Eine selbstgemachte Fiktion von Geld als Geldersatz

Der Bitcoin und seine Karriere (Teil 2)

"Coins" und ihre Verkettung: Ein "Austauschmittel" als optimales Mittel seines eigenen Austauschs

Wir sind im Internet, folgende Definition des Geldersatzes steht vor seinem Gebrauch1:

Wir definieren eine elektronische Münze [Coin] als eine Kette digitaler Signaturen. Jeder Eigentümer überträgt den Coin auf den nächsten, indem er einen Hash [i.e. eine Art mathematischer Fingerabdruck, Anm. d. Verf.] der vorherigen Transaktion und den öffentlichen Schlüssel des nächsten Besitzers digital signiert und dies an das Ende des Coins anfügt. Der Empfänger der Zahlung kann die Signaturen überprüfen, um die Kette der Eigentümer zu verifizieren.

Das Definieren von Münzen und Geld welcher Art auch immer ist so eine Sache. Wenn der Staat wertlose Papierzettel zum Zahlungsmittel der Gesellschaft erklärt, ist das schon auch ein Akt definitorischer Willkür. Aber diese hoheitliche Verfügung betrifft die Form, die materielle Gestalt der im Geld zum Ding vergegenständlichten privaten Verfügungsmacht über von anderen produzierte Güter oder erbrachte Dienstleistungen, nicht die Sache selbst, den politökonomischen Inhalt dieses Dings.

Der geht auf das private Eigentum zurück, auf das Verhältnis ausschließenden privaten Verfügens über die Lebensmittel der Gesellschaft, das im Geld sein Maß und zugleich das Mittel des Zugriffs auf allen stofflichen Reichtum wie des Kommandos über die Arbeit besitzt:

Geld ist der Inbegriff des Reichtums einer Produktionsweise, die Werk staatlicher Gewalt ist, und dieselbe Staatsmacht, die per Recht ihre Bürger zu Eigentümern, freien und gleichen Rechtspersonen ernennt und aufs Verdienen von Geld festlegt, versorgt sie auch mit dem Stoff, der zwischen ihnen die Vermittlung von Ausschluss und quantitativ begrenztem Zugriff stiftet, und wenn sie mit ihrem Machtwort verfügt, dass wertlose Papierzettel Repräsentanten dieser Funktion sind, so hat dieser hoheitliche Willkürakt eben darin seinen materiellen Inhalt.

Die Geld-Definition, mit der die Bitcoin-Konstrukteure anfangen, ist demgegenüber gänzlich anderer Natur. Die Münzprägeanstalt aus der analogen Welt tut in der digitalen als Verkettung von Daten ihr Werk, ihr Output ist eine Kette und erhält den Namen "Münze", damit man weiß, wozu die Kette gut sein soll: Zahlen soll man können mit dem Ding, so, wie mit anderen Dingen, die als Zahlungsmittel fungieren.

Sein Name - Münze, Geld - setzt es zwar in Analogie zu dem Stoff, der im wirklichen kapitalistischen Leben den Zugriff auf Waren und das Kommando über Arbeit vermittelt, weil er deren Wertmaß ist - aber über alles, woran sein Name erinnert, ist hier absolute Fehlanzeige zu vermelden:

Das hier definierte Geld ist das interessante Phänomen eines Geldes, das, wie man seiner informationstechnologischen Definition entnimmt, Eigentum sein soll, das in seiner geldförmig-dinglichen Gestalt übertragen wird - aber man sieht sich damit konfrontiert, dass absolut nichts in Sicht ist, was da als Eigentum überhaupt übertragen werden sollte oder auch nur könnte, außer eben dem Ding, das nichts repräsentiert außer sich selbst.

Satoshi Nakamoto erfindet ein in jeder Hinsicht selbstreferenzielles, von seinen Betreibern freilich garantiert autonom zu handhabendes Verfahren, mit dem sich "Transaktionen" abwickeln lassen, deren Inhalt die Übertragung von "Eigentum" ist, welches in der Verfügung über das Medium seiner Übertragung besteht. Damit ist dieses Kunstwerk allerdings längst nicht fertig.

Statt Vertrauen in eine "dritte Partei" generelles Misstrauen wegen "Mehrfachverwendung" der digitalen Geldware: Blockchain

Der nähere Ort, an dem Münzen dieser höheren, virtuellen Art auf die Welt kommen, ist eine Datenbank, zu deren Erstellung Satoshi N. ein frei kopierbares Computerprogramm veröffentlicht. Dieses verbindet sich über das Internet mit anderen Kopien seiner selbst, und zusammen bilden die teilnehmenden Computer ein sogenanntes "peer-to-peer"-Netzwerk, eine von-Gleich-zu-Gleich-Connection, die gemeinsam eine dezentrale Datenbank erzeugt, so etwas wie einen virtuellen Geldbeutel der virtuellen Münzen; und die gleiche Datenbank existiert parallel bei allen Teilnehmern, die der Einladung zum Computerspiel folgen.2

Die einzelnen Münzen existieren als Einträge in diesem digitalen Kassenbuch, in dem ihr Besitz und ihr Transfer fälschungssicher und anonym dokumentiert werden - alles ohne die Beteiligung "dritter Parteien", vielmehr als Leistung der vernetzten Nutzer selbst, die in ihrem Treiben ganz unter sich bleiben und sich wechselseitig daraufhin beaufsichtigen, dass keiner bescheißt und Coins mehrfach ausgibt.

Ansonsten schieben sie Cluster von Daten untereinander herum: Das digitale Geld ist nichts als diese Verkettung protokollierter Übertragungen seiner selbst, die auch nichts anderes, dies freilich äußerst penibel regeln, als dass auch im Internet und ganz ohne Geld und Zahlung eines gewährleistet ist: die eineindeutige Zuordnung von Person und ihrem virtuellen Eigentum an Coins.

Dieser Formalismus aus der Welt des bürgerlichen Gesetzbuches ist alles, was von der übrig bleibt bei ihrem Export in S. Nakamotos Welt der Daten. Er wird sichergestellt über ein spezielles Verschlüsselungsverfahren bei den privaten Einnahmen und Ausgaben im öffentlichen Kassenbuch sowie darüber, dass die Eintragungen in diesem nicht zu verändern sind.

Die einzelnen Münzen werden als eine Art digitale Unterschriftenliste konstruiert, sodass sie in gar nichts anderem als in der Geschichte ihres Gebrauchs bestehen; die Teilnehmer an dem Zirkus bestätigen die Transaktionen in ihrer Community autonom, indem sie sich laufend an der Fortschreibung der sog. "Blockchain" beteiligen:

Ein einzelner Daten-Block verbuchter Zahlungen enthält eine kryptographische Prüfsumme des zuletzt angefügten Blocks, die im nachfolgenden einzutragen ist, worüber alle Blöcke fortlaufend als Kette miteinander kryptographisch verknüpft werden und so jede Verfälschung von Transaktionen, jedes willkürliche Kopieren und Vervielfältigen des digitalen Geldes im Prinzip ausgeschlossen sein soll.

Die wichtigsten Kryptowährungen (12 Bilder)

Bitcoin. Start: 2009. Marktanteil: 57,9 Prozent. Marktkapitalisierung: 197,855 Mrd. USD. Mining: SHA-256. Stand: Oktober 2020. Quelle: Wikipedia

Was hier als Geld-Ersatz, als "Austauschmittel und Methode für die Durchsetzung von Verträgen" erfunden wird, ist ein kapitalistisches Disneyland im Cyberspace, ein kleiner Vergnügungspark, in dem eingefleischte Charaktermasken der Marktwirtschaft frei von allen Behelligungen seitens irgendwelcher dritten Mächte die Antagonismen ihrer wirtschaftlichen Kooperation weiter austragen können, die sie aus ihrem wirklichen Leben in Gestalt von Kauf, Verkauf oder sonstigen Vertragsgeschäften kennen.

Dezentral pflegen sie als Peers eines internen Netzwerks Verkettungen digitaler Signaturen, die der Form nach als allgemeine Verkörperung von Eigentum, von Reichtum als ausschließender Verfügungsmacht über wie Zugriffsmacht auf ihn fungieren, und diesen Reichtum, der der Sache nach in ihrer Verfügung über sein eigenes digitales Transportmittel besteht, können sie in ihren "Transaktionen" im Netz dann unter sich hin- und herschieben, sehr sicher und ziemlich billig.

"A hat von B und C die vorliegenden Einzahlungen an ihn erhalten. Er legt deren Beträge zusammen und zahlt davon 100 BTC an XY und erhält den Rest von 50 BTC zurück. Signatur: A" - dann und nur dann, wenn das so ähnlich in der Blockchain steht, kann XY über 100 und A über 50 BTC verfügen, was ceteris paribus Herrn A wie Frau XY die Fortsetzung der Kette ähnlicher Transaktionen gestattet. Aber sonst eben auch nichts.

Versprochen war freilich etwas anderes. Versprochen war, Geld - man erinnere sich: "unser Geld"! - vor fremdem Zugriff und sonstigem Missbrauch "sicher" zu machen - und das einzige, was hier "optimiert" und "sicher" wird, ist der Zugriff auf Daten, die einem gehören. Das groß angekündigte "elektronische Zahlsystem" fällt damit zusammen, seinen eigenen Datenbesitz hin- und herwandern, dies im Kassenbuch dokumentieren zu lassen und sich ausweislich dieser Dokumentation einzubilden, es wäre Geld, was im eigenen Wallet addiert wird.

Natürlich kann man, wenn man lustig ist, behaupten, diese Wanderungen von Daten wären "Online-Zahlungen" wie die, die sich jetzt schon im Verkehr zwischen Bürgern und Banken abspielen, aber auch das ist wie alles andere ein einziger Etikettenschwindel.

Die explizite Abstraktion vom Geld der Gesellschaft beraubt Käufer wie Verkäufer und alle sonstigen Charaktere des marktwirtschaftlichen Geschäftsverkehrs des Dreh- und Angelpunkts ihres gesamten gesellschaftlichen Treibens, weshalb die Nachschöpfung des Geldes durch eine digitale Notenbank im Internet nur eine einzige Farce des Hin und Her mit dem allgemeinen Äquivalent Geld ist, das man aus der Welt des Kaufens und Verkaufens kennt.

Nur wenn man die komplette Abstraktion von allen politisch verfügten ökonomischen Sachzwängen, die einen zum Subjekt der kapitalistischen Konkurrenz machen, und im selben Zug die perfekte Internalisierung von allen Sitten und Gebräuchen, die in dieser üblich sind, erfolgreich hinter sich gebracht hat, ist man reif für die Rolle des Peers oder Users in Nakamotos Universum und nimmt sein Angebot zur endlich freien Selbstentfaltung wahr: Es besteht im Transfer eines Eigentums ohne jeden materiellen Gehalt, das sich gegen nichts tauschen, dafür aber in einer virtuellen Geldbörse sicher verwahren und von dort jederzeit nach Lust und Laune an andere Adressen übertragen lässt.

Mining: Der Ersatz der Staatsbank durch eine Tauschgesellschaft, die ihr "Tauschmittel" und sonst nichts produziert

Damit die Teilnehmer ihre Rechenkraft für diesen Spaß hergeben, wird die Fortschreibung der Blockchain als ein Wettbewerb um Bitcoins organisiert3:

Durch Konvention ist die erste Transaktion in einem Block eine spezielle Transaktion, die einen neuen Coin schöpft, der dem Erzeuger des Blocks gehört... Das ständige Hinzufügen einer konstanten Anzahl neuer Coins ist analog zu Goldgräbern, die Ressourcen aufwenden, um mehr Gold in Umlauf zu bringen. In unserem Fall sind es CPU-Zeit [Rechenzeit des Computers, Anm. d. Verf.] und Elektrizität, die aufgewendet werden.

Wer als erster den Block zu verbuchender Zahlungen erstellt und die Blockchain fortschreibt, indem er eine kryptographische Rechenaufgabe am schnellsten löst, erhält aus dem Nichts die dafür ausgelobte Menge an Bitcoins; indem man sich verdient macht ums Zirkulieren des Geldersatzes, verdient man ihn sich.

Die einzelnen Rechenoperationen zu schildern, die bei diesem Prozess vonnöten sind, ersparen wir unseren Lesern, in der Hauptsache umfassen sie den gigantischen Aufwand an nötigen informationstechnologischen Vorkehrungen zur Sicherheit dieser elektronischen Währung, mit dem Satoshi N. allfällige Betrügereien auszuschalten versucht.

Er hat also für alles, was der Staat mit fälschungssicheren Banknoten und seinem Strafrecht in Angriff nimmt, um zu verhindern, dass die lieben Bürger sich die benötigten Zahlungsmittel selbst verschaffen, ein elektronisches Ersatzprogramm in sein "Zahlsystem" eingebaut, und das ist nur logisch:

Seine Gemeinde ist seltsamerweise in erster Linie gar nicht am Tauschen und seinem erfolgreichen Funktionieren, vielmehr am eigenen Zugriff auf das Mittel interessiert, das den Zugriff auf Eigentum anderer auch in ihrer verrückten Welt ermöglicht - die User haben bei ihrem Umgang mit dem digitalen Geld ersichtlich die guten kapitalistischen Sitten drauf, die beim echten analogen gelten.

Blöd für sie ist nur, dass sich ihre Sittlichkeit in der Welt, in der sie unterwegs sind, für sie - wertmäßig betrachtet - nicht so recht auszahlt: Entgegen der im Zitat oben behaupteten Analogie betreiben Goldgräber ihren Aufwand, weil dieses spezielle Metall kraft hoheitlicher Verfügung de facto die private Zugriffsmacht auf den stofflichen Reichtum verkörpert. Bitcoiner indes bezahlen mit echtem Geld Rechnungen für Computer und Strom, um in den Besitz von dessen digitalem Surrogat zu gelangen, das außerhalb ihrer Welt nicht einmal als Spielgeld taugt; aber auch damit kommen sie auf ihre Weise gut zurecht, wie im nächsten Kapitel zu sehen sein wird.

Was an dem Zitat noch bemerkenswert ist, ist die interessante Fortsetzung des im ersten Abschnitt dieses Kapitels angesprochenen Fehlers, Geld als System optimaler Zahlung zu definieren. Wie Naturforscher schon im 19. Jahrhundert herausgefunden haben, ist es ein schwerer Denkfehler zu glauben, die Natur würde die Gesellschaft mit deren Zahlungsmitteln versorgen.

Gold und Silber ist nicht Geld an und für sich. Die Natur produziert kein Geld, sowenig wie sie einen Wechselkurs oder Bankiers produziert... Geld zu sein ist keine natürliche Eigenschaft des Gold und Silbers und ist daher dem Physiker, Chemiker etc. als solchem durchaus unbekannt. Aber Geld ist unmittelbar Gold und Silber.

Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 165

Dementsprechend will der angesprochene Goldgräber keinesfalls "mehr Gold in Umlauf bringen" - der will die Ware Gold, weil die in seiner Gesellschaft womöglich als Geld umläuft, dieses jedenfalls dinglich repräsentiert, und beides sicher nicht deshalb, weil der Schöpfer der Umlaufmittel sie in Bergwerken vergraben hat.

Garantien für die Wertbeständigkeit eines Dings ohne Wert

Wie eingangs bemerkt, ist für S. Nakamoto die unbegrenzte Willkür der staatlichen Geldschöpfung ein maßgeblicher Grund für die mangelnde Brauchbarkeit ihres Produktes, und so einfach, wie er es sich mit der Ursachenforschung für die inflationäre Geldentwertung macht, so einfach gestaltet sich für ihn die Behebung dieses Mangels: Für ihn steht das Gegenteil fürs Gegenteil, die willkürliche Grenzsetzung bei der Schöpfung seiner Geldware für deren "Seltenheit" und damit für deren Solidität und dauerhafte Brauchbarkeit als Tausch- und Zahlungsmittel.

Mit der Gleichung, wonach "Seltenheit" einer als Geld verwendeten Sache die Beständigkeit ihres Werts gewährleistet, greift Satoshi einen Topos der bürgerlichen Inflationstheorie auf, die eine verfügbare Geldmenge der damit zu zirkulierenden, mit Preisen ausgestatteten Warenmenge gegenüberstellt und einen Überschuss der ersteren über die letztere als Grund für die Minderung des Geldwerts annimmt.

In solchen Theorien ist freilich unterstellt, dass auf beiden Seiten der Ungleichung dieselben Maßeinheiten auftreten; Geld fungiert da als - unzuverlässiger, variabler, aber - geltender Maßstab der Preise und quantifizierte Zugriffsmacht auf ein in Geld gemessenes Güterquantum. Dass die bürgerlichen Erklärungen der Inflation aus einem Missverhältnis von einem preisbestimmten Warenberg und der zirkulierenden Geldmenge allesamt verkehrt sind, wird hier nicht weiter verfolgt, weil es auf den Fehler gar nicht ankommt.4

S. Nakamoto lässt Reflexionen dieser Art weit hinter sich, wenn er die für Wertbeständigkeit zuständige Knappheit seines Geldkonstrukts völlig getrennt von der Warenwelt als Verhältnis des Bitcoins zu sich selbst, nämlich zwischen Menge und Entstehungsperioden von Daten-Clustern mit einem Enddatum für beides definiert: "Seltenheit" als Eigenschaft, die sich allein aus der Bezugnahme auf die Vorstellung einer unbegrenzten Menge von "Coins" ergibt.

Mit dieser Idee erspart er sich von vornherein die in üblichen Inflationstheorien so liebevoll wie verkehrt gewälzte Frage, warum die fürs tatsächlich gültige Zahlungsmittel zuständigen Zentralbanken sich mit ihrer Geldschöpfung immer nicht an die Preissumme der tatsächlich umzuschlagenden Warenmenge halten.

Über solche Fragen ist er den entscheidenden Schritt hinaus: Für ihn fällt der Wert seiner Kryptowährung zusammen mit seiner durch "Seltenheit" garantierten Beständigkeit. Mit diesem ins Extrem getriebenen Funktionalismus der Bestimmung des von ihm geschaffenen Geldwerts landet der freilich, ganz konsequent, theoretisch wie praktisch im Niemandsland der völligen Unbestimmtheit.

So absurd die Forderung nach Wertbeständigkeit bei der Ware einerseits ist, die er da aus dem Nichts schöpft, so einfach lässt sie sich andererseits in die Tat umsetzen: Nakamoto verordnet seinem Geld Knappheit und baut in die Software, die es generiert, Regularien ein, mit denen die Herausgabe neuen Kryptogelds limitiert wird. Die Portion, in der es in der oben erläuterten Weise auf die Welt kommt, wird ca. alle vier Jahre halbiert, sodass die Menge an Bitcoins zwar beständig zunimmt, aber in abnehmendem Maß.

Dadurch wird zunächst für einen stetigen moderaten Zufluss frischen Internetgeldes gesorgt, der dem erwünschten zunehmenden Bedarf nach Bitcoins Rechnung tragen soll. Aber wenn 21 Millionen erreicht sind, ist Schluss, weil Satoshi N. beschlossen hat, dass bei der Summe Schluss ist - Geldmengenpolitik endlich einmal ganz anders, garantiert solide und absolut vertrauenswürdig, weil ausschließlich daraufhin orientiert, dass die Peers sich der Exklusivität ihrer Beziehungen untereinander auch auf lange Sicht sicher sein können, weil sie als Bediener des Algorithmus, der die Zufuhr des Mittels beschränkt, mit dem sie hantieren, dessen Wertbeständigkeit selbst garantieren.

Zu diesem Programm gehört die laufende Anpassung des rechnerischen Aufwands zur "Schöpfung" einer neuen Portion Bitcoins an die jeweilige Rechnerleistung, die die User in ihrer privaten Gier mobilisieren, womit ein weiteres Mal Nakamotos eingangs angesprochenes Ideal deutlich wird, das seiner Kritik der offiziellen Fiatgelder und seinem ganz speziellen Verständnis vom nützlichen Dienst des Geldes zugrunde liegt. Er treibt den Funktionalismus brauchbaren Geldes so weit, dass er seinem virtuellen Bezahlsystem einen Automatismus implantiert, der bei seiner digitalen Geldware für so etwas wie einen idealen Gleichgewichtszustand zu sorgen verspricht.

Wenn neue Bitcoin-Beträge schneller als alle zehn Minuten erzeugt werden, wird die dabei zu lösende Rechenaufgabe erschwert, umgekehrt wird sie erleichtert, sollten neue Blöcke langsamer als alle zehn Minuten errechnet werden. Wo er die Willkür staatlicher wie privater Banken bei der Geldschöpfung als Grundübel des offiziellen Zahlungswesens ausfindig gemacht hat, will er bei dem "freien Geld", das er den freien Bürgern zu ihrem freien Gebrauch offeriert, im Wege einer jeder Willkür entzogenen, weil ins System der Geldschöpfung selbst einprogrammierten kontrollierten Beschränkung der Zufuhr neuer Geldware - die bei Erreichen der Obergrenze programmgemäß endgültig unterbleibt - so etwas wie die Wertbeständigkeit seines Geldersatzes garantiert haben.

Das ist zwar ein einziger Witz bei dem Ding, das seine kryptografischen Algorithmen da als Tauschmittel für internetaffine Vergnügungssüchtige emittieren, aber in der zirkulären Logik, in der Satoshi denkt, macht der vorgestellte Wertverlust eines Dings, das den Wert gar nicht hat, den es verlieren könnte, seinen Sinn: Wenn unkontrollierte Geldschöpfung für die Entwertung des Geldes verantwortlich ist, dann ist eine von den Beteiligten selbst organisierte kontrolliert-beschränkte Geldschöpfung umgekehrt die Garantie der Wertbeständigkeit ihrer Schöpfung - und weil es bis ins Jahr 2130 oder so zwar immer mehr, beim Mehr-Werden zugleich aber doch immer weniger mehr wird, können die Peers sich darauf verlassen, dass das Geld, das sie da durchs Netz schicken, auf immer und ewig beim Empfänger als dasselbe Geld ankommt, das sie verschickt haben.

Fassen wir Nakamotos großen Wurf bis hierher zusammen. Der hat seinen Ursprung in der radikalen Abstraktion von der Sache, die er und seine Followers beim Blick auf das Geld, das es gibt, an den Tag legen. Diese Leute werden - verglichen mit den Kosten, die die Freiheit der Konkurrenz der ganz großen Mehrheit ihrer Mitmacher beschert - an einem eher nachgeordneten Posten in der Bilanz ihrer Lebensführung kritisch.

Sie führen Beschwerde über Kosten, die ihnen in Gestalt von Inflation, Bankgebühren oder sonst einem Ungemach auch noch im Promillebereich erwachsen, und die Konsequenzen, die sie daraus ziehen, stehen dazu in einem schlechterdings absurden Missverhältnis: Ein eigenes Geld muss her! Sie wollen gar nicht wissen, was da als Geld funktioniert, warum und wozu überhaupt, und woher die Wirkungen und Nebenwirkungen des Geldwesens resultieren, an denen sie sich stören - dafür haben sie so ihre Ideen, wie Geld für sie besser funktionieren könnte.

Dass das Geld in der eingerichteten Geldwirtschaft funktioniert, wollen sie überhaupt nicht in Abrede stellen und brauchen das auch gar nicht, weil die Perfektionierung seines Funktionierens, die ihnen vorschwebt, mit der wirklichen Welt nichts zu tun hat: Sie entspringt allein der Welt ihrer Vorstellung, in der Verfügungsberechtigte über Eigentum endlich so zum Zuge kommen, wie es ihrer privaten Verfügungsmacht gemäß ist, und dies ist eben in ihrer Sicht der Dinge bei einem Geld-Ding der Fall, über dessen Umgang und Verkehr ausschließlich sie verfügen, weswegen sie sich umgekehrt auch ganz sicher sind, dass es auch Geld ist, worüber sie in ihren virtuellen Transaktionen verfügen.

In die Konstruktion dieses Zahlsystems investieren Satoshi und sein Anhang ihr intellektuelles Vermögen, in die Erfindung eines Dings, das so funktioniert, wie sie es für die Belange marktwirtschaftlicher Praktiker für praktisch erachten. Als spinnöse Phantasten kommen sie sich allein schon deswegen nicht vor, weil es die Welt, in der ihre phantastische Idee real Gestalt annimmt, wirklich gibt:

Es ist die virtuelle des Internets. In der existiert, wenn einmal programmiert und losgelassen, ihre Fiktion von einem Geld, über das die Privaten als autonome Herren über ihren Geldverkehr regieren, wirklich - freilich unter der Voraussetzung, dass nach seinem selbstreferenziellen Schöpfungsakt durch Herrn Satoshi N. immer mehr Spaßvögel Gefallen daran finden, den Gelderwerb, um den es im wirklichen Leben geht, auf einer eigens dafür eingerichteten Spielwiese im Cyberspace als Konkurrenz um die Rechnerkapazität auszutragen, mit der sich absolut sinnfreie mathematische Fragestellungen erfolgreich lösen lassen.

So etwas kommt heraus, wenn selbstbewusste Bürger sich als eigentliche Autoren der Regulative begreifen, denen sie als Statisten der eingerichteten kapitalistischen Geldwirtschaft gehorchen, und sich - weil es die moderne Technologie erlaubt - als Verfügungsberechtigte über Eigentum auch als die Herren ihrer Verhältnisse so aufführen wollen, als wären sie das wirklich und nicht bloß die Charaktermasken der Normative, mit denen eine Staatsgewalt sie zu Eigentümern erklärt. Technisch jedenfalls können sie dies.

Bitcoin ist die Materialisierung ihrer Idee, unbedingt auch noch den Transfer von Eigentum, Kaufen, Verkaufen und ihren restlichen Vertragsverkehr ausschließlich der eigenen Verfügung zu unterstellen, und in einer Community von Gleichgesinnten holen sie sich dann die Bestätigung dafür ab, dass so etwas auch praktisch funktioniert.

So sehr haben diese Bürger alle verrückten Sachgesetze ihrer Geldwirtschaft als selbstverständliche Prämissen des Freiheitsraumes internalisiert, in dem sie sich in ihrer Konkurrenz gegeneinander entfalten, dass sie ausgerechnet in ihrem selbstgemachten "freien Geld" (S. Nakamoto) die Krönung aller ihrer Privatheit feiern und es als gelungene Emanzipation von der Macht von Staat und Banken begreifen, wenn sie im Internet so etwas wie ein kleines kapitalistisches Paralleluniversum in Gang bringen, in dem sie ohne jede Gängelei und Einmischung höherer Mächte den Sitten der wirklichen Konkurrenz nachgehen können:

Geld endlich ohne Bankgebühren überweisen zu können - keinen höheren Triumph seiner Freiheit kennt so ein perfektes Subjekt der kapitalistischen Konkurrenz, als dass es selbst als Herr eines eigenen Geldes in allen Verhältnissen unterwegs ist, die eine Staatsmacht mit ihrem Recht als verbindliche Lebensgrundlage ihrer freien Bürger vorgibt5:

Wir können nicht erwarten, dass uns die Regierungen, Unternehmen und andere große, gesichtslose Organisationen freiwillig Privatheit gewähren... Wir müssen unsere Privatheit verteidigen, wenn wir erwarten, eine zu haben. Wir müssen zusammenkommen und Systeme schaffen, die anonyme Transaktionen ermöglichen... Wir verteidigen unsere Privatheit durch Kryptographie, durch anonyme Mail-Systeme, durch digitale Signaturen und durch elektronisches Geld.

Ideen dieser Art prozessieren in Nakamotos Datenkanälen praktisch geworden vor sich hin, und das ist für sich genommen schon bedenklich genug - aber doch harmlos im Vergleich zu dem Irrwitz der real existierenden kapitalistischen Geldwirtschaft, der sich offenbart, wenn die zu ihrem virtuellen Geld-Klon Kontakt aufnimmt. Für diese Kontaktaufnahme freilich sorgen zuallererst die Besitzer von Satoshis Geld mit ihrer Frage danach, was sie da eigentlich besitzen und worin das Eigentum seine Substanz hat, das sie mit ihm beim Vollzug ihrer "Transaktionen" der Form nach fröhlich übertragen.

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.