Einfach wieder aufbauen - darf und soll man das?
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Pro und contra Rekonstruktion verlorener Bauwerke
Seit der deutschen Wiedervereinigung häufen sich die Rekonstruktionsprojekte: In vielen Städten scheinen die Bürger mit den architektonischen und städtebaulichen Ergebnissen der Aufbaujahrzehnte zunehmend unzufrieden zu sein und wünschen sich die Stadtbilder aus Vorkriegszeiten zurück. Architekten und Denkmalschützer befürchten eine Entwertung der verbliebenen authentischen Baudenkmäler und ein Abgleiten in die historische Beliebigkeit.
Wer heute durch deutsche Straßen geht, hat oft den Eindruck, dieses Land wäre nur ein halbes Jahrhundert alt und dessen Bewohner ohne jeden Geschmack und ohne jede Liebe zu ihrer gebauten Umwelt; eingestreut zwischen gesichts- und geschichtslosen Neubauten, umgeben von breiten, toten Straßen, Unrat und Mastenwäldern, finden sich verloren ein paar Artefakte aus alter Zeit, schöne, liebevolle Gebäude mit geschichtlicher Tiefe.
Mit diesen Worten bringt der Verein "Stadtbild Deutschland" seine Kritik am Zustand der deutschen Städte auf den Punkt und will durch "Förderung von sinnvollen Rekonstruktionen" Abhilfe aus der Misere schaffen. Ob und inwieweit Rekonstruktionen verlorener Gebäude tatsächlich sinnvoll und vertretbar sind, darüber wird unter Fachleuten wie Laien leidenschaftlich diskutiert und gestritten.
Tatsache ist: Es gibt kaum eine größere deutsche Stadt, die nach den Kriegszerstörungen und einem häufig ahistorischen Wiederaufbau nicht ihr Gesicht gewandelt oder, wie viele ihrer Bewohner heute meinen, verloren hätte. Insbesondere der "autogerechte" Ausbau vieler Städte in den 1960er und 1970er Jahren hat erheblich in die überlieferten Stadtbilder eingegriffen. Denn die eng bebauten historischen Viertel erschienen den meisten Stadtplaner jener Zeit, die von offenen, durchgrünten Stadtlandschaften träumten, als historisch überholter Zustand, der nun dank der "mechanischen Auflockerung" (Hans Scharoun) durch den Bombenkrieg endlich überwunden werden konnte. Dieses städtebauliche Leitbild wurde in Ost und West gleichermaßen verfolgt, trotz teilweiser anderslautender politischer Absichten und Begründungen.
Obwohl sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit viele Bürger, zum Teil mit Unterstützung der Denkmalpfleger, für einen am Vorkriegszustand ihrer Städte orientierten Wiederaufbau aussprachen, blieben diese Wünsche und Forderungen in den meisten Fällen ohne Erfolg. Der an das alte Stadtbild angelehnte Neuaufbau des Prinzipalmarktes in Münster oder die am alten Stadtgrundriss orientierte Aufbauplanung des Schwarzwaldstädtchens Freudenstadt blieben seltene – und von den damaligen Stadt- und Verkehrsplanern als "verpasste Chance" kritisierte – Ausnahmen.
Die meisten Kirchen und andere bedeutende Denkmäler wurden zwar auch in anderen Städten originalgetreu oder in vereinfachter Form wiederhergestellt; für den Wert der Wohngebäude, Straßen und Platzanlagen hatte man jedoch wenig Sinn, zumal sie häufig gewünschten Straßendurchbrüchen und -verbreiterungen im Wege standen. Auf diese Weise verschwand infolge von Kriegszerstörungen und Nachkriegsabrissen ein Großteil des gebauten Kulturerbes, darunter viele charakteristische Stadtbilder – nur etwa ein Drittel des deutschen Baubestandes stammt heute noch aus der Vorkriegszeit. Wie stark die Veränderungen in der baulichen Struktur der meisten Städte waren, vermitteln eindrücklich die Schwarzpläne der Berliner Innenstadt.
Erst im Laufe der 1970er-Jahre, mit dem Verblassen der Fortschritts- und Wachstumseuphorie, begann man sich erneut auf die Qualitäten historisch gewachsener Stadträume zu besinnen; der Wiederaufbau der Nachkriegszeit wurde nun zunehmend als "zweite Zerstörung" der Städte gesehen. Doch es sollte noch ein weiteres Jahrzehnt dauern, bis sich Konzepte wie die "behutsame Stadterneuerung" und die "kritische Rekonstruktion des Stadtgrundrisses" endgültig durchsetzen konnten. Die Wertschätzung, die der "europäischen Stadt" nun wieder zuteil wurde, beendete nicht nur den jahrzehntelangen Kahlschlag in den noch vorhandenen Altbaubeständen, sondern ließ auch die Rufe nach Rekonstruktionen bereits verlorener Gebäude und Stadtbilder lauter werden.
Hildesheim, Revision des Wiederaufbaus
Wird möglicherweise jetzt erst, nach Wiedervereinigung und Friedensschluss erkennbar, welche Schäden wir durch Krieg und bewusstlosen Wiederaufbau erlitten haben? Sehen wir erst jetzt nach Jahren der Verdrängung und Flucht ins Grüne, welche seelenlosen und gesichtslosen Städte wir in unserer automobilen Besessenheit produziert haben?
Walter Ackers, Architekt und Stadtplaner, Braunschweig
Vor der Wiedervereinigung waren Rekonstruktionen noch Einzelfälle. So konnten sich die Hildesheimer mit ihrem nach der Kriegszerstörung vergrößerten und in den 1960er Jahren mit moderner Randbebauung versehenen Marktplatz nicht anfreunden und setzten in den 1980er Jahren den Abriss der modernen Bebauung und den Wiederaufbau des 1529 erbauten und 1945 zerstörten Knochenhaueramtshauses durch, das zusammen mit einem Nachbargebäude in traditioneller Zimmermannstechnik rekonstruiert wurde. Um das Ensemble zu komplettieren, wurden weiteren Bauten am Marktplatz historisierende Fassaden vorgeblendet.
Historisierende Fassaden entstanden im gleichen Zeitraum auch in Hannover (Leibnizhaus) und am Frankfurter Römerberg (Fachwerkhauszeile gegenüber dem Rathaus). Und in Ost-Berlin, wo man die Reste der Altstadt erst zwei Jahrzehnte zuvor zugunsten von vielspurigen Straßen und repräsentativen Großbauten wie dem Fernsehturm abgeräumt hatte, entstand nun das Nicolai-Viertel, eine skurrile Collage aus teils erfundenen, teils dislozierten Altberliner Häuschen, komplettiert mit Plattenbauten im Giebelhausstil. Diesem heute insbesondere bei Touristen beliebten "Altstadt"-Viertel kann man mittlerweile durchaus einen eigenständigen Denkmalwert zubilligen.