Eine neue Sicherheitsarchitektur: "Vor die Lage kommen"

Seite 2: Das institutionelle Gefüge der deutschen Sicherheitsbehörden verschiebt sich

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Wie kann die Polizei abstrakte oder drohende Gefahren kämpfen, die später möglicherweise konkret werden, möglicherweise aber auch nicht? Das geht nur, wenn sie möglichst viel über die Verdächtigen herausfindet, und das wiederum geht nur mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Die Arbeit der Kriminalpolizei, besonders des Staatsschutzes, sieht der Praxis eines Inlandsgeheimdienstes immer ähnlicher. Die Datenhaltung soll außerdem vereinheitlicht und der Datenaustausch erleichtert werden.

Das organisatorische Gefüge der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden - die "Sicherheitsarchitektur - verschiebt sich. Ein Merkmal dieses Gefüges war das sogenannte Trennungsgebot. Nach ihrem Sieg über die Nazis wollten die Alliierten dafür sorgen, dass in Deutschland nie wieder ein Polizeistaat entsteht. Deshalb verfügten sie 1949, die Bundesrepublik dürfe zwar eine Behörde gegen umstürzlerische Bestrebungen einrichten, aber diese Stelle - der Verfassungsschutz - solle lediglich Informationen sammeln. Polizeiliche Eingriffsrechte wie Verhaftungen oder Hausdurchsuchungen wurden dem Inlandsgeheimdienst nicht zugebilligt. Außerdem legten die Siegermächte fest, dass Behörden des Bundes den Polizeistellen der Länder keine Weisungen geben dürfen.

Das Trennungsgebot ist eine Lehre aus der Geschichte: Um Staatsterror und Willkür zu verhindern, wurden Nachrichtendienst und Polizei getrennt. Das sollte verhindern, dass dem Staat eine übermächtige "politische Polizei" zur Verfügung steht. Außerdem wurden Staatsschutz und Inlandsgeheimdienst bewusst dezentralisiert, um eine zu starke Machtkonzentration zu verhindern. Praktisch flossen natürlich immer Informationen zwischen den Bundesländern und dem Bund hin und her (meistens allerdings eher her).

Am Trennungsgebot - beziehungsweise der angeblichen "föderalen Zersplitterung" - wird seit langem gesägt. Vor den Koalitionsverhandlungen 2009 kursierte ein Papier aus dem Bundesinnenministerium, in dem gefordert wurde, dem Verfassungsschutz polizeiliche Eingriffsrechte zu geben. Innenminister Wolfgang Schäuble hatte zuvor innerhalb seines Ministeriums die Abteilung P (Polizei) und die Abteilung V (Verfassungsschutz) in der neuen Abteilung ÖS (Öffentliche Sicherheit) vereinigt und die Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zusammengefasst.

Das Bundeskriminalamt spielt eine immer wichtigere Rolle, wird in der Sicherheitsarchitektur immer zentraler. Ähnliche Bestrebungen gibt es beim Verfassungsschutz. Ende 2017 forderte Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamtes, ein "länderübergreifendes Direktionsrecht … in besonderen Lagen". Außerdem schlug er vor, das Bundesamt könne das Internetmonitoring "zentral und phänomenbereichsübergreifend" übernehmen. Die Verfassungsschutzämter der Länder teilen sich bisher ihre Überwachungs- und Analysearbeit auf. Wie diese Arbeitsteilung aussieht, ist nicht bekannt.

Transparenz hier, Geheimhaltung dort

Wer kontrolliert die Kontrolleure? Die Antwort auf diese alte Frage lautet: in Deutschland jedenfalls niemand. Die Datenschutzbehörden sind schon personell nicht in der Lage, die Ermittlungspraxis der Polizei wirksam zu überwachen. Die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste ist zahnlos, selbst manche Abgeordneten in den Untersuchungsausschüssen klagen darüber, dass sie sich von den Nachrichtendiensten an der Nase herumführen lassen müssen, weil sie Informationen nicht oder nur sorgfältig ausgewählt erhalten. Das Innen- und Eigenleben der Apparate lässt sich von außen nicht nachvollziehen, zum Teil nicht einmal von den Innenpolitikern, denen sie formal untergeordnet sind.

So verschiebt sich das Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Bürger. Während das Verhalten der Bevölkerung zum Zweck der Gefahrenabwehr immer besser durchleuchtet werden darf, bleiben die Sicherheitsbehörden intransparent wie eh und je. Eigentlich erstaunlich, wie wenig wir erfahren! Die jährliche "Sonderstatistik" des BKA über Staatsschutzdelikte wird als Verschlusssache behandelt. Ebenso geheim ist der Haushalt des Verfassungsschutzes; lediglich die Gesamtsumme wird veröffentlicht. Die Zuschüsse für das Bundesamt haben sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Im Jahr 2013 betrug er 206 Millionen Euro, im Jahr 2017 lag er bei 391 Millionen Euro. Was um Himmels Willen macht das Amt mit den zusätzlichen Millionen?

Tendenzen, denen nicht allein mit "mehr Datenschutz" begegnet werden kann

Gegen das bayrische Polizeiaufgabengesetz demonstrierten einige Zehntausende Menschen. Auch in anderen Bundesländern wie Niedersachsen oder Sachsen gibt es Protest; die neuen Polizeigesetze sind trotz allem nicht wirklich populär. Aber die Kritik richtet sich typischerweise gegen einzelne Maßnahmen, die als übertrieben empfunden werden.

Dass die Polizeigesetze einfach so durchgehen würden, haben wahrscheinlich nicht einmal ihre Verfasser in den Innenministerien erwartet. Gegen die präventive Wende helfen keine "Nachbesserungen", sondern nur politische Forderungen, die die Sicherheitsbehörden einer öffentlichen Kontrolle unterwerfen. Die Debatte über die innere Sicherheit muss grundsätzlicher werden.