Einem Schwein das Singen beibringen

PR und ihre Glaubwürdigkeit: EUPRERA-Kongress in Leipzig setzt auf Transparenz

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PR-Professionals haben ein Problem mit der Glaubwürdigkeit. Insbesondere, wenn die Organisationen, die sie vertreten, in eine Krise geraten. So erging es dem litauischen Präsidenten, der offensichtlich Wahlkampfspender begünstigt und Staatsgeheimnisse verraten hatte. Prompt gerieten Regierungseinrichtungen in ein Glaubwürdigkeits-Tief. Biruté Januleviciuté-Ivaskeviciené von der Universität Kaunas, Litauen, hat die Folgen untersucht und auf dem Kongress PR and the Public Sphere in Leipzig am vergangenen Wochenende vorgestellt. Ihr Fazit: Die privaten PR-Agenturen, die die Regierung beraten, sollten auf Glaubwürdigkeit setzen, nicht auf Schönreden oder gar Vertuschen.

"Teaching a pig to sing" nannte Kaja Tampere von der Universität Jyveslyklä in Estland ihren Vortrag. In der ehemaligen Sowjetunion erledigten die Journalisten die Public Relations für die Regierung, deren Sendboten sie waren. Nach der samtenen (in Estland: der singenden) Revolution nahm die Glaubwürdigkeit der Medien zunächst zu: Die Bürger erhofften sich von den privaten Medien eine bessere Berichterstattung als von den vormals amtlichen. Inzwischen trauen sie weder Journalisten noch PR-Leuten. Konkret glauben Leute mit niedrigerem Bildungsgrad den Massenmedien eher als gut ausgebildete, wie eine Umfrage ergab. Kaja Tampere sieht eine pädagogische Aufgabe darin, die Bürger wieder für politische Themen zu interessieren. Aber wie das so ist: "Wir sind alle ein bisschen Schwein. Und das tut sich schwer mit dem Singen".

Nach Leipzig eingeladen hatten die European Public Relations Education & Research Association (Euprera) sowie die Fachgruppe Public Relations der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften (DGPuK). Mehr als 200 Teilnehmer aus 20 Ländern diskutierten.

Arena-Modell oder Intereffikation?

Günter Bentele und Stefan Wehmeier von der Universität Leipzig versuchten im Eröffnungsvortrag die verschiedenen kommunikationswissenschaftlichen Modelle von Handlungstheorie und Systemtheorie zu verbinden. Das klassische Arena-Modell, bei dem die Akteure in verschiedenen Subsystemen handeln, von denen eins die Massenmedien darstellt, möchte Bentele ablösen durch ein integratives Modell. Das Arena-Modell sei speziell für das demokratische politische System entwickelt und biete außerdem keine ausreichende Erklärung für das Handeln von Organisationen (Unternehmen wie Institutionen).

Stattdessen sei es hilfreich, Organisationen als kollektive Akteure anzusehen. Sie handeln entsprechend vereinbarter Regeln (communicative isomorphism rules). Wer diese Regeln bricht, verliere an Glaubwürdigkeit. Das bestätigte auch Valérie Carayol von der Universität Michel de Montaigne, Bordeaux. Sie hat beobachtet, dass Organisation weniger auf Unterscheidung (distinction) setzen denn auf "mimetic strategy", um Glaubwürdigkeit und Reputation zu erreichen. "Ja nicht auffallen" und die vereinbarten Kommunikationsregeln brechen, heiße die Devise.

Mit dem integrativen Konzept und dem von Bentele entwickelten Begriff der "Intereffikation", der gegenseitigen Durchdringung der Systeme "Journalismus" und "PR", so Wehmeier, könne man die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse besser beschreiben.

Vom Leser zum Kunden

Auf das Auseinanderklaffen von wissenschaftlicher Untersuchung der PR und der PR-Praxis wies Kurt Imhof, Professor an der Universität Zürich, in seinem Referat hin. Er ordnete dem Arena-Modell eher die betriebswirtschaftlich ausgerichtete praktische PR zu, die vor allem nach Strategien für ihr Handeln suche. Wer hingegen das Gesamtsystem wissenschaftlich beschreiben wolle, könne das gut mit der Systemtheorie, die von einer symmetrischen Interaktion oder "Intereffikation" ausgehe. Auch die "public sphere" zerfalle in mehrere Arenen, von denen eine die politische, eine andere die ökonomische, eine weitere die der Medien sei.

Imhof konstatiert eine Veränderung bei den Massenmedien: Sie sähen sich immer weniger der öffentlichen Sphäre verpflichtet, sondern folgten ihren eigenen ökonomischen Gesetzen: Die Leser oder Zuschauer würden zum Kunden. Die zunehmende Macht der Wirtschaft legitimieren die Unternehmen dadurch, dass sie politische Moral und soziales Prestige anstreben. Dabei sei es riskant, auf Einzelpersonen zu setzen - bei deren Fall leide das gesamte Unternehmen.

Reputation als Kernbegriff

Auch Mark Eisenegger setzte auf den Begriff der Reputation als zentrales Element für die Organisationskommunikation. Sie legitimiere die wirtschaftliche Macht der Unternehmen und beantworte die Frage, ob die Akteure die Erwartungen der öffentlichen Sphäre erfüllten können. Sein Fazit: Die Reputation sei zentral für das Überleben von Organisationen.

"Habermas hilft uns nicht weiter", bedauerte Rodney Benson von der Steinhardt School of Education, New York. Er zog stattdessen Pierre Bourdieu und seine Feldtheorie heran. Die PR erschaffe in einem fortlaufenden Prozess ein eigenes "Feld". Mit Bourdieu könne man die grenzüberschreitende PR-Strategien in verschiedenen Ländern in ihren kulturellen Unterschieden besser beschreiben und vergleichen. Für Benson steht fest: Journalisten haben eine Abneigung gegen die zunehmende Kommerzialisierung der Medien. Das werde sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern.

Weblogs nutzen

Networking mit Hilfe von Weblogs nutzen - so lautet der Tipp von Tom Clonan, School of Media, Dublin. Er beschrieb eindrucksvoll die Folgen eines Weblogs: Jonathan Schwarz, CEO von Sun Microsystems, berichtete in seinem Weblog, dass Sun plane, bei Novell einzusteigen. Am nächsten Tag stieg der Aktienkurs von Novell um sechs Punkte. Clonan wies auf die Möglichkeit hin, Gerüchte per Weblog zu streuen, aber auch auf die Korrektiv-Funktion von Weblogs. Fazit: Ehrlichkeit und Transparenz zahlen sich aus.

Darin waren sich auch die Großen des Fachs, von Horst Avenarius über Barbara Baerns bis zu Günter Bentele, dem Inhaber des ersten Lehrstuhls für PR überhaupt, einig. Sie fragten am Schluss des Kongresses bei der Podiumsdiskussion "Transparency - Just a Matter of Ethics?" nach dem zentralen Thema: Transparenz und Glaubwürdigkeit der PR und kamen zu dem Ergebnis: Auch wenn es vollständige Transparenz nicht geben kann - Transparenz ist überlebensnotwendig für Organisationen.

DRPR-Richtlinie zur Ethik

Zum Schluss stellte Avenarius die neue Richtlinie zur Kontaktpflege im politischen Raum des Deutschen Rats für Public Relations (DRPR) vor. Notwendig geworden war sie nach der Affäre Hunzinger, über die Politiker wie Rudolf Scharping oder Cem Özdemir gestolpert waren.

Auch die Frage, wie die Existenz von "Spin Doctors" in der politischen PR mit der Forderung nach Transparenz zu vereinbaren sei, brachte Avenarius nicht aus dem Konzept: "Sie sind Teil des Systems, und alle wissen, dass es sie gibt."

An der Glaubwürdigkeit der PR jedenfalls muss noch gearbeitet werden. Auf dem Rückweg an der Nikolaikirche vorbei zum Leipziger Bahnhof sprach mich ein junger Mann an. Ob ich ein paar Minuten Zeit für den Umweltschutz hätte? Mein Zug fuhr in zehn Minuten, und ich fragte: Worum geht's? Er sei vom Bund Naturschutz, und sie suchten Spnsoren und Mitglieder. Ich: Wie wär's denn mal mit PR? Ich käme da gerade von einem Kongress... Er: "Pressearbeit? Das bringt doch nichts. Der Bund Naturschutz muss mehr in die Medien kommen, und das geht nur mit Geld."