Ein überdimensionales Fanbuch frisst die Ärzte auf
Das Lexikon über die beste Band der Welt
Männer sind Schweine, aber die Ärzte keine Doktoren. Wer anderes schreibt, ist bei Band und Fans ebenso unten durch wie die Animateure, die in Mallorca oder Ibiza auf der Bühne zu Ärzte-Songs in weißen oder grünen Kitteln und mit blankem Hintern herumhopsen, um das Publikum zu erheitern.
Der Grund für den Erfolg der Band, die seit über 20 Jahren aktiv ist, sich selbst als die beste der Welt bezeichnet und darum im juraverseuchten Deutschland auch schon Prozesse wegen unlauteren Wettbewerbs führen musste, später jedoch ausgerechnet bei der Plattenfirma unterschrieb, die sie zuvor verklagt hatte: Die Ärzte ließen sich nie für einen Trend einspannen und nehmen weder Leben, Behörden noch Musikgeschäft zu ernst.
So fing sich Farin Urlaub diesen Künstlernamen ein, weil er immer zum Ende einer Produktion in Urlaub fuhr und die Vollendung der Platte dem Rest der Mannschaft überließ. Auch erfanden die Ärzte in ihrer WG einst das Genre der "Klomusik": Ein im Bad aufgestellter und am Plattenspieler angeschlossener zusätzlicher Lautsprecher sollte beim Baden den Genuss erhöhen. Dies ging schon bei einem meiner Freunde komplett daneben, dem auf einer Party der die Lautstärke vermindernde Widerstand vor diesem Bad-Lautsprecher das Zeitliche segnete, was zu Discothekenlautstärke in der Wanne und wenige Sekunde später zur ultimativen Partyüberraschung in Form dreier kreischender nackter Damen im Hausflur mit Schaum vor dem Mund und diversen anderen Körperteilen führte. Die Ärzte wiederum benutzten ihre Beschallung des nun nicht mehr stillen Örtchen gezielt dazu, allzu lange Sitzungen auf demselben oder in der Wanne durch Auflegen ausgewählt abscheulicher Platten - eben der "Klomusik" - zu verhindern.
Die fette Elke
Auch ihr Fett weg bekam Elke, eine nicht nur recht aufdringliche, sondern außerdem körperlich auch sehr umfangreiche Verehrerin der Ärzte. Als "Die fette Elke" wurde sie sowohl in Comics als auch im gleichnamigen Song in Bergen von Fleisch und Fett verewigt. Über die Damen, die in Belas Hausflur herumlungerten, dort Müll hinterließen, die Wände bemalten und sich auch noch täglich Belas Post aus seinem Briefkasten klauten - von Handyrechnungen über Urlaubskarten bis zur Post anderer Fans - gibt es dagegen kein Lied.
Da hörte selbst bei den Ärzten der Spaß auf, denn nun wurden die Urlaubsfotos und Telefonnummern der Rechnungen unter den Fans verteilt, bei Belas Freunden brach Telefonterror aus und Mütter baten entsetzt, ihr Töchter nicht zu behelligen - und zwar mit einer Strafanzeige. Ein Mädchen rächte sich dafür, dass sie nun nicht mehr Belas Hausflur versauen, seine Freunde Tag und Nacht anrufen und seine Post klauen und kopieren durfte, indem sie der Bravo erzählte, dass Farin sie bedrohen und verprügeln wolle, was diese auch brav druckte. Schwul sind die Ärzte trotz dieser Erfahrungen zwar nicht geworden, aber die Bravo ist bei ihnen für alle Zeiten unten durch.
Doch auch wenn die Ärzte selbst nie jemand anzeigten, blieben sie selbst davon nicht verschont. So hatte die Band in ihren frühen Tagen viele flapsige, satirische und erfrischend politisch inkorrekte Parodien über Sex- und Horrorthemen geschrieben, die bei den Fans auch recht beliebt waren - von dem Song über Helmut Kohl, der seine Frau schlägt über ein fiktives Rendezvous mit Grace Kelly in der Nacht vor dem Verkehrsunfall bis zu Anneliese Schmidt, dem Nachbarskind, das aufgegessen wird und dem Monster-Schlaflied für Kinder, das diese garantiert ebenso wenig schlafen lässt wie das morgendliche RTL-Kinderprogramm. Noch beliebter sind bis heute die satirischen Songs über "sexuelle Abweichungen", von "Geschwisterliebe" (Inzest) über "Gwendoline" (SM) bis zum Fortsetzungsroman "Claudia" (Sex mit Tieren). Auch "Tittenmaus" ist sehr beliebt, um junge Damen zu schocken, wobei diese den parodistischen Ansatz der Lieder normalerweise durchaus kapieren und dann sogar ganz angetan sein können.
"Claudia hat 'nen Schäferhund"...
Nicht so die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Die versteht berufsbedingt keinen Spaß und setzte - wobei sie immerhin zugaben, dass es weit schlimmere Platten gibt, doch diese nie von Eltern gemeldet wurden - nach einer Beschwerde einer Essener Mutter beim dortigen Jugendamt ab 1987 einen Ärzte-Song nach dem anderen auf den Index, ebenso wie etliche Alben. Nach kurzer Zeit waren die Ärzte die meistindizierte Band Westeuropas.
Claudia, die sich angeblich so gerne mit ihrem Hund vergnügte und das nicht mehr durfte, bekam in späteren Fortsetzungen deshalb prompt eine Orgie mit Mit-Gliedern dieser Prüfstelle zwecks sexueller Umerziehung angedichtet, doch konnten deren männliche Qualitäten auf Dauer nicht mit denen eines Pferds, eines Elefanten und eines Buckelwals mithalten: Die Ärzte-Claudia stand halt auf wahre Größe.
"Geschwisterliebe" darf von der Band gar nicht mehr gesungen werden, weshalb sie es nur noch als Instrumental namens "Der Ritt auf einem Schmetterling" spielten und dann das Publikum den verbotenen Text sang. Das konnte dafür natürlich nicht bestraft werden. Allerdings darf die Band nicht zum Mitsingen auffordern, sonst macht sie sich trotzdem strafbar. Plattenläden bekamen es mit der Angst zu tun und warfen auch nicht indizierte Platten aus dem Sortiment, Konzerthallen wurden mit dem Schild "ab 18" versehen und die Ausweise der Besucher kontrolliert, was sich erst viele Jahre später in München wiederholte, als sich sogar der Bundesgrenzschutz vor einer Konzerthalle aufbaute und den Eintritt untersagte, in der die englischen Metaller-Frauen von Rockbitch mit ihrer etwas heftigeren Show auftreten sollten. In Interviews und Fernsehauftritten durften die Ärzte nicht über ihr juristisches Problem sprechen.
Schließlich packten sie entnervt alle indizierten Songs sowie noch ein paar nicht verbotene, doch ebenfalls satirische Titel auf eine Platte, nannte diese "ab 18" und versahen sie gleich selbst mit dem Hinweis, dass der Verkauf nur an Personen über 18 erlaubt sei. Hinzu kamen die absurdesten Passagen aus dem Schriftwechsel mit den Behörden über die Indizierungen - die Platte bekam Kultstatus. Die Band hatte jedoch durch all den Ärger nun die Schnauze voll und wollte sich 1987 auflösen.
"Uwe Barschel geht auch auf unser Konto"
Nach einer längeren Tour ohne großen Kontakt mit dem Tagesgeschehen war noch ein Abschlusskonzert in der legendären Alabamahalle mit der Übertragung in "Live aus dem Alabama" angesetzt. Günter Jauch war sehr nervös und bat die Band, bloß keinen Mist zu bauen. Die Ärzte hatten jedoch kurz vor dem Konzert vom Ende des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel gehört, allerdings ohne Details in Erfahrung zu bringen.
Zunächst witzelte man "Uwe Barschel geht auch auf unser Konto", doch eine weitere Anspielung kam dann zur unvermeidlichen Instrumentalversion von "Geschwisterliebe": "Singt dieses Lied nicht, Uwe Barschel hat es gesungen und ihr wisst, was aus ihm geworden ist!". Dies löste dann endgültig den größten Skandal in der Geschichte der Band aus - Fernsehzuschauer beschwerten sich beim Sender ebenso wie der damalige Leiter der bayrischen Staatskanzlei Edmund Stoiber und am nächsten Tag waren die Ärzte auf allen Titelseiten der Boulevardpresse.
Erst 1993 nach nur bedingt erfolgreichen Solo-Karrieren fanden Bela B. (Dirk Felsenheimer) und Farin Urlaub (Jan Vetter) wieder zusammen, Rod Gonzales als Bassisten ergänzt seitdem die heutige Band-Besetzung. Bereits 1995 wurde "Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf" als Albentitel vorgeschlagen, was unbeabsichtigt Weitblick bewies und später zum Titel des mit 500 Seiten Din A 4 tatsächlich überdimensionalen Fanbuches wurde, während das Album "Planet Punk" genannt wurde.
1996 schloss die Universal das Plattenlabel Metronome, bei dem die Ärzte unter Vertrag waren. Das verziehen diese nicht, gingen nicht wie erhofft direkt zur Mutterfirma, sondern gründeten ihr eigenes Plattenlabel Hot Action Records, dessen Titel durchaus an Pornofilm-Anbieter erinnern soll. Deshalb können die Ärzte auch heute noch - im Gegensatz zu Künstlern, die direkt bei den großen Plattenfirmen unter Vertrag sind - echte Audio-CDs herausbringen (Das neue Geschäftsmodell der Plattenindustrie?).
Schon die Single "Wie es geht" vom August 2000 wurde aus Protest gegen die Kopiererhatz als handbeschriftete CD-R aufgemacht und mit einem modifizierten "Copy kills Music"-Logo versehen, das "Kill them all" beschriftet wurde. Die Ärzte waren von dem 1998 beginnenden Umsatzeinbruch in der Plattenbranche dabei trotz - oder gerade wegen - des fehlendem Kopierschutzes stets weniger betroffen als die von den Plattenfirmen hochgejubelten Pseudo-Superstars.
Auch wer meint, über die Ärzte schon alles zu wissen, wird in dem Buch interessante Geschichten finden. Beim Lesen sollte man allerdings weniger Rock'n-Roll-Drogen nehmen als die Band in manchen Jahren, denn das Buch ist zwar nicht jugendgefährdend, doch mit fetten drei Kilo nicht ungefährlich, wenn es einem ähnlich Elke auf die Füße fällt.