Ein virtuelles Mekka für Netizens?

Das Internet Governance Forum (IGF) gewinnt Konturen

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Beim 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS II) hatten die UN-Mitgliedstaaten im November 2005 in Tunis beschlossen, ein Internet Governance Forum (IGF) zu gründen, das sich mit der Zukunft des Internet beschäftigen sollte (Wie unterrichtet man "tickende Zeitbomben"?). Nach den ersten IGF-Konsultationen vergangene Woche in Genf zeichnen sich die Konturen dieser neuen globalen Internetinstitution ab, die möglicherweise das Potential hat, Internetgeschichte zu schreiben.

Im lang andauernden WSIS-Streit über die Kontrolle der Internet-Kernressourcen und die Zukunft des globalen Internet-Managements gab es seit 2002 zunächst einen Machtkampf darüber, wer denn eigentlich nun das Sagen haben soll: Regierungen oder der private Sektor? ITU oder ICANN? Die US Regierung oder die UNO? Die Unmöglichkeit, eine einvernehmliche Regelung zu erreichen, führte schließlich zu der Einsicht, dass man eine solche dynamische Angelegenheit wie das Internet nicht in ein Prokrustusbett traditioneller intergouvermentaler Mechanismen zwingen kann.

Da jedoch ein solch neues Phänomen wie das grenzenlose Internet mit mittlerweile mehr als einer Milliarde Nutzer und wachsender Bedeutung für die Weltwirtschaft irgendeinen Governance-Mechanismus benötigt, entsann man sich der alten Hausfrauenweisheit, dass man lieber siebenmal messen sollte, bevor man schneidet. Messen heißt in diesem Fall erst einmal weiter diskutieren. Keiner hat bislang eine neue Governance-Idee produziert die der dezentralen Netzwerk-Architektur des Internet gerecht wird. Klar ist nach den jahrelangen Debatten lediglich, dass ein solcher Governance-Mechanismus nur dann funktionieren wird, wenn nicht ein Stakeholder allein entscheidet sondern alle Betroffenen und Beteiligten adäquat, oder wie es in der WSIS-Sprache heißt, "entsprechend ihren spezifischen Rollen und Verantwortlichkeiten" eingebunden sind. Das geplante Internet Govcernance Forum ist insofern eine Art als Platzhalter mit dem Zeit gewonnen werden soll, neue Idee reifen zu lassen.

Zwar hat der Tunis-Gipfel ein klares inhaltliches Mandat für das IGF erteilt, aber die Beschlüsse waren relativ vage hinsichtlich des Status und der Organisationsforum dieser neuen "Kreatur" im System internationaler Beziehungen. Das IGF ist angelegt als eine Art Hybrid, weder Fisch noch Fleisch, will heißen: Es ist weder eine Regierungsorganisation wie die ITU noch eine private Gesellschaft wie ICANN. Das Forum ist zunächst eine Plattform, wo Akteure mit unterschiedlichen juristischen Status und politischen und ökonomischen Gewicht gleichberechtigt miteinander reden. Daraus könnte sich Schritt für Schritt jener Mechanismus entwickeln, der gebraucht wird, um das Internet so zu managen, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zum Netz haben, um den sinnvollen Gebrauch des Internet zu fördern und seinen Missbrauch zu behindern. Sollte das gelingen, würde des IGF Internetgeschichte schreiben.

Noch ist es aber nicht so weit und zunächst geht die Diskussion um Einzelheiten. Die Hauptstreitpunkte, die bei den zweitägigen IGF-Konsultationen in Genf sichtbar wurden, waren:

  1. das Leitungsgremium des IGF
  2. die zu behandelnde Themen des IGF
  3. und das generelle Verständnis darüber, wie das IGF funktionieren soll.

Büro oder Programmbeirat?

1. Dass ein Forum irgendeiner Steuerung bedarf versteht sich von selbst. Die Vorschläge, wie das zu bewerkstelligen sei, reichten in Genf von der Schaffung eines "Internet Governance Büros", das aus je einem Unterbüro für Regierungen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft bestehen könnte, bis zu einem "Programmbeirat", der lediglich über die Tagesordnung des jeweilig nächsten Forums zu entscheiden hat. Dazwischen kursierte die Idee, eine "Steuerungsgruppe" zu bilden, die den Prozess insgesamt leitend begleitet.

Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft machten in Genf kein Hehl daraus, dass sie nicht viel von einem "Internetbüro" halten (das schnell zu einem "Internet-Politbüro" mutieren könnte). Die EU, die noch am ersten Tag der Konsultationen eine "Steuerungsgruppe" vorgeschlagen hatte, schwenkte später auch um und unterstützte ein eher leichtgewichtiges "Programmkomitee". Wiewohl noch nichts entschieden ist, scheint klar, dass, wie auch immer das Gremium heißen wird, es sich aus Vertretern aller drei Stakeholdergruppen zusammensetzen wird. Momentan scheint es eher wahrscheinlich, dass UN-Generalsekretär Kofi Annan, der für die Einberufung des IGF verantwortlich ist, von seinem Erstnominierungsrecht Gebrauch machen wird und ähnlich wie bei der "Working Group on Internet Governance" (WGIG) ein handverlesenes Expertenteam mit dem Mandat der Vorbereitung des Forums ausstattet und es dann dem weiteren Prozess überlässt, wie sich das IGF formell konstituiert.

2. Das Problem für das Programmkomitee wird sein, sich auf eine handhabbare und vernünftige Tagesordnung für das erste Forum festzulegen. Auch hier prallten in Genf zwei Vorstellungen aufeinander: Einige Redner drängten darauf, dass sich das IGF auf ein oder zwei Themen konzentrieren soll, andere wollten die Themenauswahl so wenig wie möglich beschränken.

Die EU schlug vor, sich auf die weniger kontroversen Themen wie "Spam" und "Multilingualismus" zu konzentrieren. Andere waren der Meinung, dass man auch auf dem IGF über das kontroverse Thema des Managements der Internet-Kernressourcen - Root Server, Domainnamen und IP-Adressen - diskutieren müsse, was die EU wiederum lieber in einem separaten Prozess - der in der WSIS Sprache "enhanced cooperation" heißt - auf primär intergouvernmentaler Ebene behandelt sehen möchte. Auch die US-Regierung möchte das Thema "Internetaufsicht" aus dem IGF raushalten, was aber weder den Entwicklungsländern noch China passt. Brasilien schlug daher erneut vor, das Projekt einer "Internet Konvention" im Rahmen des IGF zu diskutieren.

3. Strittig ist schließlich auch, wie das Forum insgesamt organisiert werden soll. Einige sehen es mehr als ein "jährliches Ereignis", eine von vielen Konferenzen, wo Experten zusammenkommen, zwei Tage diskutieren und dann wieder auseinander gehen. Andere wollen das Forum stärker als einen langfristig angelegten Prozess organisieren, wo quasi ganzjährig online Schlüsselthemen diskutiert werden und man sich dann einmal jährlich offline trifft, um herauszufinden, ob die Diskussion in den virtuellen Arbeitsgruppen so weit gereift ist, dass man konkrete Empfehlungen für Entscheidungsgremien formulieren kann. Dieses letztere Online-Offline-Verfahren ist wiederum nicht wenigen Regierungen suspekt, die darum fürchten, bei einer solchen "von unten" getriebenen Politikentwicklung via Internet die Kontrolle über den Prozess zu verlieren.

Dinge geraten in Bewegung

Als sich am späten Freitagnachmittag die Diskutanten erschöpft hatten, versuchte Nitin Desai, die rechte Hand von UN-Generalsekretär Kofi Annan in Internetfragen, etwas Ordnung in das breite Meinungsspektrum zu bringen. Mit ebenso ruhiger wie harter Hand formulierte der indische Spitzendiplomat, der sich schon als Vorsitzender der WGIG Anerkennung von allen Seiten erworben hatte, einige Fixpunkte.

Er setzte ein Limit von zehn Tagen für Vorschläge zu einem Programmbeirat. Der Beirat sollte sich im Mai treffen, um die Tagesordnung des ersten Forums zu besprechen. Ende Juni will Kofi Annan die offiziellen Einladungen versenden und das Forum selbst könnte dann Ende Oktober in Athen stattfinden. Markus Kummer, der Schweizer Diplomat, der bereits bei der WGIG Nitin Desai als Sekretär gedient hat, wird noch nächste Woche ein offenes Online-Forum auf der IGF-Website eröffnen. Und ganz am Schluss luden die Brasilianer schon für das 2. IGF nach Rio de Janeiro ein.

Die Dinge geraten also in Bewegung. Insofern waren die IGF-Konsultationen nützlich. Es kommt nun auf die handelnden Akteure an, möglichst unspektakulär auf der Basis der Genfer Diskussionen die Rahmenbedingungen für das IGF zu formulieren. Wenn man die Sachfragen in den Mittelpunkt rückt, sich dabei auf die transdisziplinären und inter-institutionellen Aspekte konzentriert und vermeidet, dass das IGF zu einer Showbühne für politische Schaukämpfe wird, besteht sogar die Chance, dass das "Internet Governance Forum" zu einem neuen Mekka für Netizens aus aller Welt wird, wo man hingeht und die neusten Trends, Probleme und Perspektiven erfährt.