Ein Sozialdemokrat als Sheriff von Nottingham

Seite 2: Robin Hood beim G 20-Protest

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"Forget history, this is no bedtime story" - Bruder Tuck (Tim Minchin), hier Priester in Nottingham und eine der festen Figuren in der Robin-Hood-Mythologie, leitet den Film als Erzähler ein: Eine Gute-Nacht-Geschichte sei dies nicht, Historisches könne man als erstes schon mal vergessen.

Der neue "Robin Hood" soll eindeutig einer für unsere Gegenwart sein. Das bedeutet: Er ist einerseits jugendlich, ein dynamischer, frischer, idealistischer Held, der sich zwar für die Armen interessiert, ein bisschen mehr aber noch für seine Freundin Marian (Bono-Tochter Eva Hewson).

Andererseits ist er ein politischer Rebell und der Film ist offen politisch gemeint: Als Metapher für sozialen Aufstand gegen Ungerechtigkeit. Dieser "Robin Hood" ist mehr Outlaw denn je und erinnert im Kino an "V for Vendetta", in der Realität an einen Demonstrationsführer eines G-20-Protests: "Occupy Nottingham"!

Bild: © Studiocanal / Larry Horricks

Vergessen kann man freilich nur, was man einmal gewusst hat. Und auch wenn die Macher bei der jugendlichen Zielgruppe des Film Zweifel in punkto historisches Wissen gehabt haben mögen, wird hier doch mehr vorausgesetzt, als die Einleitung des Mönchs vermuten lässt: In der ersten Szene verliebt sich Robin of Loxley in Marian, um deren Beziehung dramaturgisch zu etablieren, zwei Filmminuten danach sind sie bereits ein Paar und Robin erhält eine Art Einberufungsbefehl.

Man muss wissen, was die Kreuzzüge sind, um sich nicht zu wundern, warum sich Robin - "vier Jahre später" - im Orient in einem harten Stellungskrieg befindet, der im Nahkampf auf Leben und Tod ausgetragen wird. In einen Hinterhalt geraten wird Robin um ein Haar getötet; sein Heerführer Norton rettet ihm das Leben. Diese Ereignisse verbinden wie eine Initiation drei Figuren für den Rest des Films: Robin, der kurz darauf verwundet nach England heimkehren kann, Norton und seinen arabischen Angreifer, der ihm heimlich folgt.

Heterogenität & Revolution

Zurückgekehrt nach Nottingham ist Robin doppelt traumatisiert: Durch die Kriegserfahrung und durch den Verlust seines privaten Glücks. Denn sein Wohnsitz ist zerstört, und da er für tot erklärt wurde, ist Marian nun mit dem Minenarbeiter Will (Jamie Dornan) liiert.

Denn das Nottingham des Films sieht aus wie eine Fabrik aus der Zeit der Frühindustrialisierung. Es gibt riesige Schmiedeöfen, und große Massen von Arbeitern werden unter miserablen Bedingungen sklavengleich gehalten und ausgebeutet.

Auch die Herrenklasse wirkt erstaunlich modern: Den Sheriff von Nottingham (Ben Mendelsohn) sieht man erstmals vor dem Spiegel sich die Haare bürstend - was ihn sogleich gegenüber dem Naturburschen Robin als "Decadent" ausweist -, er führt ein Bündnis aus Kirche, Militär und Kapital, er hält demagogische Reden, in denen er gegen Moslems wettert - "Sie hassen uns: Unsere Freiheit, unsere Religion, unsere Kultur" -, und trägt Ledermäntel, die in ihrem Feldgrau und ihrem Schnitt dem deutscher Wehrmachtsoffiziere im Zweiten Weltkrieg zum Verwechseln ähnlich sehen.

Offenkundig soll er als Kreuzung aus einem Faschistenführer der 1930er Jahre und den reaktionären Verführern unserer Tage erscheinen.

Doch das Potential für einen Aufstand ist da: Marian leitet eine Armenküche und brütet mit Will und Tuck an einem Aufstandsplan. Was fehlt ist der charismatische Anführer. Dies wird Robin als eine Art "Dark Knight" seiner Zeit, ebenso von Rache angetrieben, wie von dem Wunsch nach Gerechtigkeit. Angeleitet wird er darin zunächst nur von dem "Mohr", der ihm aus Arabien gefolgt ist, und sich jetzt John (Jamie Foxx) nennt - eine innovative Variante des "Little John" anderer Robin-Hood-Geschichten. Auch er will Rache - für die Kreuzzüge und die Hinrichtung seines Sohnes.

Die Einführung einer arabischen Figur ist ein guter Drehbucheinfall: Damit wird zum Beispiel erklärt, warum Robin als Bogenschütze so viel besser ist als alle anderen. Es liegt am Vorsprung durch Technik: John gibt Robin einen kürzeren, kleineren arabischen Bogen und unterrichtet ihn im Gebrauch dieser schnelleren, beweglicheren (historisch belegten) Waffe, die zudem mit ihrer stärkeren Durchschlagskraft auch Rüstungen durchdringt.

Die Figur des Robin ist somit bewusst in vieler Hinsicht heterogen gehalten: Erst durch einen "Mohr" als Lehrer und erst mit einer arabischen Waffe wird er zum Helden. Er ist einerseits von persönliche Leid getrieben, andererseits durch soziale Motive. Und er ist einerseits zur Gewalt bereit und beschreibt sich als "Führer einer Revolution", andererseits fleht er in einer Situation: "Kein Töten mehr!"