Einfach wieder aufbauen - darf und soll man das?
Seite 2: Dresden, das leuchtende Vorbild
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Das sozialistische Dresden braucht weder Kirchen noch Barockfassaden.
Walter Weidauer, Oberbürgermeister von Dresden 1946-58
Ein breit diskutiertes Thema wurde die Rekonstruktion von im Krieg und in der Nachkriegszeit verlorenen Gebäuden und Stadtbildern mit dem 1996 begonnenen Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Die sächsische Hauptstadt war sowohl von Kriegs- als auch Nachkriegszerstörungen besonders betroffen: Nicht ein einziges von den einst rund 1000 Bürgerhäusern der inneren Altstadt war übrig geblieben, denn die damals Verantwortlichen machten tabula rasa und ließen auch wiederaufbaufähige Ruinen restlos abräumen.
Der anschließende Aufbau eines modernen, "sozialistischen" Dresden blieb fragmentarisch – bis heute ist die Innenstadt nur locker bebaut und durch große Brachflächen geprägt. Nach der Wende mehrten sich dann die Stimmen für einen Wiederaufbau der seit dem Krieg unangetasteten Ruine der Frauenkirche; die als Bürgerinitiative organisierten Befürworter setzten sich schließlich gegen die Skepsis von Architekten und Historikern durch und sammelten über 100 Millionen Euro Spendengelder ein. 1994 wurde der Grundstein gelegt, und der als "Wunder von Dresden" apostrophierte Wiederaufbau nahm seinen Lauf.
Die Frauenkirche steht seit 2005 wieder an ihrem alten Platz und wird seitdem Jahr für Jahr von zwei Millionen Touristen belagert. Mittlerweile hat das Thema Rekonstruktion weitere Kreise gezogen: die Schlösser in Berlin, Potsdam, Braunschweig und Hannover, Kirchenbauten in Potsdam, Leipzig und Magdeburg, das gotische Rathaus in Wesel, die Markthäuser in Mainz, der Pellerhof in Nürnberg, die Frankfurter Fachwerk-Altstadt ... die Liste bereits vollendeter, geplanter oder geforderter Rekonstruktionen ist lang.
Dabei sind die Ansprüche keineswegs immer so hoch, wie sie es beim Wiederaufbau der Frauenkirche waren, die nach den alten Plänen und mit traditionellen Bautechniken "archäologisch" rekonstruiert wurde. In der Regel entstehen nur historisierende Fassaden, die modernen Betonkonstruktionen vorgeblendet werden, so wie dies auch beim Neuaufbau des Dresdner Neumarktviertels rund um die Frauenkirche geschah. Während beim Aufbau der Kirche knapp die Hälfte der alten Substanz wiederverwendet werden konnte, existierten von den barocken Bürgerhäusern nur noch einige Kellermauern; leider wurden die meisten dieser Relikte dem Wunsch der Investoren nach Tiefgaragen geopfert, sodass die Häuser den letzten Rest an Authentizität einbüßten.
Der Charme des neu entstandenen, pastellfarbenen Neumarktviertels ist dennoch unbestreitbar und wahrscheinlich den meisten "authentischen" Fußgängerzonen aus den 1960er Jahren überlegen. Ob der Neumarkt nur ein Freiluftmuseum für Elbflorenz-Touristen bleibt oder tatsächlich wieder ein Stück echte Stadt wird, wird die Zukunft zeigen.
Braunschweig, der Sündenfall
Wo Denkmäler beliebig verfügbar werden, wächst auch die Bereitschaft, mit ihnen nach Belieben umzuspringen, sie je nach Opportunität abzuräumen oder hervorzuholen.
Wolfgang Pehnt, Architekturhistoriker, Köln
Konnte man für die Rekonstruktionswünsche der Dresdener aufgrund des besonders tragischen Schicksals ihrer Stadt auch in Fachkreisen noch durchaus Verständnis aufbringen, so wurden in Braunschweig die schlimmsten Befürchtungen der Denkmalpfleger gebaute Wirklichkeit. Nachdem 1960 auf Beschluss des Stadtrates das im Krieg teilzerstörte Residenzschloss trotz Bürgerprotesten abgetragen worden war, errichtete man es von 2005 bis 2007 als Eingang zu einer überdimensionierten, blinddarmförmigen Shoppingmall neu. Der Vergleich zu Outlet-Centern im Stil deutscher Kleinstädte oder entsprechenden Szenarien in Vergnügungsparks liegt hier nahe.
In dieselbe Kategorie gehören die Markthäuser in Mainz, wo hinter historisierenden Fassaden ein großvolumiger Neubau des italienischen Stararchitekten Massimiliano Fuksas entstanden ist – von den Mainzern wegen seiner Lamellenfassade auch "Blechsarg" genannt (obwohl die Lamellen gar nicht aus Blech, sondern aus Keramik bestehen).
Befürchtungen von Architekten und Denkmalschützern, durch derartige potemkinsche Rekonstruktionen würden echte Denkmäler entwertet, sind in diesen beiden Fällen sicher nicht von der Hand zu weisen. Zu leicht geben sich Bürger und Kommunalpolitiker mit einer schönen Fassade zufrieden und hegen wenig Skrupel wegen der eventuell mangelnden Sinn- und Wahrhaftigkeit eines Rekonstruktionsprojektes. Die von Architekten, Historikern und Denkmalpflegern eingeforderte Authentizität interessiert wenig, die "Schönheit" des Wiedererstandenen genügt vollauf. Vor solch einem "Städtebau des ästhetischen Scheins" warnt der Kölner Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt, versucht aber gleichzeitig, durch Formulierung von Legitimitätskriterien zwischen den meist unversöhnlichen Standpunkten von Rekonstruktionsbefürwortern und -gegnern zu vermitteln:
Wenn man rekonstruieren will, dann müssen für mich fünf Kriterien erfüllt sein. Erstens müssen zuverlässige Baupläne vorliegen. Zweitens muss der Bau am selben Standort errichtet werden wie der Vorgängerbau. Drittens dürfte die Geschichte nicht über diesen Bauplatz hinweggegangen sein, er muss also unbebaut geblieben sein. Viertens muss noch genug historische Bausubstanz vorhanden sein, die das künftige Gebäude sozusagen beglaubigt, es durchdringt wie der Sauerteig das Brot. Fünftens müsste die neue Nutzung verträglich sein mit dem Charakter des zu rekonstruierenden Gebäudes.
Wolfgang Pehnt in einem Interview mit dem SPIEGEL, 2008
Die Pehntschen Kriterien waren beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche offensichtlich erfüllt: Die Ruine wurde nach dem Krieg nicht abgeräumt, das Gelände nicht neu genutzt, sodass man den Wiederaufbau als verspätete Wiederherstellung nach dem Krieg interpretieren kann. Außerdem ist das rekonstruierte Gebäude nicht nur Fassade, sondern wird wieder als Kirche genutzt. Hinzu kam die enorme Bedeutung für die Identifikation der Dresdener mit ihrer Stadt, sodass heute auch ehemalige Kritiker des Projektes verstummt sind.
Weniger eindeutig, aber dafür typischer ist der Fall der 1956 gesprengten Magdeburger Ulrichskirche. Ihr Standort ist zwar nach wie vor verfügbar, die Kriegsruine wurde allerdings restlos abgeräumt und die Umgebung neu bebaut. Auch eine Wiedernutzung als Kirche scheidet mangels Kirchgängern aus. Demgegenüber stehen die Sehnsucht nach Gebäuden mit historischem Flair in dieser wie Dresden durch fast völlige Kriegszerstörung, radikale Trümmerräumung und "sozialistische" Neuplanung enthistorisierten Stadt und die damit erhofften Impulse für die Stadtentwicklung und den Tourismus. Eine Rolle spielt sicher auch – wie bei den Rekonstruktionen der Leipziger Pauliner- und der Potsdamer Garnisonkirche – der Wunsch, den von der damaligen politischen Führung begangenen Kulturfrevel wiedergutzumachen. Letztlich lehnten die Magdeburger die Rekonstruktion der Ulrichskirche in einem Bürgerentscheid im März 2011 mit deutlicher Mehrheit ab.