Eine lebenswerte Welt am Ende des fossilen Zeitalters

Rob Hopkins im Gespräch. Bild: N. Rost

Einfach jetzt den nächsten Schritt der menschlichen Evolution machen, sagt Rob Hopkins und stellt gelungene Projekte vor

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Eigentlich ist es banal: Jeder könne in seiner eigenen Gemeinde damit beginnen, die Welt zu verändern. Diese wenig innovativ klingende Erkenntnis reicht dennoch aus, um der Berliner Böll-Stiftung letzte Woche ein volles Haus zu bescheren: Rob Hopkins stellte sein neues Buch "Einfach. Jetzt. Machen!" vor. Sein augenzwinkender Anspruch des Abends: Nichts weniger als den nächsten Schritt der menschlichen Evolution zu skizzieren.

Im Economist war eine Karikatur. In dieser kriecht aus einem amöben- und fischgefüllten Tümpel eine Echse, die sich in weiteren Evolutionsstufen zum Menschen und dann zu einem Verkäufertypen mit Krawatte und Auto entwickelt. Die Krönung der Schöpfung, soviel sollte angesichts Ressourcenverknappung, Weltfinanzkrisen und Klimawandel klar sein, ist der Homo Automobilius nicht. Und während Hollywood gut darin ist, fantastische Filme über Zombies und Aliens und Godzilla zu machen, schafft es die Traumfabrik selten, eine realistische lebenswerte Zukunft zu visualisieren, in der wir als Gesellschaft leben wollen.

Genau darum, so sagt Rob Hopkins, geht es bei "Transition". Sein Buch, das im Original "the power of just doing stuff" heißt, trägt Geschichten von gelungenen Projekten in verschiedenen Städten des Planeten. Diese Geschichten erzählen davon, wie Menschen beginnen, ihr direktes Umfeld umzubauen: ihre Nachbarschaft, ihren Stadtteil, ihre Gemeinde. Die Vielzahl der Projekte verbindet sich zusammen zu einem noch unscharfen Bild, welche Bausteine eine künftige Gesellschaft mitprägen könnten: Eine Gesellschaft nach dem Öl, eine sehr viel stärker "relokalisierte" Gesellschaft, die zurechtkommen muss auf einer Erde, deren atmosphärische Dynamiken sich durch einen menschengemachten Klimawandel verändern.

Für Rob Hopkins beginnt die Geschichte dieser Gesellschaft auf der lokalen Ebene. Dort, wo das Individuum den meisten Einfluss hat, möge es gemäß dem Buchtitel "Einfach. Jetzt. Machen!". Wohin das führt, sei oft unklar. Niemand wisse, wo die "Tipping Points" liegen, jene Kippunkte im Gesellschaftsgefüge, die Einzelprojekten gesellschaftliche Relevanz geben. Doch anstatt auf die große Politik zu warten, ließen sich lokal Dinge anschieben und das zeitnahe Resultat könnte die Erfahrung sein, dass Dinge sich bewegen lassen. Der Weg, auf den das führt, nennt Rob Hopkins "Transition". Eine Transformation. Für ihn ist Transition "kreativ und spontan" und ein "selbstorganisierendes Ding", aber vor allem auch "Team- und Gruppenarbeit".

Wem das zu abstrakt ist, möge das von Gerd Wessling übersetzte und im oekom-Verlag erschienene Buch lesen. 25 internationale und drei deutsche Beispiele für angestoßene und kopierbare Projekte sind in das Buch eingestreut, aus Toronto und Witzenhausen, aus Sydney und Seattle, aus Portoallegre, Göttingen und anderen kleineren und größeren Gemeinden der Welt.

Der rote Faden, der Energiegenossenschaften und Landwirtschaftsprojekte, Bäckerei, Getreidemühle und Regionalwährungen zusammenhält ist die Frage, wie sich eine lebenswerte Welt am Ende des fossilen Zeitalters bauen lässt. Die Ausbeutung der fossilen Rohstoffe hat uns eine verändernde Atmosphäre gebracht und die Industriegesellschaft in ungekannte Fallhöhen katapultiert. Vor Versorgungsproblemen mit fossilen Rohstoffen warnen Internationale Energieagentur (Peak Oil bleibt trotz Fracking ein Thema) genauso wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (Wird das Öl knapp? - und die wachsende Transition-Bewegung (Städte im Wandel). Nur dass sie es eben nicht beim Warnen belässt, sondern zielgerichtet auf widerstandsfähigere Gemeinden zuarbeitet.

Wie das passieren kann umreißen Rob Hopkins und Gerd Wessling auf 184 leicht lesbaren Seiten. Das Buch funktioniert als Einführung für all jene, die nicht glauben, dass "man sowieso nichts tun könne". Und für jene, denen die Idee von "community resilience" nach einem hilfreichen Plan klingt: die Idee, den eigenen Wohnort widerstandsfähiger gegen Unwägbarkeiten des 3. Jahrtausends zu machen.

Außenwahrnehmung

Fragt man Rob Hopkins nach seiner britischen Wahrnehmung der deutschen Energiewende, kommt er ins Stottern, bis es aus ihm rausplatzt: "Wow - it's fantastic!"

Von einem konzertierten, regierungsgetriebenen Umbau der Energieversorgung könne man in England nur träumen sagt er, und erzählt von seinem Staunen über die Windparks und Solaranlagen, die er bei seiner Reise nach Berlin sah. Immer wenn er nach England zurückkehre sei es, also ob er 50 Jahre in die Vergangenheit zurückreise. Es gäbe in seiner Muttersprache nicht einmal ein Wort wie "Energiewende", was dessen Bedeutung nahe kommt.

Eigenwahrnehmung

Gefragt nach seiner Rolle in Transition, sieht sich Hopkins als Botschafter (Ambassador). Er betont, dass er konsequent nach der dezentralen Ausrichtung von Transition auch seine Rolle dezentralisiert hat.

In seiner Heimatstadt Totnes hat er sich aus allen leitenden Funktionen herausgenommen und konzentriert sich auf die Mitarbeit in einer Handvoll seiner Lieblingsprojekte. Dazu gehört offenbar das Totnes Pound, die Lokalwährung, sowie "Atmos", ein Ort an dem angehende Lokalunternehmer miteinander Projekte schmieden können. 130 Unternehmer akzeptieren inzwischen Totnes Pound, das für Hopkins ein Werkzeug ist, um die Regionalwirtschaft zu stärken und um Kaufkraft, die bislang abfließt, an die Stadt zu binden.

Rob Hopkins mit Totnes-Scheinen. Bild: N. Rost

10% zusätzliche Wertschöpfung ließe sich in Totnes generieren, wenn die Strukturen in der Stadt konsequent regional ausgerichtet würden. Kalkuliert hatten das die Transitioners in einem "Local Economic Blueprint" genannten Papier, welches eine Art Regionalwirtschaft-Strategie darstellt. Symbolisch haben die Transformateure dieses Ziel im Totnes Pound kodiert: In der 21-Pfund-Note. Sie wird für 20 britische Pfund von der Regiogeldinitiative verkauft und der Käufer erhält schonmal die Hälfte der angestrebten 10%igen Wertschöpfungserhöhung vorab - 1 Totnes Pound als Bonus. Hopkins: "Manchmal sagen die Leute, das können wir doch nicht machen! Wie man sieht: Wir können."

Die Triebfeder für Hopkins persönlichen Einsatz kommt aus der Permakultur. Er wollte diese Designmethode für die Landwirtschaft multiplizieren und übertrug ihre Designprinzipien auf menschliche Gemeinschaften, Städte und Dörfer. Sein zweijähriger Lehrauftrag am College des irischen Kinsale war der erste Vollzeit-Lehrauftrag dieser Art.

Die Dynamik in Totnes dürfte jedoch auch stark von dem örtlichen Schumacher-College beeinflusst sein. Ernst Friedrich Schumacher schrieb 1973 das vielzitierte "small is beautiful", dessen deutscher Untertitel eines jener Designprinzipien gut beschreibt, nach denen viele Transitioners werkeln: Zurück zum menschlichen Maß. Die Idee, Wirtschaft kleinräumiger und menschennäher zu gestalten, wird im Schumacher-College gelehrt und dessen Einflüsse sind in Hopkins Weltsicht und seinem Handeln spürbar. Es ist nicht zu übertrieben, die Transition-Bewegten als Erben von E.F. Schumacher ("small is beautiful") und Leopold Kohr ("Das Ende der Großen") zu sehen.

Lokal Handeln oder politisch denken?

Lokal Handeln oder politisch denken? Grüne Politik und Transition-Bewegung im Standortwettbewerb

Die Transition-Bewegung wird von vielen Parteimitgliedern bei Bündnis90/Die Grünen als natürlicher Partner betrachtet. Die Podiumsdiskussion zeigte jedoch durchaus unterschiedliche Weltsichten zwischen Dorothee Landgrebe für die grünennahe Böll-Stiftung, Rob Hopkins als Transition-Botschafter, Gerd Wessling als deutschsprachiger Transition-Netzwerker und Dieter Janecek als wirtschaftspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion.

Wiederholt wollte die Moderatorin wissen, ob es denn reiche, lokal zu handeln. Müsse nicht die politische Ebene intensiver einbezogen werden? Und der Bundestagsabgeordnete wollte wissen, ob das nicht alles lieb und nett sei, ob es nicht trotzdem die Politik brauche oder ob noch mehr Brauereien ausreichend seien gegen Peak Oil und Klimawandel. Die Transition-Vertreter betonten, dass es enorm wichtig sei, "die kleinen Dinge anzugehen, um zu sehen, dass sich etwas bewegen lässt".

Podiumsdiskussion Rob Hopkins, Dorothee Landgrebe, Dieter Janecek und Gerd Wessling. Bild: N. Rost

Diese Aussage spricht der Parteipolitik die allumfassende Handlungsmacht ab. Offenbar sieht aus dem Transition-Blickwinkel die Politik nicht nach einem "kleinen Ding" aus, bei dem man sieht, "dass sich etwas bewegen lässt". Zugleich fällt es der parteinahen Sichtweise schwer, scheinbar unpolitischem Handeln ausreichende Bedeutung zuzumessen. Hopkins beantwortete den unausgesprochenen Wunsch nach einer stärkeren Politisierung des Transition-Ansatzes mit einem Verweis auf die Arbeitsweise in Totnes:

Transition verbindet sich nicht zu stark mit Parteipolitik, dennoch ist das, wofür Transition steht, extrem politisch. Gerade weil Transition nicht Partei ergreift, erlaubt dies die Zusammenarbeit mit Institutionen wie der Industrie- und Handwerkskammer.

Nach Hopkins ist das ganz alltägliche Handeln bereits ein gesellschaftswirksamer Akt, denn wir entscheiden jeden Tag wenn wir einkaufen gehen, in was unser Geld investiert oder devestiert wird. Das Handeln nach Transition-Prinzipien erschafft deshalb eine Nachfrage nach bestimmten ökonomischen Produkten aber auch nach politischen Rahmenbedingungen. Er lädt zur Selbstermächtigung ein, wenn er betont: "Es gibt eine Menge Sachen, die man gänzlich ohne politische Unterstützung tun kann."

Veranstaltung in der Böll-Stiftung. Bild: N. Rost

Die inhaltlichen Lücken zeigen sich auch bei der Wachstumsfrage. Während Hopkins vor der Illusion warnt, man könne den traditionellen Wachstumspfad in einem auf erneuerbaren Energien fußenden Wirtschaftssystem fortführen, anerkannte Janecek, dass die meisten Menschen ihren Wohlstand nicht aufgeben wollen und es daher erstrebenswert sei, die Strukturen so organisieren, dass es funktioniert.

Die Debatte zwischen Wachstumspfad (Fücks) und Postwachstumsökonomie (Paech) wird im Umfeld der Grünen seit einiger Zeit wieder stärker geführt. Rob Hopkins dagegen überträgt den Begriff der Energiewende auf viele andere gesellschaftliche Bereiche, um die kulturelle Dimension deutlich zu machen, mit der eine Abkehr vom Wachstumsdogma verbunden wäre: Geht es nach ihm brauchen wir auch eine "Foodwende, Economicwende, Educationalwende, Multiwende, Culturalwende". Jedoch nicht nur als politische Forderung, sondern als konkretes unternehmerisches Handeln vor Ort.

Globale Bewegung mit lokalem Handlungsfokus

Über 4000 Transition-Initiativen in über 50 Ländern gibt es inzwischen. In 18 davon entstanden inzwischen überregionale Strukturen, die vernetzend helfen und sich als Service-Stellen verstehen sollen. Auch für den deutschsprachigen Raum hob jüngst eine Initiativgruppe um Gerd Wessling einen Verein aus der Taufe, der unterstützend für die lokalen Akteure wirken soll.

In Gerds Heimatstadt Bielefeld, wo die Transition-Idee 2009 Fuß fasste und wo Rob Hopkins am Folgeabend zu Gast war, erreichen 50 bis 60 Aktive einen erweiterten Aktivenkreis von etwa 150 bis 200 Menschen und über eine Mailingliste knapp 1000 interessierte Bielefelder. Die lokale Verdichtung dieser Menschen macht es wahrscheinlich, dass daraus etwas entsteht, was Bielefeld beeinflussen wird. Auch wenn die Beziehungen zur Stadtverwaltung gut sind, sind sie anderswo noch intensiver.

So hat die Witzenhausener Transition-Initiative einen Raum im Rathaus bekommen und auch ein Wochenend-Workshop ("Transition Training") fand im Rathaus statt. Hopkins berichtet vom italienischen Monteveglio, wo Transitioners inzwischen den Bürgermeister stellen. In der Schweiz fordert die Transition-inspirierte Initiative "Neustart Schweiz" kürzlich eine "Bundesagentur für Nachbarschaftsentwicklung und Relokalisierung", sowie Mittel um Nachbarschaften nach dem Ansatz von "Neustart Schweiz" einzurichten (Proximity).

"Wenn es immer erst nötig ist, dass jemand eine neue Weltsicht annehmen muss, bevor irgendetwas passiert, kommen wir nirgendwohin", meint Rob Hopkins und zählt Gründe fürs Nichthandeln auf, die er nicht zum ersten Mal hört: "Wir haben kein Geld. Die Regierung wird uns nicht zuhören. Jeder liebt Shopping." Statt sich von globalen Problemen in eine Kaninchen-vor-der-Schlange-Starre versetzen zu lassen, betont er wieder und wieder die Wirkung lokalen Handelns: "Wenn jeder etwas tut aus der Motivation heraus, die Dinge um sich herum besser zu machen, Dinge, die Spaß machen - das inspiriert die Leute!"

Inspirierend genug ist der humorvolle Redner Rob Hopkins jedenfalls, um den Saal der Berliner Böll-Stiftung über das Maß der verfügbaren Stühle hinaus zu füllen. Wer ihm zuhört (Mitschnitt) könnte sich fragen, was eigentlich in der eigenen Stadt oder dem eigenen Dorf passiert.

Was in Berlin passiert, schaute sich der Mann aus Totnes tags drauf bei einer Fahrradtour an, die ihn vorbei führte an der Thinkfarm am Kottbusser Tor, dem 6000Quadratmeter großen Prinzessinengarten am Moritzplatz, dem Leihladen Leila in Prenzlauer Berg und bei den Kiezwandlern am Görlitzer Park.

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