Einnahme von Ramadi: Islamischer Staat auf dem Vormarsch im Irak
Wieder sind irakische Soldaten geflohen, nun sollen schiitische Milizen die Stadt und die Provinz Anbar vom IS befreien
Trotz der seit letztem Jahr geführten Luftangriffe der von den USA angeführten Koalition und ersten Erfolgen bei der Zurückdrängung des Islamischen Staats durch irakische Truppen und kurdische sowie schiitische Milizen scheint das selbsternannte "Kalifat" noch nicht in der Defensive zu sein. Am Wochenende wurde Ramadi vom IS eingenommen (Irak: IS arrondiert sein Herrschaftsgebiet in der Provinz Anbar). Tausende Menschen flohen, der IS tötete mindestens 500 Menschen und nahm das militärische Hauptquartier der Region ein, wodurch ihm wieder einmal viele Waffen in die Hände fielen, die das Militär, überwiegend in schhitischer Hand, in der überstürzten Flucht zurückgelassen haben.
Trotz vermehrter Luftangriffe zur Stützung der Stadt und der Ankündigung der irakischen Streitkräfte, die Provinz Anbar vom IS zu säubern, konnte die Hauptstadt nicht gehalten werden. Die irakischen Sicherheitskräfte und die Stammesführer sollen alle geflohen sein, wenn sie nicht getötet wurden. Ähnlich war dies letztes Jahr bei der Eroberung der Großstadt Mossul durch den IS gewesen. Zwar wurde seitdem Tikrit wieder vom Irak mit der Hilfe schiitischer Milizen eingenommen, was strategisch als wichtiger Schritt für die Wiedereroberung von Mossul verkauft wurde. Während Mossul ein paar hundert Kämpfer eingenommen haben, sollen es in Tikrit gerade einmal ein paar Dutzend gewesen sein, die die Armee in die Flucht schlugen.
Gerade erst hatte das Pentagon eine angeblich erfolgreiche Operation von US-Spezialeinheiten gefeiert, die mit Hubschraubern vom Irak aus nach Syrien eingeflogen waren und dort den IS-Führer Abu Sayyaf töteten. Angeblich hätten sie diesen fangen und mitnehmen sollen, aber er habe sich gewehrt, auch andere IS-Kämpfer seien getötet worden, von denen sich einige hinter Frauen und Kindern als Schutzschilden versteckt haben sollen. Umm Sayyaf, die Frau von Abu, wurde gefangen genommen und soll nun im Irak verhört werden.
Am Freitag erklärte Brigadegeneral Thomas D. Weidley, Kommandeur von Operation Inherent Resolve, die Strategie, den Islamischen Staat zu besiegen, sei erfolgreich, Geländegewinne wie um die Ölraffinerie Beji nur vorübergehend. In Ramadi hätten die Streitkräfte Angriffe zurückgeschlagen, aber die Stadt sei weiter umkämpft. Am Samstag hatte noch US-Verteidigungsminister Carter den Erfolg gepriesen: "Die Operation stellt einen weiteren bedeutsamen Schlag gegen ISIL dar und erinnert daran, dass die USA niemals zögern wird, den Terroristen einen Sicheren Hafen zu verweigern, die unsere Bürger und die unserer Freunde und Alliierten bedrohen." Am Tag darauf fiel Ramadi trotz wiederholter Luftangriffe und angeblicher Zerstörungen von Stellungen und Gerät, was bedeutet, dass die Terroristen weiterhin auch groß angelegte Angriffe im Irak durchführen und einen "Sicheren Hafen" erobern können.
Der irakische Regierungschef Abadi hatte den Truppen noch am Sonntag befohlen, auf jeden Fall die Stellungen zu halten und auf Unterstützung durch weitere Soldaten und schiitische Milizen zu warten. Offenbar war dann das Vertrauen zu gering und die Angst größer, die Soldaten wollten nicht ihr Leben riskieren, was als Wiederholung der Eroberung von Mossul auch einen Blick auf die Moral und die Kampfkraft der regulären Armee sowie die Situation in den von den Sunniten bewohnten Gebieten erlaubt.
Nach der Eroberung von Tikrit blieb diese Stadt im Übrigen bislang eine zerstörte Geisterstadt, da die meisten der 200.000 Bewohner diese während der IS-Besatzung und der Kämpfe verlassen hatten und weder Verwaltung noch Polizei wirklich für Ordnung sorgen können. Wasser- und Stromversorgung ist kaum mehr vorhanden, ein Wiederaufbau geschieht nicht, kriminelle Banden ziehen durch die Stadt. Letztlich würde der Islamische Staat wenig Probleme haben, wieder einzuziehen.
Abadai hat nun schiitischen Milizen, die mitunter eher Teheran Folge leisten, aufgerufen, in die Provinz Anbar zu kommen, um gegen den IS zu kämpfen. Bislang war die US-Regierung dagegen gewesen, weil die schiitischen Milizen ihre eigenen Interessen verfolgen und mitunter durch Racheaktionen an der sunnitischen Bevölkerung, die sich nicht groß vom IS unterscheiden, den Konflikt eher anschüren. Nach Gesprächen mit dem US-Botschafter, so die New York Times scheinen die USA dem nun zuzustimmen, wenn die Milizen unter dem Kommando von Abadi und nicht von iranischen Beratern stehen. Sie müssten auch gut organisiert vorgehen, um nicht von Bomben getroffen werden, da das Pentagon die Luftangriffe fortsetzen wird. Die Milizenführer haben ihre Anhänger zu den Waffen gerufen, um am "Kampf um Anbar" teilzunehmen.
Ein Problem ist, dass eine Bewaffnung und Bezahlung sunnitischer Freiwilligenverbände in Anbar trotz der Erklärungen des Regierungschefs kaum eine Chance hat. Der Widerstand seitens schiitischer Gruppen, die in der Regierung eine große Macht haben und vom Iran unterstützt werden, ist zu groß. 2007 hatten die USA damit gute Erfolge erzielen und die Aktivität aufständischer Gruppen einschränken können. Die schiitisch dominierte Regierung unter al-Maliki hatte dies beendet und damit letztlich auch den Vormarsch des IS ermöglicht.
Sollte der IS Ramadi länger halten können, dürfte er mit dem neuen Waffenarsenal und dem Propagandaerfolg auch in der Region erstarken. Ramadi liegt nicht nur auf einer direkten Verbindungsstrecke mit Syrien, um von dort aus Kämpfer und Material nach Anbar zu senden, sondern es liegt auch nicht weit entfernt von Bagdad, so dass nun dort vermehrt mit Angriffen und Anschlägen gerechnet werden muss. Der Islamische Staat feiert den Erfolg und will damit den "schiitischen Halbmond" vom Irak über Syrien bis zum Libanon aufbrechen.