Eine selbstgemachte Fiktion von Geld als Geldersatz

Seite 2: Garantien für die Wertbeständigkeit eines Dings ohne Wert

Wie eingangs bemerkt, ist für S. Nakamoto die unbegrenzte Willkür der staatlichen Geldschöpfung ein maßgeblicher Grund für die mangelnde Brauchbarkeit ihres Produktes, und so einfach, wie er es sich mit der Ursachenforschung für die inflationäre Geldentwertung macht, so einfach gestaltet sich für ihn die Behebung dieses Mangels: Für ihn steht das Gegenteil fürs Gegenteil, die willkürliche Grenzsetzung bei der Schöpfung seiner Geldware für deren "Seltenheit" und damit für deren Solidität und dauerhafte Brauchbarkeit als Tausch- und Zahlungsmittel.

Mit der Gleichung, wonach "Seltenheit" einer als Geld verwendeten Sache die Beständigkeit ihres Werts gewährleistet, greift Satoshi einen Topos der bürgerlichen Inflationstheorie auf, die eine verfügbare Geldmenge der damit zu zirkulierenden, mit Preisen ausgestatteten Warenmenge gegenüberstellt und einen Überschuss der ersteren über die letztere als Grund für die Minderung des Geldwerts annimmt.

In solchen Theorien ist freilich unterstellt, dass auf beiden Seiten der Ungleichung dieselben Maßeinheiten auftreten; Geld fungiert da als - unzuverlässiger, variabler, aber - geltender Maßstab der Preise und quantifizierte Zugriffsmacht auf ein in Geld gemessenes Güterquantum. Dass die bürgerlichen Erklärungen der Inflation aus einem Missverhältnis von einem preisbestimmten Warenberg und der zirkulierenden Geldmenge allesamt verkehrt sind, wird hier nicht weiter verfolgt, weil es auf den Fehler gar nicht ankommt.4

S. Nakamoto lässt Reflexionen dieser Art weit hinter sich, wenn er die für Wertbeständigkeit zuständige Knappheit seines Geldkonstrukts völlig getrennt von der Warenwelt als Verhältnis des Bitcoins zu sich selbst, nämlich zwischen Menge und Entstehungsperioden von Daten-Clustern mit einem Enddatum für beides definiert: "Seltenheit" als Eigenschaft, die sich allein aus der Bezugnahme auf die Vorstellung einer unbegrenzten Menge von "Coins" ergibt.

Mit dieser Idee erspart er sich von vornherein die in üblichen Inflationstheorien so liebevoll wie verkehrt gewälzte Frage, warum die fürs tatsächlich gültige Zahlungsmittel zuständigen Zentralbanken sich mit ihrer Geldschöpfung immer nicht an die Preissumme der tatsächlich umzuschlagenden Warenmenge halten.

Über solche Fragen ist er den entscheidenden Schritt hinaus: Für ihn fällt der Wert seiner Kryptowährung zusammen mit seiner durch "Seltenheit" garantierten Beständigkeit. Mit diesem ins Extrem getriebenen Funktionalismus der Bestimmung des von ihm geschaffenen Geldwerts landet der freilich, ganz konsequent, theoretisch wie praktisch im Niemandsland der völligen Unbestimmtheit.

So absurd die Forderung nach Wertbeständigkeit bei der Ware einerseits ist, die er da aus dem Nichts schöpft, so einfach lässt sie sich andererseits in die Tat umsetzen: Nakamoto verordnet seinem Geld Knappheit und baut in die Software, die es generiert, Regularien ein, mit denen die Herausgabe neuen Kryptogelds limitiert wird. Die Portion, in der es in der oben erläuterten Weise auf die Welt kommt, wird ca. alle vier Jahre halbiert, sodass die Menge an Bitcoins zwar beständig zunimmt, aber in abnehmendem Maß.

Dadurch wird zunächst für einen stetigen moderaten Zufluss frischen Internetgeldes gesorgt, der dem erwünschten zunehmenden Bedarf nach Bitcoins Rechnung tragen soll. Aber wenn 21 Millionen erreicht sind, ist Schluss, weil Satoshi N. beschlossen hat, dass bei der Summe Schluss ist - Geldmengenpolitik endlich einmal ganz anders, garantiert solide und absolut vertrauenswürdig, weil ausschließlich daraufhin orientiert, dass die Peers sich der Exklusivität ihrer Beziehungen untereinander auch auf lange Sicht sicher sein können, weil sie als Bediener des Algorithmus, der die Zufuhr des Mittels beschränkt, mit dem sie hantieren, dessen Wertbeständigkeit selbst garantieren.

Zu diesem Programm gehört die laufende Anpassung des rechnerischen Aufwands zur "Schöpfung" einer neuen Portion Bitcoins an die jeweilige Rechnerleistung, die die User in ihrer privaten Gier mobilisieren, womit ein weiteres Mal Nakamotos eingangs angesprochenes Ideal deutlich wird, das seiner Kritik der offiziellen Fiatgelder und seinem ganz speziellen Verständnis vom nützlichen Dienst des Geldes zugrunde liegt. Er treibt den Funktionalismus brauchbaren Geldes so weit, dass er seinem virtuellen Bezahlsystem einen Automatismus implantiert, der bei seiner digitalen Geldware für so etwas wie einen idealen Gleichgewichtszustand zu sorgen verspricht.

Wenn neue Bitcoin-Beträge schneller als alle zehn Minuten erzeugt werden, wird die dabei zu lösende Rechenaufgabe erschwert, umgekehrt wird sie erleichtert, sollten neue Blöcke langsamer als alle zehn Minuten errechnet werden. Wo er die Willkür staatlicher wie privater Banken bei der Geldschöpfung als Grundübel des offiziellen Zahlungswesens ausfindig gemacht hat, will er bei dem "freien Geld", das er den freien Bürgern zu ihrem freien Gebrauch offeriert, im Wege einer jeder Willkür entzogenen, weil ins System der Geldschöpfung selbst einprogrammierten kontrollierten Beschränkung der Zufuhr neuer Geldware - die bei Erreichen der Obergrenze programmgemäß endgültig unterbleibt - so etwas wie die Wertbeständigkeit seines Geldersatzes garantiert haben.

Das ist zwar ein einziger Witz bei dem Ding, das seine kryptografischen Algorithmen da als Tauschmittel für internetaffine Vergnügungssüchtige emittieren, aber in der zirkulären Logik, in der Satoshi denkt, macht der vorgestellte Wertverlust eines Dings, das den Wert gar nicht hat, den es verlieren könnte, seinen Sinn: Wenn unkontrollierte Geldschöpfung für die Entwertung des Geldes verantwortlich ist, dann ist eine von den Beteiligten selbst organisierte kontrolliert-beschränkte Geldschöpfung umgekehrt die Garantie der Wertbeständigkeit ihrer Schöpfung - und weil es bis ins Jahr 2130 oder so zwar immer mehr, beim Mehr-Werden zugleich aber doch immer weniger mehr wird, können die Peers sich darauf verlassen, dass das Geld, das sie da durchs Netz schicken, auf immer und ewig beim Empfänger als dasselbe Geld ankommt, das sie verschickt haben.

Fassen wir Nakamotos großen Wurf bis hierher zusammen. Der hat seinen Ursprung in der radikalen Abstraktion von der Sache, die er und seine Followers beim Blick auf das Geld, das es gibt, an den Tag legen. Diese Leute werden - verglichen mit den Kosten, die die Freiheit der Konkurrenz der ganz großen Mehrheit ihrer Mitmacher beschert - an einem eher nachgeordneten Posten in der Bilanz ihrer Lebensführung kritisch.

Sie führen Beschwerde über Kosten, die ihnen in Gestalt von Inflation, Bankgebühren oder sonst einem Ungemach auch noch im Promillebereich erwachsen, und die Konsequenzen, die sie daraus ziehen, stehen dazu in einem schlechterdings absurden Missverhältnis: Ein eigenes Geld muss her! Sie wollen gar nicht wissen, was da als Geld funktioniert, warum und wozu überhaupt, und woher die Wirkungen und Nebenwirkungen des Geldwesens resultieren, an denen sie sich stören - dafür haben sie so ihre Ideen, wie Geld für sie besser funktionieren könnte.

Dass das Geld in der eingerichteten Geldwirtschaft funktioniert, wollen sie überhaupt nicht in Abrede stellen und brauchen das auch gar nicht, weil die Perfektionierung seines Funktionierens, die ihnen vorschwebt, mit der wirklichen Welt nichts zu tun hat: Sie entspringt allein der Welt ihrer Vorstellung, in der Verfügungsberechtigte über Eigentum endlich so zum Zuge kommen, wie es ihrer privaten Verfügungsmacht gemäß ist, und dies ist eben in ihrer Sicht der Dinge bei einem Geld-Ding der Fall, über dessen Umgang und Verkehr ausschließlich sie verfügen, weswegen sie sich umgekehrt auch ganz sicher sind, dass es auch Geld ist, worüber sie in ihren virtuellen Transaktionen verfügen.

In die Konstruktion dieses Zahlsystems investieren Satoshi und sein Anhang ihr intellektuelles Vermögen, in die Erfindung eines Dings, das so funktioniert, wie sie es für die Belange marktwirtschaftlicher Praktiker für praktisch erachten. Als spinnöse Phantasten kommen sie sich allein schon deswegen nicht vor, weil es die Welt, in der ihre phantastische Idee real Gestalt annimmt, wirklich gibt:

Es ist die virtuelle des Internets. In der existiert, wenn einmal programmiert und losgelassen, ihre Fiktion von einem Geld, über das die Privaten als autonome Herren über ihren Geldverkehr regieren, wirklich - freilich unter der Voraussetzung, dass nach seinem selbstreferenziellen Schöpfungsakt durch Herrn Satoshi N. immer mehr Spaßvögel Gefallen daran finden, den Gelderwerb, um den es im wirklichen Leben geht, auf einer eigens dafür eingerichteten Spielwiese im Cyberspace als Konkurrenz um die Rechnerkapazität auszutragen, mit der sich absolut sinnfreie mathematische Fragestellungen erfolgreich lösen lassen.

So etwas kommt heraus, wenn selbstbewusste Bürger sich als eigentliche Autoren der Regulative begreifen, denen sie als Statisten der eingerichteten kapitalistischen Geldwirtschaft gehorchen, und sich - weil es die moderne Technologie erlaubt - als Verfügungsberechtigte über Eigentum auch als die Herren ihrer Verhältnisse so aufführen wollen, als wären sie das wirklich und nicht bloß die Charaktermasken der Normative, mit denen eine Staatsgewalt sie zu Eigentümern erklärt. Technisch jedenfalls können sie dies.

Bitcoin ist die Materialisierung ihrer Idee, unbedingt auch noch den Transfer von Eigentum, Kaufen, Verkaufen und ihren restlichen Vertragsverkehr ausschließlich der eigenen Verfügung zu unterstellen, und in einer Community von Gleichgesinnten holen sie sich dann die Bestätigung dafür ab, dass so etwas auch praktisch funktioniert.

So sehr haben diese Bürger alle verrückten Sachgesetze ihrer Geldwirtschaft als selbstverständliche Prämissen des Freiheitsraumes internalisiert, in dem sie sich in ihrer Konkurrenz gegeneinander entfalten, dass sie ausgerechnet in ihrem selbstgemachten "freien Geld" (S. Nakamoto) die Krönung aller ihrer Privatheit feiern und es als gelungene Emanzipation von der Macht von Staat und Banken begreifen, wenn sie im Internet so etwas wie ein kleines kapitalistisches Paralleluniversum in Gang bringen, in dem sie ohne jede Gängelei und Einmischung höherer Mächte den Sitten der wirklichen Konkurrenz nachgehen können:

Geld endlich ohne Bankgebühren überweisen zu können - keinen höheren Triumph seiner Freiheit kennt so ein perfektes Subjekt der kapitalistischen Konkurrenz, als dass es selbst als Herr eines eigenen Geldes in allen Verhältnissen unterwegs ist, die eine Staatsmacht mit ihrem Recht als verbindliche Lebensgrundlage ihrer freien Bürger vorgibt5:

Wir können nicht erwarten, dass uns die Regierungen, Unternehmen und andere große, gesichtslose Organisationen freiwillig Privatheit gewähren... Wir müssen unsere Privatheit verteidigen, wenn wir erwarten, eine zu haben. Wir müssen zusammenkommen und Systeme schaffen, die anonyme Transaktionen ermöglichen... Wir verteidigen unsere Privatheit durch Kryptographie, durch anonyme Mail-Systeme, durch digitale Signaturen und durch elektronisches Geld.

Ideen dieser Art prozessieren in Nakamotos Datenkanälen praktisch geworden vor sich hin, und das ist für sich genommen schon bedenklich genug - aber doch harmlos im Vergleich zu dem Irrwitz der real existierenden kapitalistischen Geldwirtschaft, der sich offenbart, wenn die zu ihrem virtuellen Geld-Klon Kontakt aufnimmt. Für diese Kontaktaufnahme freilich sorgen zuallererst die Besitzer von Satoshis Geld mit ihrer Frage danach, was sie da eigentlich besitzen und worin das Eigentum seine Substanz hat, das sie mit ihm beim Vollzug ihrer "Transaktionen" der Form nach fröhlich übertragen.

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.