, der britische Geheimdienst MI6 habe Alexander Litwinenko ermordet.
Den Mord an Alexander Litwinenko hätten die Drehbuchautoren der James Bond-Filme nicht besser inszenieren können. Der Tod des ehemaligen FSB-Agenten und Putin-Kritikers hatte alles, um die Weltöffentlichkeit in seinen Bann zu ziehen – er war mysteriös und voller Verschwörungstheorien. Dafür sorgte nicht nur die Todesursache, Vergiftung mit Polonium 210, sondern auch die Tatsache, dass die in London lebenden Exil-Russen, allen voran der ehemalige Oligarch Boris Beresowskij, den Kreml verdächtigten, hinter der Tat zu stecken. Gerüchte, die in der Welt auf Gehör trafen (Operation Litwinenko. Der einige Wochen vorher stattgefundene Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja, den Alexander Litwinenko angeblich aufklären wollte, nährte diese Gerüchte, da die Machthaber im Kreml sich erst spät zu dem Mord an der regimekritischen Journalistin äußerten (Der Tod des freien Wortes).
Nach 6-monatiger Untersuchungsarbeit meinen Scotland Yard und die britische Staatsanwaltschaft nun aber den wahren Mörder Litwinenkos zu kennen. Am 22. Mai gab der Chef der britischen Staatsanwaltschaft Ken MacDonald auf einer Pressekonferenz bekannt, dass gegen den russischen Geschäftsmann Andrej Lugowoj Anklage wegen Vergiftung erhoben worden ist, gleichzeitig forderte er Lugowojs Auslieferung nach Großbritannien.
Der einstige Agent und heutige Chef eines Sicherheitsunternehmens Andrej Lugowoj geriet früh ins Visier der britischen Ermittler. Zusammen mit Dimitrij Kowtun traf er sich im Restaurant des Londoner Hotels "Millenium" mit Litwinenko, wo sie gemeinsam Tee tranken. Bei dieser Gelegenheit soll der Ex-Agent, der 2000 nach Großbritannien floh, vergiftet worden sein. Die Polonium-Spuren, die in dem Restaurant und dem Flugzeug, in dem Lugowoj wieder zurück nach Moskau flog, gefunden wurden, machten Lugowoj und Dimitrij Kowtun für die britischen Behörden verdächtig. Dabei spielte es keine Rolle, dass beide selber medizinisch behandelt werden mussten und nach ihrer Krankenhausentlassung ihre Unschuld immer wieder öffentlich beteuerten – einmal in einem Interview für den Fernsehsender "Russia Today", der sein Programm ins Ausland sendet, und ein zweites Mal bei "Echo Moskwy". Am 22. Mai, an dem Tag an dem in London gegen ihn Anklage erhoben worden ist, stellte sich Lugowoj ein drittes Mal den Medien, um noch einmal zu versichern, Litwinenko nicht ermordet zu haben und sich selber als Opfer politischer Machenschaften darzustellen.
Russland verweigert die Auslieferung
In London stoßen diese Unschuldsbeteuerungen auf wenig Gehör. Wenig Gehör findet in Moskau aber auch die Forderung MacDonalds, Lugowoj nach Großbritannien auszuliefern. Bereits im vergangenen Jahr hatte der russische Generalstaatsanwalt Jurij Tschaika eine Auslieferung Lugowojs ausgeschlossen. Und auch am letzten Dienstag war aus Moskau nur ein klares Nein zu vernehmen. Wie die russische Generalstaatsanwaltschaft mitteilte, können russische Bürger gemäß Artikel 61 der Verfassung nicht an andere Staaten ausgeliefert werden. „Ein Bürger Russlands, der ein Verbrechen auf dem Territorium eines anderen Staates begeht, kann auf Antrag dieses Staates hin zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden, aber nur auf dem Territorium Russlands, sofern die russische Gesetzgebung eine Strafe für derartige Verbrechen vorsieht“, sagte die offizielle Sprecherin der russischen Generalstaatsanwaltschaft Marina Gridnewa.
Russland ist vielmehr daran interessiert, seine eigenen Untersuchungen in dem Fall fortzuführen. Schon kurz nachdem britische Beamte ihre Ermittlungen aufnahmen, die auch mit Verhören in Russland verbunden waren, rief Moskau eine eigene Untersuchungskommission ins Leben. Diese konzentrierte sich wiederum auf Ermittlungen in London, wo unter anderem Boris Beresowskij und andere russische Exilanten befragt. Mit einem Ergebnis, das sich nicht besonders von dem des Scotland Yard unterscheidet. Wie dem Verhörprotokoll von Beresowkij zu entnehmen ist, welches Anfang Mai in der russischen Tageszeitung "Kommersant" veröffentlicht wurde, wird auch in diesen Befragungen Lugowoj der Tat beschuldigt.
Doch ob dies für die Russen ausreicht, ist fraglich. Russland betrachtet die britischen Ermittlungen nur als eine Ergänzung zu den eigenen, um sich dann selber ein Bild von dem Fall zu machen. „Nach dem Eingang werden diese Dokumente wie auch alle Anschuldigungen an die Adresse des russischen Bürgers aufmerksam geprüft. Dabei wird auch der Straffall Alexander Litwinenko mitberücksichtigt, der von der Generalstaatsanwaltschaft Russlands untersucht wird“, sagte Marina Gridnewa, Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft in Moskau am 22. Mai.
Mit dieser Haltung Russlands, rechnete die britische Regierung von Anfang an. Noch am selben Tag, an dem Ken MacDonald seine Pressekonferenz abgehalten hat, rief die britische Außenministerin Margaret Beckett den russischen Botschafter zu sich, um ihm mitzuteilen, dass das Vereinigte Königreich von Moskau eine Zusammenarbeit im Fall Lugowoj erwartet, sprich seine Auslieferung. Auch aus der Downing Street sind diese Töne zu hören. Doch hier weiß man, dass diese auch internationale Konsequenzen haben könnten. Wie der Sprecher von Tony Blair auf einer Pressekonferenz bekannt gab, macht man sich durchaus Gedanken über die außenpolitischen Konsequenzen, die die Auslieferung Lugowojs haben könnte, da ohne Russland keine gemeinsame Lösung für den Iran, den Kosovo und den Klimawandel gefunden werden kann. Doch gleichzeitig verbietet es der „Respekt vor der Justiz“, aus diesen Gründen nachzugeben und auf das Recht zu verzichten, wie der Sprecher Blairs klarstellte.
Am 26. Mai stellte Großbritannien nun auch offiziell einen Auslieferungsantrag an Russland. Wie zu erwarten, bisher ohne jegliche Reaktion. Britische Richter könnten lediglich an einem Prozess gegen Lugowoj in Russland teilnehmen, erklärte der Chef des Sicherheitsausschusses der Staatsduma, Wladimir Wassiljew. Doch wie Wassiljew klarstellte, würde in Russland nur dann Anklage gegen Lugowoj erhoben werden, wenn russische Ermittler dafür Gründe hätten.
Dafür sorgte Wassiljew mit einer anderen Bemerkung für sehr viel Aufsehen und zeigte, dass Lugowoj nicht nur wegen der russischen Verfassung nicht nach Großbritannien ausgeliefert wird. Russland könne dann Lugowoj nach Großbritannien ausliefern, wenn im Gegenzug die Briten Boris Beresowskij an die Russen ausliefern, sagte der Duma-Abgeordente. Seit mehreren Jahren verlangt Moskau eine Auslieferung des in London lebenden Ex-Oligarchen, gegen den ein Haftbefehl in Russland besteht, was die Justiz des Königreichs aber bisher verweigert. Die russische Generalstaatsanwaltschaft lehnt einen solchen Tausch aber ab. „Was Beresowskij angeht, so ist unser Auslieferungsantrag gegen ihn wohl begründet und wir rechnen damit, dass Beresowskij über kurz oder lang überstellt wird“, hieß es in der russischen Generalstaatsanwaltschaft.
Neue Gerüchte und Verschwörungstheorien
Dieses Hin und Her wird es nun weiter erlauben, bestimmten Kreisen neue Gerüchte und Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen. Beresowskij, gemeinsam mit dem russischen Exilanten Alexander Goldfarb, warnt öffentlich vor einem Mord an Alexander Lugowoj. Da er angeblich zu viel wisse, könne er für den Kreml und den russischen Geheimdienst zu gefährlich werden. Bei dieser Mutmaßung spielt es auch keine Rolle, dass die britischen Behörden keine Hinweise für eine Beteiligung des FSB an dem Mord an Litwinenko haben. Dafür versucht Lugowoj nun selber einen neuen Verdacht in die Welt zu setzen. Am Donnerstag beteuerte der Tatverdächtige noch einmal seine Unschuld und erklärte dabei, Litwinenko sei Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes MI6 gewesen, ebenso wie Beresowskij, und habe versucht, ihn anzuwerben. Und wie Lugowoj erklärte, könne er sich durchaus vorstellen, dass der britische Geheimdienst selber hinter dem Mord an Litwinenko stecke, dafür habe er sogar Beweise.
Nun hat die Weltöffentlichkeit einen neuen Tatverdächtigen. Ob der wahre Mörder, egal ob es nun Lugowoj oder ein anderer war, jemals zur Verantwortung gezogen wird, ist fraglich. Aber wer weiß, vielleicht wird ja auch mal James Bond des Mordes an Alexander Litwinenko beschuldigt. Man kann gespannt sein.