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Seite 2: Lokal Handeln oder politisch denken?

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Lokal Handeln oder politisch denken? Grüne Politik und Transition-Bewegung im Standortwettbewerb

Die Transition-Bewegung wird von vielen Parteimitgliedern bei Bündnis90/Die Grünen als natürlicher Partner betrachtet. Die Podiumsdiskussion zeigte jedoch durchaus unterschiedliche Weltsichten zwischen Dorothee Landgrebe für die grünennahe Böll-Stiftung, Rob Hopkins als Transition-Botschafter, Gerd Wessling als deutschsprachiger Transition-Netzwerker und Dieter Janecek als wirtschaftspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion.

Wiederholt wollte die Moderatorin wissen, ob es denn reiche, lokal zu handeln. Müsse nicht die politische Ebene intensiver einbezogen werden? Und der Bundestagsabgeordnete wollte wissen, ob das nicht alles lieb und nett sei, ob es nicht trotzdem die Politik brauche oder ob noch mehr Brauereien ausreichend seien gegen Peak Oil und Klimawandel. Die Transition-Vertreter betonten, dass es enorm wichtig sei, "die kleinen Dinge anzugehen, um zu sehen, dass sich etwas bewegen lässt".

Podiumsdiskussion Rob Hopkins, Dorothee Landgrebe, Dieter Janecek und Gerd Wessling. Bild: N. Rost

Diese Aussage spricht der Parteipolitik die allumfassende Handlungsmacht ab. Offenbar sieht aus dem Transition-Blickwinkel die Politik nicht nach einem "kleinen Ding" aus, bei dem man sieht, "dass sich etwas bewegen lässt". Zugleich fällt es der parteinahen Sichtweise schwer, scheinbar unpolitischem Handeln ausreichende Bedeutung zuzumessen. Hopkins beantwortete den unausgesprochenen Wunsch nach einer stärkeren Politisierung des Transition-Ansatzes mit einem Verweis auf die Arbeitsweise in Totnes:

Transition verbindet sich nicht zu stark mit Parteipolitik, dennoch ist das, wofür Transition steht, extrem politisch. Gerade weil Transition nicht Partei ergreift, erlaubt dies die Zusammenarbeit mit Institutionen wie der Industrie- und Handwerkskammer.

Nach Hopkins ist das ganz alltägliche Handeln bereits ein gesellschaftswirksamer Akt, denn wir entscheiden jeden Tag wenn wir einkaufen gehen, in was unser Geld investiert oder devestiert wird. Das Handeln nach Transition-Prinzipien erschafft deshalb eine Nachfrage nach bestimmten ökonomischen Produkten aber auch nach politischen Rahmenbedingungen. Er lädt zur Selbstermächtigung ein, wenn er betont: "Es gibt eine Menge Sachen, die man gänzlich ohne politische Unterstützung tun kann."

Veranstaltung in der Böll-Stiftung. Bild: N. Rost

Die inhaltlichen Lücken zeigen sich auch bei der Wachstumsfrage. Während Hopkins vor der Illusion warnt, man könne den traditionellen Wachstumspfad in einem auf erneuerbaren Energien fußenden Wirtschaftssystem fortführen, anerkannte Janecek, dass die meisten Menschen ihren Wohlstand nicht aufgeben wollen und es daher erstrebenswert sei, die Strukturen so organisieren, dass es funktioniert.

Die Debatte zwischen Wachstumspfad (Fücks) und Postwachstumsökonomie (Paech) wird im Umfeld der Grünen seit einiger Zeit wieder stärker geführt. Rob Hopkins dagegen überträgt den Begriff der Energiewende auf viele andere gesellschaftliche Bereiche, um die kulturelle Dimension deutlich zu machen, mit der eine Abkehr vom Wachstumsdogma verbunden wäre: Geht es nach ihm brauchen wir auch eine "Foodwende, Economicwende, Educationalwende, Multiwende, Culturalwende". Jedoch nicht nur als politische Forderung, sondern als konkretes unternehmerisches Handeln vor Ort.

Globale Bewegung mit lokalem Handlungsfokus

Über 4000 Transition-Initiativen in über 50 Ländern gibt es inzwischen. In 18 davon entstanden inzwischen überregionale Strukturen, die vernetzend helfen und sich als Service-Stellen verstehen sollen. Auch für den deutschsprachigen Raum hob jüngst eine Initiativgruppe um Gerd Wessling einen Verein aus der Taufe, der unterstützend für die lokalen Akteure wirken soll.

In Gerds Heimatstadt Bielefeld, wo die Transition-Idee 2009 Fuß fasste und wo Rob Hopkins am Folgeabend zu Gast war, erreichen 50 bis 60 Aktive einen erweiterten Aktivenkreis von etwa 150 bis 200 Menschen und über eine Mailingliste knapp 1000 interessierte Bielefelder. Die lokale Verdichtung dieser Menschen macht es wahrscheinlich, dass daraus etwas entsteht, was Bielefeld beeinflussen wird. Auch wenn die Beziehungen zur Stadtverwaltung gut sind, sind sie anderswo noch intensiver.

So hat die Witzenhausener Transition-Initiative einen Raum im Rathaus bekommen und auch ein Wochenend-Workshop ("Transition Training") fand im Rathaus statt. Hopkins berichtet vom italienischen Monteveglio, wo Transitioners inzwischen den Bürgermeister stellen. In der Schweiz fordert die Transition-inspirierte Initiative "Neustart Schweiz" kürzlich eine "Bundesagentur für Nachbarschaftsentwicklung und Relokalisierung", sowie Mittel um Nachbarschaften nach dem Ansatz von "Neustart Schweiz" einzurichten (Proximity).

"Wenn es immer erst nötig ist, dass jemand eine neue Weltsicht annehmen muss, bevor irgendetwas passiert, kommen wir nirgendwohin", meint Rob Hopkins und zählt Gründe fürs Nichthandeln auf, die er nicht zum ersten Mal hört: "Wir haben kein Geld. Die Regierung wird uns nicht zuhören. Jeder liebt Shopping." Statt sich von globalen Problemen in eine Kaninchen-vor-der-Schlange-Starre versetzen zu lassen, betont er wieder und wieder die Wirkung lokalen Handelns: "Wenn jeder etwas tut aus der Motivation heraus, die Dinge um sich herum besser zu machen, Dinge, die Spaß machen - das inspiriert die Leute!"

Inspirierend genug ist der humorvolle Redner Rob Hopkins jedenfalls, um den Saal der Berliner Böll-Stiftung über das Maß der verfügbaren Stühle hinaus zu füllen. Wer ihm zuhört (Mitschnitt) könnte sich fragen, was eigentlich in der eigenen Stadt oder dem eigenen Dorf passiert.

Was in Berlin passiert, schaute sich der Mann aus Totnes tags drauf bei einer Fahrradtour an, die ihn vorbei führte an der Thinkfarm am Kottbusser Tor, dem 6000Quadratmeter großen Prinzessinengarten am Moritzplatz, dem Leihladen Leila in Prenzlauer Berg und bei den Kiezwandlern am Görlitzer Park.

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