Irak: IS arrondiert sein Herrschaftsgebiet in der Provinz Anbar
Die Dschihadisten-Milizen sollen das Zentrum der Provinzhaupstadt Ramadi erobert haben
"Arrondierung" nennt man es in Geschichtsbüchern, wenn der Frontverlauf bzw. die Eroberungen ein zusammenhängendes Gebiet umschließen; der Blick für die Härten, denen die Bevölkerung dabei ausgesetzt ist, geht beim Fokus auf die militärisch-politische Ziele meistens verloren. IS-Milizen haben nach aktuellen Meldungen die schwarze Fahne über Regierungsgebäude in Ramadi gehisst.
Das Polizeihauptquartier- und Armeestützpunkt wurden eingenommen. Der lange vorbereitete Einfall in das Stadtzentrum gelang den Dschihadisten über Autobomben, die Verteidigungsmauern zerstörten und eine Bresche für die Milizen schlugen.
Damit ist der "Islamische Staat" dabei, die nächste Provinzhauptstadt nach Mosul unter seine Kontrolle zu bringen. Der IS würde damit seine Herrschaft über Anbar, die drittgrößte Provinz Iraks, konsolidieren, was die de-facto-Teilung des Irak weiter vorantreibt.
Zivilisten entflohen den Kämpfen, laut einem Guardian-Bericht, auf der Hauptstraße nach Bagdad, die von IS-Milizen kontrolliert wird, und die Flucht zu einer gefährlichen Unternehmung macht. Seit die IS-Milizen im vergangenen Jahr mit Eroberungsversuchen der Provinzhauptstadt begonnen haben, sind 130. 000 Bewohner aus Ramadi und Umgehung geflohen, berichtet der amerikanische Blogger Juan Cole. IS-Milizen hätten seither über eine starke Präsenz in den Vororten und in der Umgebung verfügt.
Die Eroberung Ramadis sei militärisch und für die Reputation von Daesh (das arabische Akronym für den IS) sehr wichtig, so der "informierte Kommentar" des US-Geschichtsprofessors Cole. "Sie brauchten einen Sieg nach dem Verlust von Tikrit und die al-Anbar Provinz mit der soliden sunnitischen Mehrheit, die sie ohnehin zu großen Teilen kontrollieren, war genau der Ort, wo sie einen Vormarsch machen konnte."
Cole deutet dabei auf eine politische Eigentümlichkeit hin, die dem US-Kommando einiges Kopfzerbrechen verursachen dürfte. Anbar war die Provinz, wo es den US-Truppen Mitte des letzten Jahrzehnts gelang, mit Hilfe sunnitischer Stämme das Blatt gegen die IS-Vorläuferorganisation Al Qaida im Irak zu wenden. Ramadi sei eine Bastion des al-Dulaimi-Stammes, der bei der sunnitischen Erweckungsbewegung eine wichtige Fraktion war, so der Guardian.
Nun weigere sich die irakische Regierung laut Informationen des Informed Comment aber, die sunnitischen Stämmen, die gewillt sind, die IS-Milizen zu bekämpfen, mit besseren Waffen auszustatten.
Wahrscheinlich geht die Weigerung auf die Befürchtung zurück, die Waffen könnten in den Händen der IS-Milizen landen. Doch spielt auch das Konfliktpotential zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen eine Rolle. Offensichtlich gab es bei der Eroberung Tikrits, bei der schiitische Milizen dominant waren, neue Vorwürfe gegen das Gebaren der schiitischen Milizen, weswegen sich diese verärgert zurückgezogen haben sollen. Eine Aufrüstung sunnitischer Stämme würde da nicht besänftigend wirken. Davon abgesehen, dass die Schaltstellen in der irakischen Regierung wohl auch nicht mit Politikern besetzt sind, die sich für die Bewaffnung von Sunniten stark machen.
Rätselhaft bleibt, weshalb es die irakische Regierung nicht schafft, Verstärkung oder Luftunterstützung nach Ramadi zu schicken. Allerdings sind Luftangriffe, die als Mittel des Kampfes gegen den IS ohnehin in die Kritik geraten sind (vgl. "US-/Koalitionsstreitkräfte setzen Luftschläge gegen den Islamischen Staat fort"), eine mit großen Risiken verbundene Strategie, wenn es um die Befreiuung einer Stadt geht. Schlagzeilen von Kollateralschäden unter den verbliebenen sunnitischen Einwohnern wären nicht im Sinne der irakischen Regierung und den USA.