Einübungen in den Weltuntergang

Seite 3: Kranke Seele, kranker Zeitgeist

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Eigentlich ist Joker die schillerndste Figur des Batman-Universums, außer Batman selbst natürlich und Catwoman. Joker ist mehr als nur ein Gegenspieler des Helden. Er ist eine Institution für sich selbst. Ein Unternehmer des Wahnsinns, der auch den Wahnsinn des Unternehmertums repräsentiert. Er ist aber auch ein Zeichen für die Bosheit der Unterhaltung, die Bosheit des Humors. Ein Horror-Clown. Diese Joker-Figur ist interessant, weil sie über das Private hinaus geht.

In diesem Film aber regiert die Tyrannei der Intimität. Es wird psychologisiert, was das Zeug hält. Und noch die plattesten Klischees unserer Tage - psychische Krankheiten und Kindesmissbrauch -, mit denen sich heute alles erklären lässt, dürfen in so einem Film nicht fehlen. Der rote Faden ist die Schuld der Frauen: Die Joker/Arthur entweder in Form der Mutter und der Sozialarbeiterin drangsalieren und erziehen, oder übersehen.

Bild: © Warner Bros. Entertainment Inc. / DC Comics / Niko Tavernise

Das ist bestenfalls (Küchen-)Psychologie: Die Schuld an Gewaltakten und Terror liegt immer in "der Gesellschaft". Und weil die tatsächlich krankt, sind Gewalt und Terror plötzlich gerechtfertigt.

Insofern ist dies ein Zeitgeist-Film. Denn es ist der Zeitgeist, der behauptet, dass jeder ein Opfer sei noch der nihilistischste Verbrecher. Es ist der Zeitgeist, der behauptet, dass alle Menschen irgendwie traumatisiert sind; es ist der Zeitgeist, der es nötig hat, die Joker-Figur als unpolitische zu erzählen, der nicht in Joker den Tyrann entdeckt oder den Medientycoon, nicht den Joker in uns allen entdeckt, sondern der den Joker aus unserer Mitte entfernt und zu einer exzentrischen Existenz erklärt.

Dieser Film ist der Versuch einer Ehrenrettung für seine Hauptfigur. Der Film ist wie eine gut zweistündige Therapiesitzung.

Krankheit und Trauma allerorten - das Böse aber gibt es nicht mehr und persönliche Verantwortung verdampft vor der sozialen und administrativen Katastrophe. Auch das passt zum Zeitgeist und mag manche kranke Seele beruhigen. Ein persönlicher Erkenntnisgewinn ist es aber ebenso wenig wie einer für die Gesellschaft. Bar jeder Substanz ist "Joker" eine Behauptung - eine leere Hülle ohne seinen Hauptdarsteller.

Eine Prise Hass, ein Löffelchen Medienreflexion und eine Dosis Filmgeschichte

Die Säule, auf der dieser Film ruht, ist dieser Hauptdarsteller Joaquin Phoenix, der in fast jedem Bild zu sehen ist. Man muss Phoenix' exaltiertes Spiel nicht mögen, übersehen kann man es nicht. Auch wenn Phoenix weder Jack Nicholson noch Heath Ledger das Wasser reichen kann, die die Figur bereits in früheren Filmen 1992 und 2008 verkörperten.

Die Primitivität, mit der man zur Zeit das manierierte, exaltierte und im Grunde genommen höchst redundante Spiel von Phoenix abfeiert, sein Abnehmen und seine Grimassen zur Kunst erklärt, belegen vor allem Blindheit. Diesem Schauspieler, für den Dezenz und Subtilität Fremdworte sind, lässt man einfach alles durchgehen - auch dies ist ein Zeitgeist-Phänomen.

Regie führt Todd Phillips, der bisher nicht weiter von sich reden gemacht hat. Hier sieht man, warum. Eine Verfolgungsjagd zu Fuß durch die U-Bahn erinnert immerhin stilistisch an "French Connection". Der Rest ist zwar auch aus zweiter Hand, aber prätentiös. Nie geht der Film das entscheidende Stück weit genug, sondern macht nur viel Lärm.

Denn "Joker" ist ein Film, der von anderen Filmen zehrt, ein vampirischer Film, der wenig Eigenes und Originelles hat. Was dieser Film damit immerhin leistet, ist, dass er aufs Kino aufmerksam macht, dass er sich in die Filmgeschichte einschreibt, in die der 1970er Jahre, dass er uns einen so wunderbaren Film wie "French Connection" ins Gedächtnis ruft und die Filme von Martin Scorsese. Stellenweise wirkt der Film epigonal und wie der Versuch eines Remake von Scorseses "Taxi Driver" und "King of Comedy".

Dazu kommt eine Prise Hass - böse Reiche -, ein Löffelchen Medienreflexion - böse Talkshows!! - und noch eine Dosis Filmgeschichte.

Der destruktive Charakter als Held

You dont listen, do you? You just ask the same questions every week. Do you have some negative thoughts? All I have are negative thoughts...

Oh der Arme! Manchmal weint er sogar. Uiuiui. Dieses Monster hat wirklich unser Mitleid verdient. Wir erinnern uns: 2004 hieß es "Hitler als Mensch". Jetzt sogar Joker als Mensch. Das ist wirklich der Untergang.

Die Geschichte ist seicht, die Gedanken unzusammenhängend, die Haltung so reaktionär wie die Hauptfigur, die in ihrem gewalttätigen, psychopathischen Ressentiment zum Ventil der Erleichterung des Publikums wird. Joker ist ein Held für alle destruktiven Charaktere.