Ein "NSU-V-Mann" von höchster Güteklasse
Seite 2: Wie der Boss, so der Tross
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Von Anfang an waren sich die Verantwortlichen der Fragwürdigkeit dieses Zusammenspiels bewusst. Auch deshalb wurde Szczepanski Chefsache - und zwar bis nach ganz oben. Von den Anbahnern wanderte die Causa zum Referatsleiter (Ministerialdirigent Rudolf Keseberg) und von dort zum VS-Chef von Brandenburg (Ex-Bundesanwalt Wolfgang Pfaff). Im Laufe der Jahre erreichte sie selbst den Innenminister (Alwin Ziel).
Auch er war direkt und persönlich mit der Quelle "Piatto" befasst, die er, so sagte er gegenüber dem Ausschuss, "nicht mal mit zwei Fingern angefasst hätte". Ziel trat die Flucht nach vorne an. Er holte sich den Segen der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages für die Weiterbeschäftigung des wegen versuchten Mordes Verurteilten und spannte sogar den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, ein. Auch der meinte, man müsse die Quelle nutzen.
Wie der Boss, so der Tross. Ein ganz ähnliches Bild wie der Ex-Innenminister wählte ein früherer Leiter des Referates "Beschaffung", sprich der V-Mann-Führung, der Szczepanski etwa ein Dutzend mal selber getroffen und angeleitet hatte: "Nach so einem Treffen wäscht man sich die Hand nicht nur einmal", sagte er gegenüber den Abgeordneten.
Jedoch: Die Zusammenarbeit mit ihm sei "alternativlos" gewesen, so die ex-Verfassungsschützer, er habe mitgeholfen Straftaten zu vereiteln und Neonazi-Gruppierungen zu verbieten, wie die Kameradschaft Oberhavel. Auf seine Dienste zu verzichten, wäre das größere Übel gewesen. Vom "Alleinstellungsmerkmal" Szczepanski war gar die Rede. Die Beamten duzten die angeblich so unappetitliche Person und ließen sich von ihr duzen, man traf sich jede Woche, Szczepanski bekam etwa 1000 D-Mark Agentenlohn im Monat, zuzüglich Benzingeld, auch bei der Wohnungssuche wurde dem Schützling geholfen.
Die Kooperation dauerte bis zum Juli 2000 an. Kurz nach "Piattos" Entpflichtung wurde er noch enttarnt und kam in ein Zeugenschutzprogramm, in dem er bis heute verharrt.
"Händewaschen"
Im Laufe der Jahre stieg "Piatto" zur sogenannten "A"-Quelle auf, der höchsten Güteklasse geheimdienstlicher Zuträger. Das Prozedere kam jetzt im Ausschuss zur Sprache. Danach soll die Einstufung das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eigenständig vornehmen. Ein Landesamt könne das lediglich vorschlagen oder beantragen. Wie genau das BfV über "Piatto" informiert war, lässt sich also auch an dieser Beförderung, die einer Adelung gleichkommt, ablesen. Das Kölner Amt soll sich dafür ausgesprochen haben, diese Quelle so lange wie möglich einzusetzen. Ein zentraler "NSU-V-Mann" wie Carsten Szczepanski macht damit auch das BfV zum zentralen Player im NSU-Kontext.
Jörg Milbradt, der den Verfassungsschutz in Brandenburg mit aufgebaut hatte, verwahrte sich gegen den Vorwurf, der Dienst habe durch die Mitarbeit des Rechtsextremisten Szczepanski Rechtsextremismus verharmlost oder begünstigt. Tatsächlich gingen Informationsabschöpfung und Neonazi-Aktivitäten im Falle "Piatto" ein unlösbares wie gefährliches Amalgam ein. Beispielsweise richtete der Verfassungsschutz gemeinsam mit seiner Quelle eine Postfach-Adresse einer Unterstützergruppierung für Gefangene der britischen Rechtsterror-Organisation Combat 18 ein.
Szczepanskis Skinhead-Heft United Skins war über die Adresse einer anderen Combat 18-Unterstützergruppe zu beziehen. Und sein Engagement in der NPD von Berlin-Brandenburg resultierte aus einem direkten Auftrag des Verfassungsschutzes. Doch nicht nur nach außen fehlte es an Distanz zwischen Agent und Amt, sondern offensichtlich auch nach innen. Briefe, die Szczepanski an seinen V-Mann-Führer "Dieter" (Reinhard G.) schrieb, schloss er mit der Formel "88 - Carsten". "88" steht für "Heil Hitler" - zweimal der achte Buchstabe des Alphabets.
Andreas L., jener Leiter des Referates "Beschaffung", und wie ein paar andere Kollegen mit dem Anwalt Butz Peters als Rechtsbeistand an seiner Seite im Ausschuss erschienen, war einst als westlicher "Aufbauhelfer" nach Brandenburg entsandt worden - und zwar schon im ersten Halbjahr 1990, als es die DDR also noch gab.
Nach Jahren im Innenministerium landete er schließlich beim Verfassungsschutz, wo er sich um die Quellenführung kümmerte. Neben dem Satz mit dem "Händewaschen" (siehe oben) wartete der Zeuge noch mit diesem auf: "Die Quelle Piatto erfuhr bundesweit Beachtung, weil sie Erkenntnisse in quantitativer wie qualitativer Hinsicht lieferte, die sowohl für das Bundesamt als auch für die Landesämter für Verfassungsschutz von größtem Gewicht waren."
"Das werden Sie auch bei Amri erleben"
Doch Grundlegendes der so unersetzlichen Quelle will er entweder nicht gekannt haben oder bestritt es. Der Verfassungsschutz habe keinen Einfluss auf die Haftbedingungen von Szczepanski oder seine vorzeitige Entlassung genommen. Von einem gemeinsamen Postfach in Sachen Combat 18 habe er nichts gewusst. Dass Szczepanski ein "Praktikum" im Neonazi-Laden Sonnentanz in Limbach bei Chemnitz absolvierte, höre er zum ersten Mal. Dass der Dienst irgendwelche Delikte der Quelle geschützt hätte, sei ihm nicht bekannt. Er bestritt, dass das Verhältnis zwischen V-Mann und VM-Führer drohte, zu eng zu werden. Und er wollte sich nicht einmal an Dokumente erinnern, die seine Unterschrift tragen.
Der Ausschuss glaubte ihm nicht und vereidigte ihn am Ende. Es ist bereits der x-te Zeuge, der sich dem unterziehen muss. Auftritte wie diesen konnte man 2012/13 in den ersten Jahren der NSU-Aufklärung vor den Untersuchungsausschüssen zur Genüge erleben. Dass es sie auch fünf, sechs Jahre später noch immer gibt, zeigt, wie virulent die Krankheit namens Verfassungsschutz nach wie vor ist.
Es sind aber nicht nur dessen Hauptamtliche, die für das NSU-Desaster Mitverantwortung tragen, sondern genauso die politischen Beamten, die Ministerialdirigenten, Staatssekretäre und Minister. In diesem Sinne können die Worte des früheren brandenburger Innenministers Alwin Ziel verstanden werden, der sich gegenüber dem Ausschuss dafür entschuldigte, dass die Behörden "deutschlandweit nicht in der Lage waren, das Problem zu lösen". Ein V-Mann-Führer sagte, was im Fall NSU passiert ist, sei eine Schande - und ergänzte: "Das werden Sie auch bei Amri erleben."