Ein Journalismus, nahe an der Grenze zur Manipulation

Fragwürdige Berichterstattung der Regionalpresse zum Auftritt des Schweizer Historikers Daniele Ganser - Exempel einer Medienkritik

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Ein eigenwilliger Umgang mit der Realität, eine Vermischung von Fakten mit subjektiven Elementen, eine von Einseitigkeit geprägte Berichterstattung. Mit dem Artikel "Umstrittener Historiker-Vortrag - kritische Professoren wurden ausgebuht", liefert eine große Regionalzeitung ein bemerkenswertes Stück "journalistischer" Arbeit ab. Eine Analyse.

Der Schweizer Historiker Daniele Ganser (Das Feld nicht den gewalttätigen Extremisten überlassen), zu dessen Forschungsgebiet die verdeckte Kriegsführung gehört, hat im Oktober einen Vortrag an der Universität in Witten gehalten. Ein Bündnis (Verschwörungstheoretiker blasen zur Hexenjagd auf Historiker), unter anderem bestehend aus der lokalen SPD und den NRW-Piraten, veröffentlichte im Vorfeld der Veranstaltung einen offenen Brief, in dem es sich gegen den Auftritt aussprach.

Einer der Vorwürfe: Ganser, der durch seine Doktorarbeit zu den Geheimarmeen der Nato (Gladio bzw. Stay behind) bekannt wurde, trete "regelmäßig mit bekannten Verschwörungstheoretikern" auf.

Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (bzw. das Portal Der Westen), laut Wikipedia die "größte deutsche Regionalzeitung", nahm sich des Falls an. Doch was dabei herauskam, lässt gerade in Zeiten, in denen viel über einen qualitativ hochwertigen Journalismus diskutiert wird, tief blicken. Ein sachlicher Bericht, der es dem Leser durch die nüchterne Darlegung der Fakten ermöglicht, sich selbst eine Meinung zu bilden, flankiert durch Stimmen aller Beteiligten (Weltbild in Gefahr: Auftritt von Daniele Ganser an Uni in Witten), kam nicht zustande. Stattdessen wurde ein Journalismus veranschlagt, der auf Diskurswaffen setzt, mit reichlich Suggestivkraft die Leser bedient, die Realität teilweise verzerrt wiedergibt und zentrale Kontextinformationen zur Forschungsarbeit Gansers nicht bereitstellte.

Ein Journalismus wird sichtbar, der vorgibt, um Aufklärung bemüht zu sein, der aber bei genauerer Betrachtung vor allem auf eines verweist: auf seine eigenen Grenzen.

Vorbemerkung zur Analyse

Der Artikel "Umstrittener Historiker-Vortrag - kritische Professoren wurden ausgebuht" wird im Nachfolgenden näher betrachtet. Eine genauere Auseinandersetzung mit ihm ist notwendig, da er ein gutes Beispiel dafür ist, wie es aussehen kann, wenn grundlegende journalistische Regeln nicht beachtet werden und ein Journalismus zum Vorschein kommt, dessen "handlungsleitende Impulse" kaum auf ein ernsthaftes journalistisches Erkenntnisinteresse zurückzuführen sein dürften.

Die folgende Textanalyse wird die "Unzulänglichkeiten", die in dem Artikel teils offen, teils auf einer eher "tiefenstrukturellen" Ebene vorhanden sind, freilegen und aufzeigen. In Ansätzen greift die Auseinandersetzung mit dem "Zeitungsbericht" auf eine sozialwissenschaftliche Hermeneutik zu, die es insbesondere in der Sequenzanalyse ermöglicht, einen interpretatorischen Zugang zum Analysegegenstand zu erhalten.

Allerdings: Solch eine intensive Auseinandersetzung mit einem Text kann nur umfangreich sein. An den Leser muss daher die Bitte herangetragen werden, Nachsicht dafür zu zeigen, dass es kaum möglich ist, stark straffend, zusammenfassend und dennoch in aller Deutlichkeit die Schwachstellen des Artikels aufzuzeigen. Erst indem immer wieder einzelne Wörter und Sätze gedreht und gewendet und auf ihre "konnotativen Einlagerungen" hin abgeklopft werden, lassen sich die die Bruchstellen kenntlich machen, die der gebotene Journalismus in weiten Teilen aufweist.

Hinzu kommt: Trotz der umfangreichen Auseinandersetzung kann diese aber, im Vergleich zu einer wissenschaftlichen Analyse, nur als oberflächlich betrachtet werden. Ein strenges methodologisches Vorgehen mitsamt dem dafür notwendigen Aufwand, ist in dem Rahmen dieser Veröffentlichung nicht möglich. Der Leser muss wissen, dass es sich trotz des Umfangs nur um eine Analyse "light" handelt. Andere Interpretationen und Lesarten als die hier veranschlagten, können nicht ausgeschlossen werden.

Dem interessierten Leser wird empfohlen, zunächst den hier analysierten Artikel zu lesen, ihn kritisch zu betrachten, in ihn "reinzuhören" und ihn auf mögliche Schwachstellen und Unzulänglichkeiten selbst zu untersuchen. Erst dann sollte er sich mit der Analyse auseinandersetzen, für sich selbst klären, ob die in ihr angebotenen Interpretationen, Lesarten und Schlussfolgerungen schlüssig sind, er ihnen widerspricht oder sie ablehnt und durch eine eigene Sichtweise ersetzt. So kann und darf dieser Beitrag dann auch als Lehr- und Lernstück für Medienkompetenz betrachtet werden.

Es wird dem Leser auch ans Herz gelegt, allgemein die Berichterstattung, die die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (bzw. Der Westen) in Sachen Auftritt von Daniele Ganser abgeliefert hat, zu betrachten. Online abrufbar sind folgende Beiträge:

Eine genaue Auseinandersetzung mit der gesamten Berichterstattung der WAZ zum Auftritt von Ganser in Witten, genauso wie mit dem Umgang der Leserkommentare wäre angebracht, kann in diesem Rahmen allerdings nicht geleistet werden.

Analyse: "Umstrittener Historiker-Vortrag - Kritische Professoren wurden ausgebuht"

Die Überschrift, die durch ihre Länge, durch die substantivische Verbindung, aber auch durch die Passivkonstruktion etwas hölzern wirkt, vermittelt dem Leser ansatzweise worum es in dem Artikel geht. Ein Historiker hat einen "umstrittenen Vortrag" gehalten und Einlassungen von reputierten Personen, die vermutlich Kritik an dem Vortrag äußerten, wollte das Publikum nicht hören.

Das sinntragenden Wort im ersten Teil der Überschrift ist leicht identifiziert: "Umstrittener". Da stehen sie also nun, diese 12 Buchstaben, zusammengefügt zu einem Wort, das seine eigene Macht entfaltet. Wenn ein Vortrag "umstritten" ist, dann stimmt etwas nicht. Der Begriff "Umstrittener" in der Überschrift wirkt als ein Signalwort. Es warnt den Leser: Vorsicht vor diesem Vortrag!

Nicht ersichtlich wird aus der Überschrift, warum der Vortrag überhaupt umstritten ist. Dies mag sicherlich auch dem begrenzten Platz geschuldet sein, den eine Überschrift bietet. Aber festzustellen ist: Die Überschrift bleibt im Vagen, sie spielt mehr oder weniger mit Andeutungen, mit unterschwelligen Anschuldigungen - ein Vorgehen, das, so darf man es sehen, richtungsweisend für den Artikel ist.

Die Überschrift wird aber nicht nur von dem Wort "Umstrittener" getragen. Auch der Begriff "kritische" und die Aussage "wurden ausgebuht" sind sinntragend. So wie das Wort "Umstrittener" klassifiziert, so schreibt auch die Bezeichnung "kritisch" zu.

Am Rande sei allgemein angemerkt: Wenn ein Leser auf solche Zuschreibungen wie "kritisch", "Umstrittener" etc. im medialen Diskurs trifft, tut er gut daran zu fragen: Wer ist der Zuschreibende? Welche Sicht auf die Welt veranschlagt er? Welche Wirklichkeitsvorstellungen, welche Weltanschauungen liegen seinen Zuschreibungen und Einschätzungen zu Grunde? Gibt es eine Motivationslage, die den Autor oder die Autorin dazu führt, derartige Begrifflichkeiten und Zuschreibungen anzuführen? Wenn ja: Wie könnten diese aussehen?

Bei diesem umstrittenen "Historiker-Vortrag" fanden sich also auch "kritische Professoren" ein. Die Vermutung drängt sich auf, dass die Professoren als eine Art "Korrektiv" zu verstehen sind, die sich einem zweifelhaften Vortrag entgegenstellen. Doch gerade diese Professoren werden nun ("verrückterweise") vom Publikum, das sich zu dem Vortrag eingefunden hat, "ausgebuht".

Deutlich wird: Die Überschrift benennt und schreibt nicht nur zu. Sie erzeugt auch Fronten. Ein "Umstrittener Historiker-Vortrag" und das Publikum (das irgendwie sehr "eigenwillig" zu sein scheint) stehen auf der einen Seite, während sich auf der anderen Seite kritische, kluge "Geister" positioniert haben, deren Einlassungen aber nicht erwünscht sind - was durch das Ausbuhen zum Ausdruck gebracht wird.

Zum letzten Teil der Überschrift

Dieser Teil ist aus journalistischer, aber auch aus analytischer Sicht betrachtet, besonders bemerkenswert.

Holen wir etwas aus: In der journalistischen Berichterstattung wird sich sehr oft auf "die Mehrheit" (bzw. das, was als solche wahrgenommen wird) oder anders gesagt: auf eine Quantität von "bemerkenswerter" Größe konzentriert. Soll heißen: Wenn 300.000 Menschen auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu demonstrieren, wird diesen in der Regel von den Medien eine andere Aufmerksamkeit zu Teil als den 30 Anhängern irgendeiner kaum bekannten Glaubensgemeinschaft, die möglicherweise für ihre Anliegen demonstrieren.

Etwas anders gedacht: Wer als Journalist auf Veranstaltungen geht, weiß, dass sich immer mal wieder "Vorfälle" ereignen. Im öffentlichen Raum, bei öffentlichen Veranstaltungen ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Zuhörer eine Rede stört bzw. sich durch ein "gesteigertes Sendungsbewusstsein" bemerkbar macht.

Der ein oder andere Leser dürfte bei einer Veranstaltung vielleicht selbst schon einmal die Erfahrung gemacht haben, wie es ist, wenn eine Person aus dem Plenum sich zu Wort meldet und eine Grundsatzkritik von epischer Qualität anbringt, sich gegen den Redner, gegen sein Thema, gegen das Publikum und überhaupt gegen alles positioniert. Mitunter können solche Einlassungen sehr interessant sein. Mitunter sagt der Kritiker tatsächlich etwas, was es verdient gehört zu werden und was unbedingt journalistisch aufgegriffen werden sollte (was aber längst nicht immer der Fall ist).

Journalisten, die über eine öffentliche Veranstaltung berichten, blenden solche Vorfälle dann gerne aus - was verständlich ist (man will "den Ruhestörer" oder den sich in seiner Rolle des Grundsatzkritikers Wohlfühlenden keine Bühne bieten).

Manchmal werden solche Vorfälle in einem Nebensatz der Vollständigkeit halber erwähnt, manchmal werden sie ganz weggelassen. Gerne wertet man diese Personen, die sich "zu Wort melden" auch als "Störer" ab (was gewiss auch davon abhängt, wie der Reporter vor Ort selbst zu dem Vortragenden, dem "Störer" und dessen politischer Sicht steht...). Aber dass man "die Minderheit" (die sich auf einer Veranstaltung einfindet) in die Überschrift hebt, dafür benötigt man aus journalistischer Sicht einen belastbaren Grund.

In der Überschrift des Artikels passiert nun aber genau das: Vereinzelte Personen (wie viele?), die sich zum Vortrag eingefunden und diesen in Wortmeldungen kritisiert haben, "zieht" man in die Überschrift. Ihren vereinzelten Wortmeldungen wird so viel Bedeutung zugeschrieben, dass sie in großen Buchstaben Erwähnung finden.

Interessant ist auch die Aussage, dass die kritischen Professoren "ausgebuht" wurden. Zu fragen ist: Was heißt an der Stelle "ausgebuht"? Wie darf man sich das "Ausbuhen" vorstellen? Haben kollektiv 500 der Zuhörer die "kritischen Professoren" ausgebuht? Oder waren es vereinzelt Zuhörer, die "gebuht" haben? Weiter gefragt: Wie laut, wie gewaltig, war das Ausbuhen? Durften die "kritischen Professoren" doch noch ihre Kritik anbringen? Wurden sie so lange ausgebuht, bis sie schwiegen? Oder war das Publikum wie "von Sinnen" und hat sich gegenüber jeder Kritik an dem Vortragenden sofort verschlossen gezeigt? Wie hat der Vortragende, wie hat der Veranstalter auf die Kritik an den Wortmeldungen reagiert?

Es wäre sehr wichtig, auf diese Fragen Antworten zu geben, damit der Leser das Geschriebene nicht selbst mit Vorstellungen flankiert, die mit der Wirklichkeit vor Ort nichts zu tun haben. Doch die Zeitung beantwortet die Fragen nicht. Dem Leser wird so nur ein Blick "ins Trübe" gewährt.

Betrachten wir die Einlassung einer Person, die offensichtlich an dem Vortrag teilgenommen hat. Auf der Webseite "Themen der Zeit" heißt es:

Einer der Mitverfasser des offenen Briefes, der Pirat Stefan Borggrefe, war persönlich erschienen. Dem Publikum war auch dies ein reichlicher Beifall wert. Zwei Uni-Professoren meldeten sich in der anschließenden Debatte mit kritischen Beiträgen zu Wort, wobei an einer Stelle kurz "gebuht" wurde. Die Headline daraus zu machen: "Umstrittener Historiker-Vortrag - Kritische Professoren wurden ausgebuht", wie die WAZ anschließend getitelt hatte, trifft den Kern der Sache allerdings nicht, denn nachdem ein junger Zuhörer darum gebeten hatte, die Kritiker ungestört zu Wort kommen zu lassen, gab es zwar immer noch sowohl Zustimmungs- als auch Ablehnungsäußerungen, von ausgebuht aber kann allerdings nicht die Rede sein. Für den oberflächlichen Leser, das heißt für dessen Beeinflussung, dürfte das Ziel der Überschrift jedoch erreicht worden sein: Kritik ist in "umstrittenen" Historikerkreisen nicht erwünscht.

An dieser Stelle kann der Wahrheitsgehalt der angeführten Aussage nicht bestimmt werden. Trifft es allerdings zu, dass sich an dem "Ausbuhen" nur einige/wenige Teile des Publikums beteiligt haben und dieses nur von kurzer Natur war, dann müsste dem Artikel vorgeworfen werden, dass er sich nahe an der Grenze zur Manipulation bewegt, weil er "Randerscheinungen" unnötig aufspielt, fragwürdig gewichtet und die Grundsätzen journalistischer Fairness, zu der es auch gehört, sorgsam "Vorkommnisse" etc. abzuwägen, missachtet (bzw. hochproblematisch bewertet); dem Leser würde ein stark verzerrtes Bild vermittelt.

Die Überschrift offenbart sehr deutlich, was die Zeitung im Zusammenhang mit dem Auftritt des Vortragenden für wichtig erachtet, welche Akzentuierung sie veranschlagt. Die Tatsache, dass es Kritiker gibt, die sich zu Wort gemeldet haben, genauso die Tatsache, dass das Publikum diese ausgebuht hat, werden offensichtlich als wesentlich zur Erfassung der Veranstaltung angesehen.

Nicht im Vordergrund stehen soll etwa das, was der Vortragende sagt. Nicht im Vordergrund stehen soll etwas das, was andere, dem Redner zustimmende Teile des Publikums gesagt haben. Nicht im Vordergrund stehen soll etwa die Reaktion des Publikums, das dem Vortragenden applaudierte. Nicht im Vordergrund stehen soll etwa die Motivation der Veranstalter den Historiker einzuladen.

Kurzum: All das, was bei einem Auftritt einer anderen Persönlichkeit, der die Zeitung, sagen wir mal: weniger kritisch begegnen würde, aller Voraussicht nach Bestandteil der Überschrift sein würde, ist es nicht.

Ist die Überschrift nun journalistisch irgendwie "verwerflich"? Nein, das ist sie nicht. Die prominente Erwähnung der Kritiker und die Reaktion des Publikums ist zunächst erst einmal nur: auffallend. Die Kritik muss an einer anderen Stelle ansetzen.

Wenn man sich als Redaktion entscheidet, in einer Überschrift zu erwähnen, dass "kritische Professoren", die sich zu Wort gemeldet haben, "ausgebuht" wurden, dann sollte die Zuschreibung "kritische" auf einem stabilen Fundament stehen.

Was haben die Professoren gesagt, um ein solche Überschrift zu rechtfertigen? Wie gewichtig waren ihre Aussagen, möchte der geneigte Leser, der sich noch nicht mit diesem "umstrittenen Vortrag" auseinandergesetzt hat, sicherlich wissen?

Wir greifen nun für einen Moment in der Analyse voraus und betrachten, ob in dem Artikel dem Leser aufgezeigt wird, wie die Argumentation der Professoren aussieht. Folgende Stelle findet sich in dem Artikel:

Allein ein paar Professoren, die privat aus Interesse kamen, melden sich zu Wort, um die "rhetorische Manipulation" und die "Unwissenschaftlichkeit des Vortrags" zu kritisieren.

WAZ-Artikel

Fehlt da noch etwas? Nein. So sieht die tragfähige Basis aus, auf die in dem Artikel im Zusammenhang mit den angeführten "kritischen Professoren" gebaut wird.

Anmerkung 1:

Zwar taucht im Verlauf des Artikels an einer Stelle inhaltliche Kritik auf, die tatsächlich auch auf "Argumente" setzt - Stichwort: zweifelhafte Quellen -, aber diese wird "Kritikern" zugesprochen, nicht explizit den "Professoren". So darf man als Leser dann raten, wer die inhaltlichen Aussagen getätigt hat: die Professoren, andere "Kritiker? Außerdem: Die "inhaltlichen" Aussagen sind dünn; mit ihnen wird sich im weiteren Verlauf der Analyse auseinandergesetzt.

Anmerkung 2:

In der gedruckten WAZ ist der hier analysierte Artikel als Aufmacher auf der Zeitungsseite im Innenteil erschienen. Unten auf der Seite finden sich als "Aufsetzer" jeweils zwei kürzere Beiträge zweier Professoren, die sich kritisch gegenüber dem Historiker äußern. In diesen Einlassungen, finden sich dann auch eine Argumentation. (Allerdings: Die veranschlagte Argumentation - nachzulesen hier:http://www.derwesten.de/staedte/witten/populismus-statt-wissenschaft-aimp-id11236006.html und hier - wirkt schwach. Auch die beiden Einlassungen der Professoren müssten genau betrachtet werden, was an dieser Stelle aber nicht geleistet werden kann).

Problematisch ist: Sowohl in dem Online-Artikel als auch dem gedruckten Artikel erfolgen die abwertenden Aussagen anonym, sind nicht klar einer Person bzw. einem Namen zuzuordnen. In der gedruckten WAZ findet sich zum Ende des Artikels zwar immerhin der Hinweis: "siehe Gastkommentar unten auf dieser Seite", durch den die Leser auf die weiteren Einlassungen der Professoren aufmerksam gemacht werden (die unten auf der Seite jeweils mit ihrem vollen Namen und Bild angeführt werden), aber dieser Hinweis fehlt in dem hier analysierten Online-Artikel. Online war der Artikel zunächst "isoliert" verfügbar. Erst später wurde ein Link zu einer der Stellungnahmen der Professoren in dem Artikel gesetzt.

Die "Gastkommentare" der Professoren, die eher an einen Leserbriefs erinnern, waren zudem zunächst ohne Namen der Verfasser online - worauf auch im Forum aufmerksam gemacht wird.)

Diese Aussagen ("rhetorische Manipulation" und die "Unwissenschaftlichkeit des Vortrages") scheinen die "Argumente" zu sein. In dem gesamten Artikel findet sich keine weitere Stellungnahme mehr von den Professoren, die doch immerhin durch die Überschrift quasi in den Status des "Kronzeugen" gegen den Historiker gehoben werden. Wenn an dieser Stelle des Artikels von "rhetorischer Manipulation" und einer "Unwissenschaftlichkeit des Vortrags" die Rede ist, dann müssten zwingend unmittelbar darauf Argumente angeführt werden. Genauso fehlt "die Gegenrede" des Kritisierten.

Eingangs der Analyse wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Rahmen dieser Auseinandersetzung mit dem WAZ-Artikel nicht auf das Leserforum eingegangen werden kann. Dies würde den Rahmen der Analyse übersteigen. Beispielhaft wird jedoch auf zwei Kommentare hingewiesen.

Am 31. 10. 15 um 08:03 Uhr hinterlässt ein Leser oder eine Leserin unter dem Namen "fuxmx" folgenden Kommentar:

Schon wieder ungenügend! Weder haben Sie erwähnt, wer die "kritischen" Professoren sind, noch haben Sie sich die Mühe gemacht zu erläutern warum Gansers Quellen "zweifelhaft" sind. Erneut ist der Artikel voll von unverschämten Unterstellungen und Behauptungen, die Ganser sowie die Teilnehmer in ein schlechtes Licht rücken sollen. Die komplette Artikelserie zu Ganser in Ihrem Blatt kann nur als Beispiel einer grandiosen journalistischen Fehlleistung dienen.

fuxmx

Deutlich wird: Der Kommentar ist emotional verfasst, aber, der oder die Leserin erkennt sehr gut, dass der gebotene Journalismus mit gravierenden Mängeln versehen ist.

So reagiert die WAZ (bzw. Der Westen) auf den Kommentar:

[von Admin entfernt - Bitte versuchen Sie einen sachlichen Ton in Ihren Formulierungen einzuhalten. Beleidigungen tragen nicht zur Sachlichkeit von Kritik bei.

WAZ

Nun reagieren weitere Leser auf den Kommentar von "fuxmx" und schreiben:

Und? Möchte(n) sich die Verfasserin des Artikels (oder andere Redaktions- oder Verlagsmitarbeiter) rechtfertigen? Oder sieht man sich durch diesen Kommentar zutreffend bewertet?

berndz

Und "nachdenken" schreibt:

Ja, hätte mich auch interessiert, wer denn diese kritischen Professoren waren. Als unbedarfter Leser möchte man solche Sachen ja gerne einordnen können.

nachdenken

Nun kann nicht geklärt werden, wer die Foristen sind, wie sie zu dem Vortragenden stehen, aber auch unabhängig davon, dass es sich dabei möglicherweise um Leser handelt, die den Historiker positiv gegenüberstehen: Ihre Einlassungen sind nachzuvollziehen. Sie verweisen auf Schwachstellen im gebotenen Journalismus, die zu Recht angesprochen werden.

Zurück zur Überschrift

Folgende Überlegung: Angenommen ein Bäcker, ein Taxi-Fahrer oder eine Verkäuferin hätte sich an diesem Abend zu Wort gemeldet, sich vorgestellt und gesagt: "Mein Name ist Hans Schmidt, ich bin Taxi-Fahrer, ich habe mich lange mit der Arbeit von Herrn Ganser auseinandergesetzt und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Herr Ganser unsauber arbeitet."

Würde die Überschrift dann funktionieren? Würde derjenige, der die Überschrift zusammengesetzt hat auch einen Taxi-Fahrer in diesem Fall in der Überschrift erwähnen?

Die Überschrift funktioniert im Grunde genommen nur durch die Anführung des Wortes "Professoren" (oder wahlweise einer anderen "hochgestellten" Persönlichkeit).

Mit reichlich Schwung bedient sich der Artikel in der Überschrift der Klaviatur des symbolischen und kulturellen Kapitals. Titel, Status, kurz: die Bedeutungstiefe des inkorporierten und objektivierten kulturellen Kapitals bahnt sich ihren Weg. Mehr oder weniger fest verinnerlichte Automatismen, kulturell mehr oder weniger fest verankerte Raster der Wahrnehmung werden beim Leser aktiviert.

Vor Ehrfurcht möge der Leser doch bitte erstarren. Dieser umstrittene Historiker wird nicht etwa vom "einfachen Mann" auf der Straße kritisiert. Nein, es ist die "bildungskulturelle Elite" dieses Landes, ausgestattet mit Reputation und Prestige. Es sind die, die über das Recht zur Rede verfügen. Und nicht nur einer von dieser Sorte kritisiert den Historiker, nein, der Plural vermittelt dem Leser, dass hier gleich mehrere dieser "Respektspersonen" sich zu Wort gemeldet haben. Man lässt dem Leser aber darüber im Unklaren, um wie viele Professoren es sich handelt. Waren es "nur" zwei? Waren es drei? Vier, fünf? Wären es Sechs gewesen, würde man dann schon von einem halben Dutzend reden? Also waren es zwischen zwei und fünf Professoren? Oder doch mehr? Viel mehr?

Man klärt den Leser nicht auf, wie "dick" der Plural tatsächlich ist. Sollten sich, um eine beispielhafte Zahl zu nennen, 20 Professoren zu Wort gemeldet haben, dann könnte man wohl tatsächlich von einer ziemlich gewichtigen Kritik (eine entsprechende Qualität der Kritik des Vortrags vorausgesetzt) sprechen. Waren es aber "nur" zwei, oder drei, dann sieht die Sache etwas anders aus.

Die Frage ist: Warum klärt das Qualitätsmedium nicht auf? Warum bleibt die Zeitung im Vagen? Ein Journalismus kann identifiziert werden, der etwas Perfides in sich trägt. Der Leser darf nun selbst die Größe dieser unbestimmten "Quantitätsangabe" festlegen und mit einer Zahl versehen. Ob dahinter die Absicht steckt, der Leser möge denken, dass viele Professoren hier kritisiert haben?

Erst der Bericht des alternativen Mediums (Themen der Zeit) nennt eine Zahl: Zwei Professoren waren es demnach, die "interveniert" haben.

Zum mehrfach verwendeten Begriff "umstritten"

Der umstrittene Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser hat vor 500 Zuhörern an der Uni gesprochen. Er nutzte die Bühne und das Publikum war dankbar.;;Lead des Artikels

Der Leser wird mit einem hochproblematischen Einstieg in den Artikel konfrontiert. Zunächst das Offensichtliche. Bereits zum zweiten Mal taucht der Begriff "umstritten" auf. Während dieser in der Überschrift sich noch auf den "Historiker-Vortrag" bezogen hat, wird er nun dem Vortragenden selbst zugeschrieben, bei dem es sich um den Schweizer Historiker Daniele Ganser handelt.

Vermutlich ginge es zu weit, wenn man hier eine bewusste, absichtliche Wiederholung erkennen würde mit dem Zweck, den Leser zu beeinflussen. Vielleicht wurde der Artikel unter Zeitdruck verfasst. Fest steht aber: Der Begriff findet erneut Verwendung - und natürlich entfaltet ein so stark belastender Begriff auch und insbesondere in der Wiederholung seine Wirkung. Gerade auch deshalb soll der Begriff "umstritten" genauer betrachtet werden.

Wer mit dem Label "umstritten" versehen wird, läuft rasch Gefahr, sich in einer Reihe mit Quacksalbern und Scharlatanen wiederzufinden. Ein alternativer Krebsmediziner, beispielsweise, dem zwar einige oder viele Patienten vertrauen, dem aber "die" Wissenschaft widerspricht, wird als umstritten bezeichnet - oft genug auch zu Recht.

Doch die Verwendung des Wortes "umstritten" ist nicht nur problematisch, weil es klassifiziert. Die Frage muss aufgeworfen werden: Auf welcher Basis lässt sich mit der Kraft des journalistischen Berichtes sagen, dass ein Wissenschaftler umstritten ist?

Ganser wurde von einigen Wissenschaftskollegen kritisch angegangen. Im Internet finden sich kritische Anmerkungen zu Ganser. Im Vorfeld des Vortrages hat sich "ein Bündnis" in einem offenen Brief gegen den Auftritt des Historikers ausgesprochen.

Reicht diese Basis aus, um einen Vortrag und einen Vortragenden als "umstritten" zu bezeichnen? Auf welcher Basis sollte eine Aussage wie die, dass die Arbeit eines Forschers umstritten ist, stehen? Spielen hier Quantitäten eine Rolle? Ist es die Qualität der Kritik, die einen Journalisten in einem Artikel die Klassifizierung "Umstrittener" benutzen lässt? Oder sind es beide Faktoren? Wenn eine bestimmte Anzahl von Menschen einen Historiker als umstritten bezeichnet und wenn eine fundierte Kritik an dessen Arbeit auszumachen ist, dann darf man ihn wohl als umstritten bezeichnen.

Aber ist das hier überhaupt der Fall? Wie hoch ist die Zahl der Kritisierenden? Wie fundiert ist ihre Kritik? Wird die Kritik jener Kritik gerecht, die ein Historiker, der über einen Doktortitel verfügt und als Wissenschaftler arbeitet, erwarten darf?

Einmal angenommen, die Anzahl der Personen, die Ganser kritisieren, genauso wie deren Kritik reichen aus, um als Journalist ruhigen Gewissens schreiben zu können: Diese Person ist umstritten. Würde es dann immer noch etwas auszusetzen geben an der Verwendung des Wortes umstritten?

Ja.

Nehmen wir einmal an, der Bundespräsident käme an die Uni in Witten. Ist der Bundespräsident umstritten? Natürlich.

Der Vorschlag, Joachim Gauck als Bundespräsident anzuführen, wurde kritisiert. Im Vorfeld der Ernennung und der Wahl gab es Stimmen, die Gauck als Bundespräsident ablehnten. Auch in seiner Amtszeit gibt es Menschen, die mit Gauck als Bundespräsident nicht zufrieden sind - auch Gauck ist: umstritten. Auch Merkel ist umstritten. Obama ist umstritten. Putin ist erst recht: umstritten. Viele Politiker und viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind: umstritten. Sie haben Anhänger, sie haben Gegner, Bewunderer und Kritiker.

Auch wenn dies nur eine Vermutung ist: Es darf Zweifel daran angemeldet werden, dass die Westdeutsche Allgemeine Zeitung bzw. das Portal Der Westen beim Auftritt des Bundespräsidenten an der Uni in Witten titeln würde: Umstrittener Bundespräsident hält Vortrag. Warum?

Um diese Frage zu beantworten, muss das Wort umstritten noch etwas näher beleuchtet werden. Dass, wie gerade angesprochen, ein Bundespräsident, Politiker, ja allgemein Menschen, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, häufig umstritten sind, ist eine triviale Erkenntnis. Gerade weil diese Menschen oft umstritten sind, ist es aus journalistischer Sicht durchaus nachzuvollziehen, dass man dieses "Umstrittensein" nicht bei jeder Auseinandersetzung mit einem Politiker etc. anführt. Aber warum gebraucht man das Wörtchen nun bei Ganser?

Wenn Ganser umstritten ist, aber auch ein Bundespräsident etc. umstritten ist, weshalb betont man bei dem Schweizer Forscher dieses "Umstrittensein", während man dies bei Gauck vermutlich nicht tun würde?

Bei Ganser, so darf man schlussfolgern, geht es nicht nur um ein einfaches, allgemeines Umstrittensein. Ganser muss irgendwie auf eine besondere Weise "umstritten" sein. Denken wir noch einmal zurück: Das Wörtchen umstritten findet häufig Anwendung bei einer Auseinandersetzung mit Quacksalbern und Scharlatanen.

Ein erster Verdacht drängt sich auf: Dass in der Überschrift und im Vorspann des Artikels das Wörtchen "Umstrittener" bzw. "Der umstrittene..." verwendet wird, lässt vermuten, dass man Ganser wie folgt wahrnimmt: Als einen "schrägen Vogel", vor dem man die Leserschaft warnen muss.

Am Rande sei erwähnt: Das Wort "umstritten" würde es verdienen, im Rahmen einer eigenen Untersuchung im Kontext seiner Verwendung in den Medien genauer betrachtet zu werden. Oft wird es gebraucht, wenn Journalisten in ihrer Berichterstattung über eine Person auch ihre persönliche Antipathien zum Ausdruck bringen wollen. Ein Journalismus, der sich auf die Kraft des Faktischen stützen kann, braucht sich der Zuschreibung "umstritten" nicht zu bedienen. Er kann aufzeigen, warum jemand "umstritten" ist (und lässt dann dem Leser, Zuschauer etc. selbst entscheiden, ob dieser das auch so sieht, ob er die Person, über die berichtet wird, als "umstritten" betrachtet). Es sei denn, man hält den Mediennutzer für so beschränkt, dass er nur versteht, wenn man ihm mit klassifizierenden Adjektiven den Weg weist.

Eine altbekannte Methode kommt zum Vorschein. Durch den Akt der Klassifizierung wird die Wirklichkeit so geformt, wie sie der Klassifizierende sehen möchte. Umstritten ist dann mitunter nicht mehr nur der, der tatsächlich umstritten ist, sondern derjenige, der von Medien häufig genug als umstritten bezeichnet wird - aus fragwürdigen Gründen.

"Er nutzte die Bühne und das Publikum war dankbar"

Hochproblematisch ist der erste Satz des Leads nicht nur wegen des Begriffs "umstritten". Im Lead verbindet sich ein wertendes mit sachlichen Elementen. Objektiv richtig ist: Ganser ist Historiker, er verfügt über einen Doktortitel und er hat vor 500 Zuhörern an der Uni gesprochen. Ob Ganser nun umstritten ist, darüber darf man geteilter Ansicht sein. Aber darauf wurde bereits verwiesen. Doch der erste Satz ist im Vergleich zu dem Folgenden geradezu noch "harmlos"

Er nutzte die Bühne und das Publikum war dankbar.

Waz-Artikel

Man muss sich diesen Satz in aller Ruhe anschauen, um zu erkennen, mit welch journalistischer Gewalt hier ein negativer Kontext aufgebaut wird.

"Er nutzte die Bühne", heißt es in dem Artikel. Vier einfache Wörter. Und doch kommunizieren sie ein ganzes Bündel an wertenden konnotativen Einlagerungen.

Da ist er also, dieser Vortragende, der doch tatsächlich das tut, was ein Vortragender tun sollte: die Bühne zu nutzen. Es ist sein Auftritt. Welcher Vortragende möchte nicht die ihm zur Verfügung gestellte Bühne nutzen? Nutzt ein Horst Seehofer nicht die Bühne? Nutzt Barack Obama nicht die Bühne? Ähnlich wie in der Überschrift im Zusammenhang mit dem Wort "umstritten", wird hier etwas impliziert, nämlich das Ganser eben nicht die Bühne wie ein "normaler" Vortragender nutzt. So wie Ganser kein "normaler" Umstrittener ist, so ist er auch kein normaler Vortragender. Was heißt das?

Ganser nutzt die Bühne, um das Publikum zu manipulieren. Ganser nutzt die Bühne, um steile Thesen zu verbreiten. Ganser nutzt die Bühne, um sich als "one man show" zu verkaufen. Genau das ist es, was dieser scheinbar so einfache Satz auf der impliziten Ebene wohl kommuniziert. Ganser wird, so darf man den Subtext lesen, als eine Art "Demagoge" wahrgenommen.

Zum zweiten Teil des Satzes:

"...und das Publikum war dankbar."

WAZ-Artikel

Und wieder wird das Publikum in dem Artikel "durchgeschüttelt". Ein Publikum wird gezeichnet, dass es wagt, "kritische Professoren" auszubuhen und das gleichzeitig einem "Verführer" der die Bühne nutzt, "dankbar" ist.

Alleine Überschrift und Lead lassen erahnen, dass mit diesem Bericht den Lesern kein Journalismus geboten wird, der informieren will. Man schießt sich, so entsteht der Eindruck, regelrecht auf Ganser mit Worten ein.

"Verschwörungstheoretiker oder kritischer Fragesteller?"

Verschwörungstheoretiker oder kritischer Fragesteller? Mit dem Vortrag des umstrittenen Schweizer Historikers Daniele Ganser wollte die Universität Witten/Herdecke die Freiheit der Lehre und der Forschung hochhalten. Doch nach Ansicht von Beobachtern konnte der 43-Jährige den Anforderungen an wissenschaftliche Vorträge nicht gerecht werden. Seine Kritiker wurden allerdings ausgebuht.

WAZ-Artikel

Der Grundtext des Artikels beginnt mit einer Frage, oder genauer, mit einer rhetorischen Frage: Verschwörungstheoretiker oder kritischer Fragesteller?

Wie die Überschrift, wie der Vorspann, so ist auch der Einstieg in den Hauptteil mit schweren Unschärfen versehen. Zunächst zur Frage als solches: Die Frage simuliert - wie so oft bei rhetorischen Fragen dieser Art der Fall - eine gewisse Objektivität des Artikels. Der Leser soll den Eindruck gewinnen, dass hier ein Journalist einen Bericht abliefert, der sich ernsthaft mit der von ihm aufgeworfenen Frage auseinandersetzen wird.

Ruft man sich jedoch in Erinnerung, wie der Artikel bisher aufgebaut ist, liegt die Annahme nahe, dass diese Frage nicht von einem ernsthaften Erkenntnisinteresse angetrieben sein kann, das sich, so weit möglich, frei von Vorurteilen und der eigenen Sichtweise der Frage annimmt und mit ihr auseinandersetzt. Im Grunde genommen - das zeigt die weitere Analyse des Artikels - steht die Antwort auf die Frage bereits fest. Im Grunde genommen wurde der Leser des Artikels bereits "gefangen" genommen. Überschrift und Vorspann haben ihn "vorbereitet".

Ganser, dieser umstrittene Historiker, der vor einem Publikum steht, die Bühne quasi als "großer Manipulateur" nutzt, der sich vor einem ihm ergebenen und dankbaren Publikum bewegt, das kritische Gelehrte einfach ausbuht, kann schon kein kritischer Fragesteller mehr sein. Sowohl Überschrift als auch Vorspann haben die Antwort auf die Frage bereits vorweg genommen. Ein hoch problematischer Journalismus kommt zum Vorschein, der genau die Schwachstellen aufweist, die oftmals "alternativen" journalistischen Produkten vorgehalten werden, z.B. fehlende Objektivität.

Bei einer genaueren Betrachtung der Frage muss auch das Wort Verschwörungstheoretiker in den Fokus gerückt werden. Der Begriff Verschwörungstheoretiker (genauso wie der Begriff Verschwörungstheorie) ist ein Kampfbegriff. Schon seit vielen Jahren findet ein Wortbesetzungskampf statt, in dem unterschiedliche Gruppen um die Bedeutung des Begriffs ringen.

Ohne an dieser Stelle einen Exkurs zum Ausdruck Verschwörungstheorie anzuführen: Dieser ist im Gebrauch der "mainstreammedialen Öffentlichkeit" durchweg negativ konnotiert. Ein Verschwörungstheoretiker ist, einfach ausgedrückt, ein "Spinner", der nicht in der Lage ist, die Komplexität gesellschaftlicher und politischer Zusammenhänge zu verstehen. Ein Verschwörungstheoretiker reduziert immer wieder Komplexität, weil er - im Gegensatz zu denen, die wirklich verstehen, wie die Welt funktioniert - keinen Durchblick hat, so die Zuschreibungen.

Eine reflektierter Umgang mit dem schwierigen, da umkämpften Begriff Verschwörungstheoretiker, ist in dem Artikel nicht zu erkennen. Distanzlos wird der negativen Wortbesetzung gefolgt. So wie der Begriff in dem "Bericht" Verwendung findet, dient er als Diskurswaffe, auf die Wissensbestände einer kritischen Erkenntniswissenschaft (z.B.: Verschwörungstheorien als heterodoxe und orthodoxe Konstruktionen von Wirklichkeit) wird nicht zugegriffen. Ein Journalismus wird sichtbar, der unfreiwillig, mehr oder weniger: Satz um Satz, seine eigene Beschränktheit zum Ausdruck bringt. Die Erfassung des Phänomens Verschwörungstheorien erfolgt, so hat es den Eindruck, durch ein in Zement gegossenes Wirklichkeitsverständnis.

Verschwörungstheoretiker oder kritischer Fragesteller?, lautet die Frage. Die Interpretation der Phrase "kritischer Fragesteller", wie sie hier Verwendung findet, ist nicht ganz einfach. Zwei naheliegenden Deutungen sollen aufgezeigt werden. Warum heißt es in dem Artikel nicht: "Verschwörungstheoretiker oder kritischer Wissenschaftler? Warum spricht man "nur" von einem "kritischen Fragesteller"?

Wenn an dieser Stelle des Artikels ein kritischer Fragesteller so verstanden wird, wie er mitunter im Selbstverständnis von "Verschwörungstheoretikern" gebraucht wird, nämlich nach dem Motto: Man stelle ja nur Fragen, dann muss dieser Teil der Frage als negativ betrachtet werden. Dann wäre erneut ein perfider Journalismus zu identifizieren, der in seiner rhetorischen Frage keine echte "Alternativen", keine echten "Unterschiede" anspricht, sondern dem Leser nur die Wahl lässt, Ganser zwischen den Polen negativ und weniger negativ einzuordnen.

Allerdings lässt sich die Phrase "kritischer Fragesteller" auch anders deuten. Die Zuschreibung kritischer Fragesteller kann man auch als positiv konnotiert ansehen. Ein kritischer Fragesteller (z.B. wie die in dem Artikel angeführten "kritischen Professoren") weist auf Schwachstellen einer Argumentation, einer Theorie etc. hin. Eine Gesellschaft braucht geradezu kritische Fragesteller. Wenn nun die Frage gestellt wird, ob Ganser ein Verschwörungstheoretiker oder ein kritischer Fragesteller ist, dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass hier ein Gegensatzpaar angeführt wird.

Interpretiert man die Frage auf diese Weise, kann festgestellt werden: Die Frage reduziert Komplexität genauso, wie es im Verständnis der "großen Medien" Verschwörungstheorien vorgeworfen wird.

Die Frage schließt dann die Möglichkeit, dass ein Mensch sowohl Verschwörungstheoretiker als auch ein kritischer Fragesteller (bzw. ein kritischer Wissenschaftler) ist, geradezu kategorisch aus. Und vor allem: Sie schließt aus, dass es sich bei einem Verschwörungstheoretiker und bei einem kritischen Fragesteller gar nicht um ein Gegensatzpaar handeln muss. Können die Begriffe Verschwörungstheoretiker und kritischer Fragesteller nicht beide auch eine positive Bedeutung haben?

Der publizistische Todesstoß

Mit dem Vortrag des umstrittenen Schweizer Historikers Daniele Ganser wollte die Universität Witten/Herdecke die Freiheit der Lehre und der Forschung hochhalten. Doch nach Ansicht von Beobachtern konnte der 43-Jährige den Anforderungen an wissenschaftliche Vorträge nicht gerecht werden. Seine Kritiker wurden allerdings ausgebuht.

WAZ-Artikel

Nun taucht der Begriff umstrittenen bereits zum dritten Mal auf. Wurde bei der zweiten Verwendung des Begriffs in dem Artikel noch wohlwollend angemerkt, dass es sich hierbei schlicht um einen stilistischen Fehler/handwerkliche Schwächen handeln könnte, drängt sich nun doch sehr der Verdacht auf das hier nach dem Motto vorgegangen wird: Was oft genug wiederholt wird, setzt sich irgendwann auch beim Rezipienten im Kopf fest. Anhand des Artikels kann die Analyse zwar nicht abschließend klären, ob es sich hier weiter nur um eine "stilistische Schwäche" handelt, aber: Das dreimalige Wiederholen des Begriffs kurz aufeinander ist sehr auffallend.

Nach all dem, was der Artikel bisher an negativer Kontextualisierung geleistet hat (in gerade mal 10 Zeilen, inklusive der Überschrift) erfolgt nun eine Art publizistischer "Todesstoß".

Ganser, der Historiker, der Wissenschaftler, der immer wieder Vorträge vor mehreren hundert Zuhörern hält, der auf Universitäten referiert, der eine Doktorarbeit geschrieben hat, der seit Jahren in der Forschung tätig ist, soll tatsächlich nicht den Anforderungen an wissenschaftliche Vorträge gerecht werden?

Die Aussage, wonach Ganser "unwissenschaftlich" vorträgt, ist von gewaltiger Tragweite. Sie kann die Reputation eines Wissenschaftlers schwer in Mitleidenschaft ziehen. Was rechtfertigt solch ein Verdikt? Der Artikel baut auf eine "Ansicht von Beobachtern".

An dieser Stelle wäre es - darauf wurde bereits hingewiesen - zwingend notwendig, dass "die Beobachter" mit Namen angeführt werden und der Behauptung unmittelbar Argumente folgen. Der Verweis auf die beiden "Gastkommentare" der Professoren unten auf der Zeitungsseite erfolgt erst sehr spät in dem Artikel, außerdem, wie bereits erwähnt, wurde der online abrufbare Artikel zunächst nur ohne Verweis auf die Kommentare veröffentlicht. Die Leser mussten auf "anonyme Quellen" vertrauen.

Zur Auseinandersetzung mit der Aussage, wonach Gansers Vortrag nicht wissenschaftlichen Standards genüge, darf die Logik bemüht werden.

Wenn es so sein sollte, dass Gansers Vortrag tatsächlich wissenschaftlichen Standards nicht genügt, dann würde das zugleich bedeuten, dass nahezu 500 Besucher (die "kritischen Professoren" einmal außen vor gelassen), von denen viele (so ist zu vermuten) selbst aus dem wissenschaftlichen Umfeld kommen (Studenten, Lehrende), einem Referenten applaudieren, der den Applaus nicht verdient hat. Die Aussage impliziert weiter, dass auch die Dozenten, die Ganser eingeladen haben (und sich gewiss über seine Vorträge im Vorfeld informiert haben dürften) wohl unter einer sehr eigenwilligen Wahrnehmung der Realität leiden müssten.

Man kommuniziert implizit, so kann man es deuten, dass Wissenschaftler, die einen anderen Wissenschaftskollegen zu einem Vortrag eingeladen haben, nicht erkennen, dass sein Vortrag unwissenschaftlich ist oder, noch schlimmer, vielleicht sogar bewusst der Unwissenschaftlichkeit Vorschub leisten.

Rund 500 Menschen kamen zu seinem Vortrag "Fakten, Meinungen, Propaganda - Wie mache ich mir selbst ein Bild?" . Ganser präsentierte sich als geschickter Rhetoriker.

WAZ-Artikel

Wieder vermischen sich objektive Elemente, die in einem Zeitungsbericht erwartet werden, mit subjektiven Zuschreibungen. Die Angabe "500 Menschen" und das Anführen des Titels von Gansers Vortrag, verweisen auf einen nachrichtlichen Artikel.

Auf diesen von Sachlichkeit geprägten Satz, folgt wieder eine subjektive Beschreibung, die auf Gansers Verhalten fokussiert. Ganser präsentierte sich, heißt es in dem Artikel. Auch in diesem so harmlos klingenden Satz schwingt ein unterschwelliger Angriff mit.

Wenn davon die Rede ist, dass sich jemand präsentiert, dann ist das oft mit einem negativen Einschlag versehen. Ein Selbstdarsteller präsentiert sich. Einer der Aufmerksamkeit möchte. Einer der sich in Szene setzen möchte.

Eine positive Lesart (im Sinne von: Wie bei einem Vorstellungsgespräch/Job Interview sich eben gut zu präsentieren, sich gut zu verkaufen) wäre auch möglich, darf aber im Hinblick auf den bisherigen Textverlauf und vor allem im Hinblick auf die sich anschließende zweite Teilaussage des Satzes ausgeschlossen werden.

Ganser, so erfahren wir, "präsentierte" sich "als geschickter Rhetoriker". Zwar wäre auch hier eine positive Lesart möglich. Ein geschickter Rhetoriker zu sein kann sicherlich auch als positive Eigenschaft betrachtet werden (wie die Fähigkeit, sich präsentieren zu können). Aber: So wie Ganser bisher dargestellt wurde, ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei den beiden Aussagen um Komplimente handelt.

Ein "umstrittener Historiker", der eine "Bühne nutzt" und "einem dankbaren Publikum" gegenübersteht, bedient sich natürlich einer "geschickten Rhetorik" nur, um seine Irrlehre bestehend aus verdrehten Fakten, schrägen Ansichten, Halbwahrheiten und Unsachlichkeiten zu verbreiten. Die Aussage "präsentierte sich" korrespondiert nahtlos mit dem Lead wo es heißt, dass er "die Bühne nutzte". Sie sind inhaltlich fast identisch. Wieder wird das Stilmittel der Wiederholung sichtbar, wodurch Ganser weiter in ein schlechtes Licht gerückt wird.

Der Zeithistoriker wusste genau um die scharfe Gratwanderung zwischen kritischen Fragen, die er stellte, und den in der Wissenschaft als unhaltbar geltenden "Verschwörungstheorien", denen eine bestimmte politische Weltanschauung oder Ideologie anhaftet.

WAZ-Artikel

Zunächst das Offensichtliche: Die Verfasserin muss über die begnadete Gabe verfügen zu wissen, was in einem Menschen vorgeht. Sie weiß, dass Ganser wusste. Das ist bemerkenswert. Nun mag man einwenden, dass eine geschickte Beobachtungsgabe durchaus einer Journalistin, die über eine Veranstaltung berichten soll, einen gewissen Zugang zum möglichen Innenleben des Vortragenden gewährt. Gewiss. Nur: Die Gabe macht sich noch zwei weitere Male in dem Artikel bemerkbar. ("Daniele Ganser gab bei alledem den vordergründig um Deeskalation bemühten Redner", "Zum Schluss dankt ihm der scheinbar überrumpelte Kunsthistoriker David Hornemann von Laer...").

Folgt man dem Begriff Verschwörungstheorien in seiner negativen Konnotation, wäre es eigentlich anzuerkennen, dass ein Wissenschaftler auf einer Bühne vor einem großen Publikum nicht "kritische Fragen" mit "Verschwörungstheorien" vermischt.

Ganser leistet offensichtlich also genau das, was diejenigen, die Verschwörungstheorien "kritisch" betrachten, erwarten: eine Trennung zwischen Verschwörungstheorie und kritischen Fragen. Ganser wusste nun, meint die Autorin, und das auch noch genau (eine gewisse Arglist, schwingt in dem Wort mit, die Ganser unterschwellig zugeschrieben wird), um die scharfe Gratwanderung zwischen kritischen Fragen und Verschwörungstheorie.

Verdient diese Fähigkeit, sich auf dem schmalen Grat zwischen kritischen Fragen und Verschwörungstheorien zu bewegen, nicht der Anerkennung? Spricht diese Fähigkeit im Grunde genommen nicht für Ganser? Für seine Wissenschaftlichkeit?

Zumindest darf man das so sehen.

Der Artikel begreift das Verhalten Gansers aber auf eine andere Weise. Das Verhalten von Ganser, sich "genau" auf dem schmalen Grat zwischen kritischen Fragen und Verschwörungstheorien zu bewegen, wird wohl, so liegt es nahe, als besonders hinterhältiger Versuch des "umstrittenen Historikers" gewertet, seine "kruden" Ansichten unter die Menschen zu bringen.

Die Textstelle offenbart: Das "Urteil" über Ganser wurde wohl längst gefällt. Es spielt überhaupt gar keine Rolle, ob er nun "Verschwörungstheorien" vertritt, ein "Verschwörungstheoretiker" ist oder sich nur auf einem schmalen Grat zwischen kritischen Fragen und Verschwörungstheorien bewegt: Der Historiker ist und bleibt in der Wirklichkeit des Artikels ein umstrittener Typ.

Besonders schlimm ist der in diesem Satz zum Vorschein kommende Journalismus auch deshalb, weil er nicht berücksichtigt, dass eines von Gansers Forschungsgebieten die verdeckte Kriegsführung, die Tiefenpolitik ist. Ein Forschungsgebiet, das sich zwangsläufig auch auf die Ebene von Verschwörungstheorien einlassen muss.

Zeitlich passend zu dieser Analyse veröffentlichte Spiegel Online einen Artikel über die Ermordung des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini. Darin wird eine aktuelle Recherche des Buchautors David Grieco angeführt, der davon ausgeht, herausgefunden zu haben, wer Pasolini umgebracht hat. In dem Artikel heißt es:

Was wie ein wirrer Thriller klingt, ist in weiten Teilen belegt: 1990 bestätigte der damalige Regierungschef Andreotti öffentlich die Existenz der mit CIA-Hilfe gegründeten Organisation Gladio. Die Attentate jener Jahre, zitierte DER SPIEGEL das Fazit einer Untersuchungskommission des Senats im Jahr 2000, "wurden organisiert oder unterstützt von Personen in Institutionen des italienischen Staats und Männern, die mit dem amerikanischen Geheimdienst in Verbindung standen".

Und 2005 legte der Historiker Daniele Ganser eine umfassende Studie über die Verwicklungen von staatlichen Eliten, Terrorismus, Geheimdiensten und Geheimorganisationen im Westeuropa des Kalten Kriegs vor....Die wahren Hintermänner des Verbrechens sieht er in der Führungsriege Italiens, damals angeblich infiltriert vom US-Geheimdienst CIA, dem Nato-Netzwerk Gladio sowie der italienischen Freimaurerloge P2.

Der Spiegel

Warum nun der Verweis auf diesen Artikelauszug? Er soll verdeutlichen: Die Forschungsarbeit von Ganser ist nicht aus der Luft gegriffen. Und: Nach 40 Jahren besteht die Möglichkeit, dass ein (politischer) Mord an einem italienischen Regisseur auch auf das Konto von Gladio geht.

Einmal ganz allgemein gefragt: Wäre ein Journalismus, der sich so vehement gegen Verschwörungstheorien ausspricht, ein Journalismus, der einen Forscher, dessen Spezialgebiet die Geheimen Armeen der Nato sind, am liebsten wohl vollständig aus dem öffentlichen Diskurs verbannen möchte, in der Lage, sich auf journalistischer Ebene unbefangen mit diesem Verbrechen auseinanderzusetzen?

Legitimitätsdoping

...und den in der Wissenschaft als unhaltbar geltenden "Verschwörungstheorien", denen eine bestimmte politische Weltanschauung oder Ideologie anhaftet.

WAZ-Artikel

Dieser Teil der Aussage ist geprägt von Komplexitätsreduktion.

...und den in der Wissenschaft als unhaltbar geltenden "Verschwörungstheorien", schreibt die Verfasserin so, als ob diese Aussage tatsächlich auf die gesamte Wissenschaft zutrifft (man denke nur an verallgemeinernde Aussagen wie: die Medien... die Politik..., die Politiker etc.).

Was hier zum Vorschein kommt ist das bekannte Mittel des "Legitimitätsdopings". Die eigene Sicht (simplifiziert ausgedrückt: Verschwörungstheorien sind zu verachten) wird aufgewertet, in dem man sich entweder auf höhere Werte bezieht (im Namen der Menschlichkeit, im Hinblick auf unser Ethikverständnis etc.), zum Fürsprecher von Personen und Gruppen macht, die Schutzbedürftig sind (Witwen und Waisen) oder aber, wie hier in diesem Falle, in dem die eigene Position in eine direkte Verbindung mit einer Quantität gebracht wird, gegen die kein vernünftiger Mensch ernsthaft andiskutieren wollte. Wenn ich nun gegen Verschwörungstheorien bin und ich zum Ausdruck bringe, dass auch die gesamte Wissenschaft Verschwörungstheorien für untragbar hält, dann ist ein maximaler Schutzwall hochgezogen, um Angriffe auf die eigene Argumentation abwehren zu können.

Ein um Differenzierung bemühter Journalismus hätte anstelle einer komplexitätsreduzierenden Behauptung angemerkt, dass Verschwörungstheorien von Teilen der Wissenschaft als unhaltbar angesehen werden und Belege dafür angeführt.

Zur zweiten Aussage des Satzes

...denen eine bestimmte politische Weltanschauung oder Ideologie anhaftet, heißt es in dem Artikel. Nun werden die weitreichenden Begrifflichkeiten Weltanschauung und Ideologie angeführt. Problem: Erneut findet keine Einordnung, keine Differenzierung statt. Verschwörungstheorien haftet eine "bestimmte" politische Weltanschauung oder Ideologie an, heißt es in dem Artikel. Wie soll man nun mit dieser "Feststellung" umgehen? Was ist der Wert dieser Aussage?

Interessant wäre es sicherlich für den Leser zu erfahren, wenn Verschwörungstheorien eine "bestimmte" Weltanschauung und Ideologie zu Grunde liegt, welche das denn ist. Doch erneut bleibt der Artikel im Vagen.

Außerdem: Haftet der Aussage, wie sie in dem Artikel angeführt wird, keine bestimmte politische Weltanschauung und Ideologie an? Beruhen die Einschätzungen, Aussagen, "Beobachtungen", die in dem Artikel zu finden sind etwa auf jener freischwebenden Intelligenz, von der der Wissensoziologe Karl Mannheim sprach? Sind diese also völlig frei von allen weltanschaulichen, ideologischen Einflüssen?

Festzustellen ist: Die schwierigen Begriffe Weltanschauung und Ideologie werden angeführt, um den "konspirativ-theoretischen Momenten" in der Gesellschaft einen "negativen Status" zuzuschreiben.

Der nächste Abschnitt soll aufgrund des Umfangs der Analyse ausgeklammert werden.

Im ersten Teil seines Vortrags trägt Ganser Beispiele von US-Kriegspropaganda seit dem Vietnam-Krieg vor. Das berühmte Bild des unbekleideten vietnamesischen Mädchens führt der 43-Jährige ebenso an wie die Thesen über die vermeintliche Existenz von Atomwaffen im Irak, womit der damalige Präsident Bush seine Intervention begründet hatte. Die USA als Supermacht - ein "modernes Imperium", wie Ganser sagt - hätten die Emotionen der Betrachter zugunsten der Kriegstreiberei manipuliert. Alles historisch relativ unstrittig.

WAZ-Artikel

Weiter mit diesem Abschnitt:

Doch die Quellen, die der Schweizer anführt, zumeist Blogs wie "MMnews", die Bewegungen wie Pegida befeuern, sowie sein Plädoyer, weniger Tagesschau zu sehen und statt der "Mainstr eam-Medien" mehr "alternative Medien" wie den deutschen Ableger des russischen Staatsfernsehens "Russia Today" zu konsumieren, lassen Kritiker an der Wissenschaftlichkeit seiner Thesen zweifeln.

WAZ-Artikel

Hat Ganser zumeist Blogs wie Mmnews in seinem Vortrag als Quellen angeführt? Im gesamten Vortrag des Historikers wird Mmnews einmal angeführt. Allerdings: Nicht als Quelle, auf die der Historiker sich stützt, um Informationen zu verbreiten.

Erläuterung: Die meisten Leser dürften das Spiegel-Titelbild "Stoppt Putin" kennen. MMnews hat das Spiegel-Titelbild verändert und mit der Schlagzeile versehen: "Stoppt Spiegel jetzt". Auf eine Anfrage von Telepolis zu dem Vorwurf, er habe zumeist nur Blogs wie Mmnews als Quelle in seinem Vortrag angeführt, sagt Ganser, er habe Mmnews "nur als Bildquelle" genutzt:

Ich habe nie MMnews gelesen. Aber ich hab über Google eine Suche gemacht "Stoppt Putin jetzt" und dann die Varianten "Stoppt Kriegspropaganda jetzt" als Bild und "Stoppt Spiegel jetzt" wieder als Bild gefunden. Die drei Bilder, also das Original und die zwei mit Fotoshop abgeänderten Cover habe ich dann im Vortrag gezeigt um damit zu unterstreichen: Es läuft ein Informationskrieg, gerade jetzt.

Daniele Ganser

Wieder kommt ein Journalismus zum Vorschein, der die Wirklichkeit verzerrt.

Um einmal aufzuzeigen, welche Quellen Ganser in seinem Vortrag u.a. angeführt hat: Noam Chosmky (Hegemony of Survival), George Friedman (vom Think Tank STRATFOR), August Hanning (BND-Chef zwischen 1998-2005), Spiegel, Friedrich Ebert Stiftung, Rede des ehemaligen US-Präsidenten Lyndon Johnson, Archive der NSA, New York Times, Edward Berney (Buch "Propaganda"), Telepolis, DIE ZEIT, Aldous Huxley (britischer Schriftsteller - Brave New World), Süddeutsche Zeitung, Rede von Colin Powell, Frankfurter Allgemeine Zeitung, ZDF "Die Anstalt", CSPAN,

Im Zusammenhang mit seiner Auseinandersetzung zu 9/11 führte Ganser u.a. auch: 911research, AE911Truth, ReThink91, Basler Zeitung, National Institut for Standards and Technology (NIST), Blick, Sonntagszeitung und die Neue Zürcher Zeitung an.

Insgesamt waren (Fehler vorbehalten) in dem Vortrag also vier "alternative Quellen" zu finden. Rechtfertigt dies davon zu sprechen, dass der Vortragende zumeist auf Quellen wie MMnews zugegriffen haben?

Von diesem sehr "eigenwilligen" Umgang mit Fakten einmal abgesehen. Hochproblematisch ist auch, wie in dem Abschnitt alternativer Medien betrachtet werden. Auch hierzu müsste man einen Exkurs führen, der an dieser Stelle nicht geleistet werden kann, daher nur kurz: Gerade im Internet sind viele alternative journalistische Formate entstanden. Die Qualität ist gemischt. Sie bewegt sich zwischen ausgezeichnet und miserabel. Falsch wäre es, eine Quelle allein schon aufgrund ihrer Herkunft abzulehnen. Hinter Russia Today steckt der russische Staat. Wer sich Informationen bedient, die beispielsweise Russia Today verbreitet, muss sich der "speziellen" Hintergründe des Senders bewusst sein. Das gilt allerdings grundsätzlich bei der Rezeption von Medien: Alle Medien, ob sie nun als vertrauenswürdig oder als nicht vertrauenswürdig eingestuft werden, sollten von Mediennutzern mit einem gesunden Maß an Vorsicht und Skepsis betrachtet werden.

Der angeführte Abschnitt lässt darauf schließen, dass "die Kritiker" (wer waren/sind diese Kritiker nochmal? Handelt es sich dabei um die Professoren? Das wird aus dem Artikel nicht deutlich) sich möglicherweise eines vereinfachenden Rezeptionsverständnisses bedienen, wonach Informationen nur aus Quellen genutzt werden sollten, die als "vertrauenswürdig" (was auch immer das dann heißt) eingestuft werden. Doch echte Medienkompetenz geht weiter. Sie vermag es, mit Informationen (und Desinformationen) unabhängig davon, aus welcher Quelle sie stammen, umzugehen, sie kritisch einzuordnen und selbst zu bewerten, ob man auf sie bauen kann. Gerade Historikern darf man durchaus zugestehen, dass sie zur Quellenkritik fähig sind.

Er hat "die Emotionen der Zuhörer fest im Griff"

Während Ganser die Kriegspropaganda der USA anprangert, blendet er gleichzeitig Fotos ziviler Opfer von Bombenangriffen ein. Der Schweizer bedient sich derselben Mittel, die er zuvor kritisiert hatte. Dabei hat er die Emotionen der Zuhörer - keineswegs nur Studenten und Professoren - fest im Griff. Er erhält Applaus bei Kritik an den USA und der NATO, erntet Betroffenheit und Entsetzen darüber, dass die Öffentlichkeit von Regierungen fehlinformiert werde.

WAZ-Artikel

Ist Ganser ein Manipulateur? Zielt Ganser bei seinen Vorträgen darauf, Menschen über Gefühle dazu zu bringen, seiner Sichtweise zu folgen?

Das Einblenden von Bildern, die Emotionen schüren, ist ein beliebtes Mittel zur Manipulation - das steht außer Frage. Aber: Reicht es aus, Ganser hier eine Manipulationsabsicht zu unterstellen (was halb offen, halb verdeckt geschieht)? Hält Ganser tatsächlich einen manipulativen Vortrag?

Wie oft kommen Bilder, die Emotionen hervorrufen in dem Vortrag vor? Spricht alleine die Tatsache, dass diese Bilder angeführt werden für eine im negativsten Sinne "manipulative Absicht" Gansers? Dürfen Bilder dieser Art, wenn Ganser zu dem von in dem Artikel angeführten Thema spricht, nicht gezeigt werden? Können diese Bilder nicht einfach nur einem dokumentarischen Zweck dienen?

Wir sehen: Für das Einblenden der Bilder gibt es mindestens zwei Erklärungen. Der Artikel geht jedoch offensichtlich davon aus, dass Ganser sich hier die Psychologie zu eigen macht. Andere Lesarten werden nicht einmal erwähnt.

Das Bild von Ganser als jemand, der Menschen, die ihm zuhören, durch fragwürdige Methoden in seinen Bann zieht, wird weiter ausgebaut.

Diese Interpretation wird verstärkt durch die Aussage, Ganser habe die Emotionen der Zuhörer im Griff.

Zum Beginn der Analyse wurde der Verdacht aufgeworfen, dass durch die Phrase "er nutzte die Bühne", dem Leser vermittelt werden soll, Ganser sei ein Manipulateur. Wenn nun zu lesen ist, dass der Historiker die Emotionen der Zuschauer im Griff habe, dann entsteht das Bild einer Art willenlosen Masse, die sich von einem Guru, von einem Führer, Verführer, lenken lässt. Schnell erscheinen Assoziationsketten zum Dritten Reich, zu den Nazis und ihrer üblen Propaganda vor dem geistigen Auge.

Auch der scheinbar sachlich angeführte Verweis, dass bei der Konferenz nicht nur Studenten und Professoren anwesend waren, muss hinterfragt werden.

Die Implikationen sind eindeutig: Auf der Veranstaltung nehmen nicht nur Studenten und Professoren teil, sondern offensichtlich auch "andere" Menschen, die, wenn sie nicht dem akademischen Feld angehören, wohl aus anderen Klassen und Schichten stammen und, so impliziert es die Aussage weiter, wohl für Manipulation und Verführung viel leichter zugänglich sind.

Kann es sein, dass hier eine doch recht stereotype Wahrnehmung der gesellschaftlichen Klassen und Schichten zum Vorschein kommt? Soll der an politischen Themen interessierten "Frau auf dem Markt", "dem Verkäufer beim Discounter" oder dem "Hausmeister", die sich vielleicht auch zu dem Vortrag eingefunden haben, nicht zugestanden werden, ein politisches Verständnis entwickelt zu haben, das es ihnen erlaubt, politische Themen einzuordnen und einen Vortrag, wie den von Ganser, differenziert bewerten zu können?

Die Frage ist zudem angebracht: Auf welchem Fundament beruht diese eingeschobene Aussage und Feststellung, wonach an diesem Abend nicht nur Studenten und Professoren anwesend waren?

Auch der zweite Teil seines Vortrags über den 11. September, den er als Anlass für sämtliche darauffolgende Kriege einstuft, stößt bei der Mehrheit auf Zustimmung. Ganser wirft die These auf, dass ein drittes Gebäude des World Trade Centers nicht in weiterer Folge der Anschläge, sondern etwa auch durch bewusste Sprengung hätte einstürzen können. Wer diese Sprengung hätte veranlassen sollen, dazu sagt der Schweizer nichts. Das Publikum scheint sich die Frage ohnehin nicht zu stellen, weil es die Antwort womöglich schon weiß. Von Weltverschwörung braucht Ganser da gar nicht zu reden. Mahn ahnt es ja: Die Amerikaner und die Massenmedien haben uns fest in der Hand. Widerstand zwecklos?

WAZ-Artikel

Auch auf diesen Absatz kann aufgrund des Umfangs der Analyse nicht im Detail eingegangen werden. Ein kleiner Teil soll aber dennoch Beachtung finden.

Das Publikum scheint sich die Frage ohnehin nicht zu stellen, heißt es in dem Artikel. Der Satz, so kann man es interpretieren, bringt fast schon eine gewisse Verachtung gegenüber dem Publikum zum Ausdruck. Dieses Publikum, diese 500 Personen, die zu der Veranstaltung gekommen sind, sie scheinen einfach nicht die Welt so (klar) wahrzunehmen, wie so mancher Reporter, der über einen umstrittenen Vortrag berichtet.

Wenn der "umstrittene Historiker" vorne auf der Bühne schon nicht von einer "Weltverschwörung" redet, unterstellt man diesem sehr "speziellen" Publikum ganz einfach, dass man bei ihm gar nicht über eine Weltverschwörung reden muss, schließlich hat es längst auf eine völlig komplexitätsreduzierende Weise die Schuldigen ausgemacht: "die Amerikaner und die Massenmedien."

Ist dem tatsächlich so?

Erneut darf man auf ein Unterlaufen journalistischer Standards hinweisen. Anstatt einer Spekulation ("scheint") und einer Mutmaßung ("womöglich"), die auf das politische Wirklichkeitsverständnis des Publikums abzielt, wäre es angebracht, das Publikum selbst zu Wort kommen zu lassen. Warum werden in dem Artikel nicht zwei, drei Stimmen aus dem Publikum angeführt?

Allein ein paar Professoren, die privat aus Interesse kamen, melden sich zu Wort, um die "rhetorische Manipulation" und die "Unwissenschaftlichkeit des Vortrags" zu kritisieren. An diesem Punkt aber hatte Ganser längst das Zepter in der Hand. Der wissenschaftliche Dialog ging unter. Die kritischen Professoren wurden vom Publikum ausgebuht. Daniele Ganser gab bei alledem den vordergründig um Deeskalation bemühten Redner. Zum Schluss dankt ihm der scheinbar überrumpelte Kunsthistoriker David Hornemann von Laer, der Ganser eingeladen hatte, für den "interessanten und schönen Vortrag".

WAZ-Artikel

Ein Teil dieses Abschnitts wurde bereits in der Analyse nach vorne gezogen. Daher sei sich nur auf den noch nicht besprochenen Teil konzentriert.

In diesem Abschnitt lässt der Artikel ein weiteres Bild von Ganser entstehen, das alles andere als frei von negativen Assoziationen und Implikationen ist. Nun ist Ganser also auch noch jemand, der ein "Zepter" in der Hand hält. Was genau ist noch mal ein Zepter? Wikipedia schreibt dazu:

Das Zepter...ist ein Teil der Krönungsinsignien. Es ist ein Stab aus wertvollem Metall, meist reich verziert mit Edelsteinen. Es ist das Symbol eines Herrschers eines Reiches und wurde ursprünglich getragen von Kaisern und Königen, später auch von Fürsten.

Wikipedia

Ein Sprachbild wird gebraucht, das von bitterböser Ironie geprägt ist. Wenn Obama auf einer Bühne steht, hält er dann nicht auch das Zepter in der Hand? Wenn Seehofer auf einer Veranstaltung redet, hält er nicht auch ein Zepter in der Hand? Wenn irgendein mehr oder weniger bekannter Künstler, einen Auftritt hat, sei es in Form einer Lesung, in Form eines Konzertes etc.: Hält er oder sie dann nicht auch das Zepter in der Hand? Anders gesagt: Es ist alles andere als ungewöhnlich, dass jemand, der öffentlich in dieser Form, wie es Ganser tut, auftritt, nicht das Zepter in der Hand hält.

Nahe liegt: Die Phrase "das Zepter in der Hand halten" wird in dem Artikel nicht verwendet, um einen ziemlich normalen Vorgang anzusprechen. Das Zepter wird nur von einem König gehalten. Bei Ganser, so die Implikation, muss es sich um eine Art "König" handeln, um einen "Herrscher". Doch, natürlich: Er ist kein König. Er hat kein Königreich. Er ist "nur" ein Historiker, der einen Vortrag an der Universität in Witten hält. Bitterböse Ironie entsteht.

Ganser, dieser Verschwörungstheoretiker, der die Bühne nutzt, der sich präsentiert, der die Emotionen der Zuhörer fest im Griff hat, der sich auf einem schmalen Grad bewegt, der mit Arglist vorzugehen scheint, spielt sich nun auch noch als eine Art "König" auf.

Zur letzten Aussage dieses Abschnitts:

Zum Schluss dankt ihm der scheinbar überrumpelte Kunsthistoriker David Hornemann von Laer, der Ganser eingeladen hatte, für den "interessanten und schönen Vortrag".

WAZ-Artikel

Das Bild einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Veranstaltung wird durch diese Aussage noch hochauflösender. Nun fühlte sich selbst der Veranstalter durch Ganser und dessen Vortrag: "überrumpelt". Oder, um die Aussage korrekt wiederzugeben: "scheinbar überrumpelt".

Der aufmerksame Leser stellt sich an der Stelle wohl nun die Frage: War Hornemann von Laer nur "scheinbar" überrumpelt oder war er es tatsächlich? Der weniger aufmerksame Leser liest vermutlich nur, dass der Veranstalter "überrumpelt" war, das "scheinbar" lässt sich schnell überlesen.

Wieder gelingt es dem Artikel nicht, die Fakten, die realen Verhältnisse, klar und deutlich wiederzugeben.

Wenn Hornemann von Laer sich überrumpelt gefühlt hat, dann wäre das doch für die Leser hoch interessant. Warum fühlte sich Hornemann von Laer überrumpelt? Hat Ganser etwa etwas vorgetragen, was nun auch dazu führt, dass selbst der Veranstalter sich von dem Auftritt des Historikers distanziert? Hat der Veranstalter möglicherweise den Auftritt falsch eingeschätzt?

Hier könnte ein Journalismus, der nicht skandalisieren will, sondern um Faktizität bemüht ist, punkten. Wo ist das Gespräch mit dem Veranstalter? Wo ist die Stellungnahme nach der Veranstaltung? Was führt Hornemann von Laer dazu, sich (scheinbar) überrumpelt zu fühlen und den Abend (so impliziert es die Textstelle) verlegen mit einer dünnen Phrase (interessanten und schönen Vortrag) abzuschließen?

Auch an dieser Stelle sei noch einmal die Logik bemüht. Wie schon weiter oben geschrieben: Der Veranstalter dürfte sich, bevor die Einladung an Ganser erfolgte, über ihn, seine Arbeit, seine Art vorzutragen genauso wie über die Inhalte seiner Vorträge informiert haben. Aus welchem Grund sollte der Veranstalter sich also "überrumpelt" gefühlt haben? Und: Warum, um die Frage nochmal aufzuwerfen, zeigt der Artikel den Lesern nicht auf, was die Gründe dafür sind, das Hornemann von Laer sich überrumpelt gefühlt hat?

Auf Nachfrage von Telepolis merkte Hornemann von Laer an: "Ich war weder überrumpelt, noch bin ich mir sicher, dass ich das so gesagt habe..."

Stattdessen nutzen andere Initiativen den Vortrag gegen Ende für Werbung: Sie verteilen Flyer für die zweite Ausgabe des "Alternativen Wissenskongresses". Eben jene Veranstaltung, die im März im Saalbau stattgefunden hatte und von der sich die AfD-Spitze eilig distanziert hatte. Damals protestierten Hunderte vor dem Saalbau. Redner bei der zweiten Veranstaltung im Februar in Iserlohn soll übrigens kein anderer als eben Daniele Ganser sein.

WAZ-Artikel

Im letzten Teil des Artikels wird auf "andere Initiativen", die für einen "Alternativen Wissenskongress" Werbung machen, verwiesen. Der Leser wird jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche "Initiativen" es sich handelt. Der Leser erfährt nur, dass diese "Initiativen" "Flyer" für "die zweite Ausgabe des Alternativen Wissenskongress" verteilen. Eine Veranstaltung, die in Witten im Saalbau stattgefunden haben muss, und von der sich die AfD-Spitzen distanziert haben - und zwar eilig.

Das mit dieser Veranstaltung etwas nicht zu stimmen scheint, wird mehr oder weniger offen kommuniziert, nur: Warum stimmt mit dieser Veranstaltung etwas nicht? Der Leser erfährt lediglich, dass auch Ganser als Redner bei dieser zweiten Veranstaltung dabei sein wird.

Eine kleine Recherche zeigt, dass die WAZ mehrere Artikel über den ersten "Alternativen Wissenskongress" veröffentlicht hat. Aus ihnen ergibt sich, wo das Problem liegt:

Wie berichtet, hatte zunächst die AfD den umstrittenen Kongress geplant, zu dem angebliche Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten eingeladen wurden. Inzwischen ist die AfD offiziell ausgestiegen, zu den Initiatoren sollen aber weiterhin Mitglieder aus den Reihen der "Alternative für Deutschland" gehören.

WAZ

Man muss weiter recherchieren, um zu erfahren, dass Ganser bei der Veranstaltung zu dem Thema "NATO - Friedensbündnis oder Angriffspakt?" referieren wollte (mittlerweile hat er den Besuch abgesagt).

Interessant wäre es für den Leser zu erfahren, warum der Kongress, wie es die WAZ schreibt, einen rechtspopulistischen Einschlag hat. Und: Wenn dem so ist: Warum nimmt Ganser an der Veranstaltung teil? Was sind seine Beweggründe? Wusste er nicht, wer bei dem Kongress auftritt? Hat er sich nicht genau darüber informiert, wer die Veranstalter sind? Oder: Wusste er, dass der Kongress "problematisch" ist? Und wenn er das wusste: Warum hat er sich dennoch zunächst entschieden, daran teilzunehmen?

Auch hier wäre es angebracht, dem Leser Klarheit zu verschaffen. Ein Interview mit dem Kritisierten dürfte wohl die optimale journalistische Form sein, um ihn mit kritischen Fragen zu konfrontieren. Doch erneut versäumt die Zeitung es, darzustellen, aufzuzeigen, zu informieren, Hintergründe anzuführen, um so der Leserschaft ihre eigenen Schlüsse zu ermöglichen. Ein Journalismus kommt stattdessen zum Vorschein, von dem man annehmen könnte, er wolle die Leser bevormunden.

Zusammenfassung der Analyse

In dem "Bericht" fällt negativ auf:

  • Vermischung von Meinung, Ansichten, Deutungen (umstritten, kritisch, nutzte die Bühne, dankbares Publikum, präsentiert sich als geschickter Rhetoriker, Ganser wusste um geschickte Gratwanderung, hält ein Zepter in der Hand etc.) mit Fakten bzw. "objektiver" Berichterstattung (500 Menschen kamen zum Vortrag, Ort der Veranstaltung wird genannt, Titel des Vortrags "Fakten, Meinungen, Propaganda - Wie mache ich mir selbst ein Bild" wird angeführt, 43-Jähriger etc., ).
  • Das Anführen anonymer Quellen ("...nach Ansicht von Beobachtern...", "...lassen Kritiker...", "...ein paar Professoren melden sich zu Wort..."), die herabwürdigende Aussagen tätigen dürfen (. "..der 43-Jährige den Anforderungen an wissenschaftliche Vorträge nicht gerecht werden...", "...lassen Kritiker an der Wissenschaftlichkeit seiner Thesen zweifeln...", "...um die "rhetorische Manipulation" und die "Unwissenschaftlichkeit des Vortrags" zu kritisieren...").
  • Die Zeitung lässt den Kritisierten in dem Artikel nicht zu Wort kommen.
  • Die Zeitung lässt die Veranstalter in dem Artikel nicht zu Wort kommen (Anmerkung: Die Zeitung ist auf den offenen Brief des Veranstalters in einem zuvor erschienenen Artikel eingegangen. Allerdings: Man kann nicht erwarten, dass die Leser die gesamte Berichterstattung verfolgen).
  • Die Zeitung lässt das Publikum nicht zu Wort kommen.
  • Ein sehr eigenwilliger Umgang mit der Realität (Stichworte: zumeist Mmnews, Hornemann von Laer fühlt sich scheinbar überrumpelt)
  • Verwendung problematischer Klassifizierungen ("umstritten", "kritisch"). - Einsatz von Diskurswaffen (Kampfbegriffe Verschwörungstheoretiker, Verschwörungstheorie werden angeführt, eine sachliche und fundierte Einordnung der schwierigen Begriffe findet nicht statt).
  • Undifferenzierte Verwendung der politisch aufgeladenen Begriffe Weltanschauung und Ideologie.
  • Kontextuelle Informationen werden dem Leser nicht vermittelt (Worauf beruht Gansers Reputation? Seine Grundlagenforschung zu Gladio und Staatsterrorismus wird nicht erwähnt).
  • Ein Journalismus mit Suggestivkraft kommt zum Vorschein, der sich nahe an der Schwelle zur Manipulation bewegt (dreimalige Wiederholung des Begriffs "umstritten", Gebrauch konnotativ negativ aufgeladener Sprachbilder z.B. "hatte Ganser längst das Zepter in der Hand").
  • Stark wertende und zugleich negative Darstellung der kritisierten Person ("Er nutzte die Bühne", "Verschwörungstheoretiker?", "Ganser präsentierte sich als geschickter Rhetoriker", "[Ganser] bedient sich Mittel, die er zuvor kritisiert hat", "..hat er die Emotionen seiner Zuschauer fest im Griff", "rhetorische Manipulation", "Unwissenschaftlichkeit des Vortrags", "hatte Ganser längst das Zepter in der Hand", Ganser als eine Person, die den Kunsthistoriker David Hornemann überrumpelt hat, Ganser als Person, die an einer obskuren Veranstaltung teilnimmt).
  • Negative Darstellung des Publikums (dankbares Publikum, Publikum buht Kritiker aus, Publikum lässt zu, dass der Vortragende seine Emotionen im Griff hat, Erwähnung, dass das Publikum nicht nur aus Studenten und Professoren besteht, Publikum das nicht zur differenzierten Betrachtung fähig ist, Publikum scheint davon überzeugt, dass die Amerikaner und die Massenmedien "uns fest in der Hand" haben).