Ein Gen der Angst

US-Wissenschaftler glauben einen Nachweis dafür gefunden zu haben, dass Unterschiede in einem Gen direkt unsere emotionale Reaktion auf Wahrnehmungen beeinflussen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach Untersuchungen von Wissenschaftlern am National Institute of Mental Health in Bethesda können auch einzelne Gene beeinflussen, wie das Gehirn auf bestimmte Reize reagiert. So reagieren Menschen mit unterschiedlichen Versionen eines Gens (Allelen) auch mit einem unterschiedlichen Muster der Gehirnaktivität auf Gesichter mit einem ängstlichen Ausdruck.

Links Aktivität in der Amygdala bei einer Versuchsperson mit einem kleineren Allel im Gen SLC6A4. Bild: Science

Es ist schon länger bekannt, dass ein funktionaler Polymorphimus des Gens SLC6A4, das ein Transportprotein für die Aufnahme von Serotonin codiert, mit dem Vorhandensein von depressiven Symptomen und anderen psychischen Störungen, vor allem aber mit Angst zusammen hängt. Serotonin hängt sowohl mit normaler als auch mit pathologischer Angst zusammen, die entscheidend mit der Aktivität der Amygdala zu tun haben. Das Transporterprotein ist für die Rückführung des Neurotransmitters Serotonin in Neuronen nach dessen Freigabe verantwortlich.

Bei Menschen wurden zwei Versionen in der Promotorregion des Gens ausfindig gemacht, die mit ängstlichen Verhaltensweise auch in bei gesunden Menschen verbunden sind. Die meisten Menschen besitzen das kürzere Allel und sind geringfügig (3 - 4 Prozent) ängstlicher als die Menschen mit dem längeren Allel, sie neigen auch eher zu abnormaler Angst. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie der Positronenemissions-Tomographie (PET) und der funktionalen Kernspin-Tomographie (fMRI) wurden hier auch bereits unterschiedliche Reaktionen im präfrontalen Kortex und der Amygdala festgestellt.

Doch die Verbindung zwischen den Gens SLC6A4-Genotyp und der individuellen Persönlichkeit und deren Gefühlsreaktionen war bislang nicht zwingend nachgewiesen worden. Der Psychiater und Neurologe Daniel Weinberger und seine Mitarbeiter am National Institute of Mental Health (NIMH) haben sich, wie sie in der aktuellen Ausgabe von Science (297: 5580 vom 19. Juli 2002) berichten, daher auf die Amygdala konzentriert, die als die Steuerzentrale der Gefühle gilt. Bei 28 gesunden Versuchspersonen, die jeweils zur Hälfte das kürzere bzw. das längere Allel des Gens besaßen, wurde die Gehirnaktivität mit der fMRI gemessen, während sie ein Bild mit einem Gesicht betrachteten, das entweder einen ärgerlichen oder einen ängstlichen Ausdruck zeigte. Sie mussten anschließend bei zwei anderen Bildern sagen, welches der abgebildeten Gesichter denselben Ausdruck hatte. Zur Kontrolle wurde ein entsprechender Vergleich mit geometrischen Formen vorgenommen.

Bild: NIMH

In beiden Gruppen, die auch gleichmäßig nach Alter, Geschlecht und IQ aufgeteilt waren, wurde der Gesichtsausdruck zu 90 Prozent richtig interpretiert. Das spricht für die Wissenschaftler dafür, dass andere kognitive Leistungen hier keine Rolle spielen. Beim Vergleich der geometrischen Formen ließ sich keine unterschiedliche Gehirnaktivität nachweisen. Doch die Amygdala bei den Versuchspersonen mit dem kurzen Allel zeigte eine wesentliche größere Aktivität, wenn die Gesichter verglichen wurden. Bei einem psychologischen Test, der Ängstlichkeit prüft, ergaben sich jedoch wiederum keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, was die Wissenschaftler auf die kleine Zahl der Versuchspersonen, die große Variationsbreite und die mit 3 - 4 Prozent tatsächlich insgesamt kleine Auswirkung zurückführen.

"Die Amygdala zeichnet die Information mit dem Etikett: 'Das ist gefährlich' aus", erklärt Weinberger. Eine noch stärker aktive Amygdala, die folglich sehr wenige Serotonintransporter aufweist, könnte dann bei den Menschen auch Angst hervorrufen, wenn überhaupt kein Anlass vorliegt. "Die Art, wie wir biologisch auf ein Gefahrensignal reagieren, die zum Teil vererbbar ist, kann uns dem Risiko einer Angststörung aussetzen, aber auch, je nach den Umständen, eine adaptive positive Eigenschaft wie eine gesteigerte Wachsamkeit sein."

Auch wenn Weinberger betont, dass Angst eine "komplexe Erfahrung ist, die nicht nur durch ein Gen oder einen Umweltfaktor verursacht wird", so bestätigen die Ergebnisse für ihn doch, dass es eine vererbbare Neigung zur größeren Ängstlichkeit oder zur emotionalen Erfahrung der Welt gibt, also dass die Erregbarkeit eines Gehirnareals, das der Verarbeitung von Gefühlen dient, zumindest auch genetisch bedingt ist. Allerdings wollen die Wissenschaftler auch nicht ausschließen, dass die Unterschiede der Reaktionen in der Amygdala bei erwachsenen Personen auch auf Entwicklungsprozesse in der frühen Kindheit zurück gehen könnten, in denen das emotionale Verhalten festgelegt wird.