Eine Gärtnerstelle und mehrerlei Böcke

Nach dem Griechenland-Fiasko denken deutsche Politiker darüber nach, welche Anreize das bisherige Rating-System setzt

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Nur weil der Bock ein guter Fleischlieferant ist, muss man in deshalb noch nicht gleich zum Gärtner machen. Das scheint nun auch FDP-Chef Westerwelle einzusehen. Zumindest in einem relativ engen Teilbereich. Denn er will nicht mehr, dass der "Markt" die Bonität von Ländern bewertet. Anlass dafür ist, dass die sich als Selbstregulierungsorgane ausgebenden Ratingagenturen nach der Kreditwürdigkeit von Griechenland auch die von Portugal und Spanien herabstuften, was das Experiment einer europäischen Gemeinschaftswährung erheblichen Belastungen aussetzt.

Der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gab der FDP-Chef, der auch nach den ausgesprochen bedingt erfolgreichen Privatisierungsumsetzungen der Neunziger und Nuller Jahre glaubensstark an solchen Projekten festhielt, in der letzten Woche zu Protokoll, dass man eiligst Lehren aus Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen müsse. Eine daraus sei, so Westerwelle in einer 180-Grad-Kehrtwende zu seinen bisherigen Dogmen, dass "Ratingagenturen [...] nicht gleichzeitig Finanzprodukte entwickeln, vertreiben und bewerten" dürften. Und obwohl ein Kernteil des Vertrages von Lissabon darum geht, öffentliche Leistungen einzuschränken oder ganz zu verbieten, weil sie angeblich der Privatwirtschaft unfaire Konkurrenz machen, will der FDP-Politiker, dass die EU "der Tätigkeit von Ratingagenturen eigene Bemühungen entgegensetzt", wodurch Interessenkonflikte künftig vermieden werden sollen.

Guido Westerwelle. Foto: Pujanak. Lizenz: CC-BY 3.0.

Tatsächlich kann man beim Rating derzeit nicht wirklich von einem Markt sprechen, sondern eher von einem Oligopol aus drei übermächtigen Agenturen. Die in der Griechenlandkrise am meisten ins Blickfeld der Öffentlichkeit geratene ist Standard and Poor's, kurz "S&P". Sie gehört zum amerikanischen Finanz- und Medienkonzern McGraw-Hill, was alleine einen gewissen Mangel an Neutralität mit sich bringt. Den gibt es ebenso bei Moody's, einer Firma, deren Aktien zu einem großen Teil dem Investor Warren Buffett gehören. Fitch, die dritte der Agenturen, befindet sich im Besitz der französischen Fimalac-Holding.

Alle Versuche, das Oligopol durch weitere private Marktteilnehmer aufzubrechen, scheiterten bisher - und zwar auch an staatlichen Stellen in Europa und den USA, die sich bei der Bewertung von Unternehmen auf die von den großen Drei vergebenen Zensuren verließen und damit für andere Akteure an den Finanzmärkten den Kurs vorgaben. Das sind zum Beispiel Pensionsfonds und Versicherungen, die häufig nicht nur über staatlich verordnete, sondern auch durch selbst gegebene Vorschriften sklavisch an die Noten der drei Agenturen gebunden sind und deshalb sofort alles verkaufen müssen, was heruntergestuft wird. Ein System, in dem Lawinenbildung praktisch vorprogrammiert ist.

Weil sich das Oligopol von den Akteuren, deren Anleihen es bewertet, bezahlen lässt, sind auch noch in anderer Hinsicht eindeutige Anreize gesetzt. Das zeigte sich in der Finanzkrise, wo selbst mutmaßlich bewusst als Betrugspapier gestaltete Anleihen wie die von Goldman Sachs angepriesenen und von John Paulson zusammengestellten Abacus-2007-AC1-CDOs von S&P und Moody's mit Bestnoten geadelt wurden. Auch bei der Bewertung anderer "komplexer Finanzprodukte", die man vor der Krise sogar als eine Art Versicherung anpries, zeigte sich die Benotung durch die drei Agenturen als ausgesprochen unzutreffend: Noch als kritischere Medien bereits seit Monaten darüber berichteten, wie wackelig die Hypothekenkredite waren, aus denen die verschachtelten Papiere letztlich bestanden, bewertete das Oligopol solche Derivate mit Bestnoten. Und als die Krise schließlich für alle unübersehbar ausgebrochen war, verkehrten die Agenturen diese Bewertung ohne Zwischenschritte in ihr Gegenteil.

Eigentlich hätten man allen Beschäftigten, die dafür verantwortlich waren, aus Sicherheitsgründen ein lebenslanges Berufsverbot erteilen und sie zu Spargelernte schicken sollen. Oder, wie ein krawallgeplagter Berliner meinte, sie zusammen mit Chaoten in eine Zelle stecken, weil sie ja ebenfalls fremder Leute Eigentum verbrannten. Stattdessen blieben entsprechende Konsequenzen aus. Einen ersten zögerlichen Schritt machte lediglich Richard Blumenthal, der Generalstaatsanwalt des US-Bundesstaates Connecticut, der Moody's und S&P vergeklagt hat. Bis man weiß, ob Blumenthal seine Vorwürfe gerichtsfest beweisen kann, dürften allerdings Jahre vergehen.

Wolfgang Schäuble. Foto: Franz Richter. Lizenz: CC-BY-SA.

Anders als Westerwelle zeigte sich Finanzminister Wolfgang Schäuble in der Welt am Sonntag der Überzeugung, dass eine "staatliche Bürokratie [...] nicht in der Lage" wäre, die Bonität von Kreditnehmern zu überprüfen. Zumindest in Teilbereichen könnte er damit nicht ganz unrecht haben: Da sich mit Fitch eine der drei relevanten Ratingagenturen bereits in französischem Besitz befindet, kann der deutsche Außenminister mit den geforderten "eigenen Bemühungen" keine weitere private Agentur in europäischen Händen meinen, sondern nur eine öffentliche. Und wenn er solch eine EU-Behörde auch die Finanzpapiere der Mitgliedsstaaten bewerten lassen will, dann wendet sich Westerwelle nur scheinbar vom Neofeudalismus der letzten Jahrzehnte ab- und dem Ordoliberalismus Wilhelm Röpkes und Alexander Rüstows zu, in dem als Grundvoraussetzung eines klug konstruierten Marktes gilt, dass die Akteure sich nicht ihre eigenen Regeln zimmern können.

Schäuble setzt stattdessen auf eine "bessere und effektivere Regulierung der Ratingagenturen". Wie Letztere aussehen könnte, ließ er jedoch offen. Allerdings dürfte die Regulierungsgewalt dann, wenn man dem Oligopol seine Macht belässt, ohnehin eher in den USA liegen, als in Brüssel oder Berlin. In Washington aber redet man bislang nur davon, der Börsenaufsicht SEC stärker nachprüfen zu lassen, wie die Noten der Ratingagenturen zustande kommen. Und während geredet wurde, blieben die Methoden der Bewertung auch zwei Jahre nach dem Kollaps intransparent und offenbar auch weitgehend unverändert. Die Tatsache, dass die Abstufung auch bei Griechenland und Portugal sprunghaft und nicht in kleinen Schritten vor sich ging, deutet in jedem Fall sehr stark darauf hin, dass die Systeme immer noch so untauglich sind wie vor der Finanzkrise.

Sehr viel weiter gehende Forderungen als FDP- und CDU-Politiker sie machten, kamen in der letzen Woche vom dritten Koalitionspartner, der CSU. Deren Generalsekretär Alexander Dobrindt verlangte in der Bild-Zeitung eine "schwarze Liste [...] mit den Namen der Spekulanten, die gegen Griechenland gewettet haben". Je nach Gründlichkeit und Tiefe der für die Zusammenstellung solch einer Liste notwendigen Untersuchungen könnten sich hier durchaus interessante Verbindungen zum Rating-Oligopol ergeben. Fraglich ist freilich, inwieweit Dobrindts Vorschlag tatsächlich in praktische Konsequenzen münden wird: Immerhin hatte sein Parteifreund Peter Gauweiler schon im Februar einen "Erlass gegen Extremisten und Radikale im Bankgewerbe" gefordert, ohne das etwas Entsprechendes geschehen wäre.