Elf Dinge, die ich als Radfahrerin nicht mehr hören kann

Die Debatte über den automobilen Straßenverkehr als Gegenmodell zur Fahrradmobilität wird von vielen Scheinargumenten bestimmt. Zeit für einen Faktencheck

Bestimmte Themen – Klimawandel, Gleichberechtigung, Rassismus, etc. – bringen die Gemüter in Wallung und sorgen für mediale Empörung. Nichts jedoch lässt Menschen schneller ausfällig werden als die Fahrrad-Auto-Debatte. Grund genug für Fakten.

"Jeder siebte Mensch, der 2019 im Straßenverkehr ums Leben kam, war mit dem Fahrrad unterwegs", schreibt das Statistische Bundesamt. Die vielen im Straßenverkehr getöteten Fahrradfahrer sind eine Entwicklung gegen den Trend. Einerseits gibt es immer weniger Verkehrstote auf Deutschlands Straßen, aber immer mehr davon sind mit dem Rad unterwegs.

Besonders betroffen Menschen über 65 und Kinder. Im Jahr 2010 gab es 381 Tote; 2019 waren es bereits 445. Schon 2012 stellte der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers bei der Analyse der Unfallzahlen fest: "Zunehmend sterben die Leute nicht mehr im Auto, sondern davor." Bis heute hat sich daran nichts geändert.

Artikel, die sich mit der Sicherheit von Radfahrer:innen befassen, bieten in den Kommentarspalten, die ewig gleichen Argumente, die so ermüdend, wie notorisch und einfältig sind, dass ich mir vorgenommen habe, diese durchzugehen und nach Faktenlage zu beurteilen.

Vorweg. Ich habe einen Führerschein und eine Familie, die leidenschaftlich gerne Auto fährt. Ich selbst fahre jedoch viel lieber mit dem Rad. Es ist schneller, umweltfreundlicher, interessanter, eleganter, sozialer, gesundheitsfördernder und auch wesentlich praktischer. Und, nein, ich habe nie ein Auto gebraucht und ich vermisse es auch nicht.

Jenseits meines persönlichen Urteils gibt es natürlich jede Menge Studien und Daten, die zeigen, dass viele Argumente von Befürworter:innen der automobilen Mobilität schlicht nicht stimmen. Ich weiß, wie schwierig es ist, sich einzugestehen, falsch zu liegen. Dennoch: Einsicht ist der beste Weg zur Besserung. Die folgenden elf Argumente sollen helfen, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und die Debatte dort zu beginnen, wo sie spannend wird und gute Lösungen für alle möglich werden.

1. Radfahrer:innen halten sich nicht an Regeln

"Die sollen erst mal die Verkehrsregeln lernen", "Die fahren immer bei Rot", "Radfahrer verhalten sich rücksichtslos" – das sind gängige Sprüche, die man zu hören bekommt. Und im Feuilleton bekommt man zu lesen: "Viele Velofahrer fühlen sich auch moralisch überlegen. Sie leisten einen Beitrag für die Umwelt, verzichten dafür auf den Luxus eines Autos, sie trotzen Regen und Schnee. Und weil sie das tun, glauben sie, sich im Gegenzug über Regeln hinwegsetzen zu dürfen."

Stimmt das? Sind Radfahrende rücksichtslos und verhalten sich nicht regelkonform. Brechen Radfahrende häufiger Regeln? Es gibt wenige Erhebungen. Bei Rotlichtverstößen wird schon mal genauer hingeschaut.

2017 kontrollierte die Hamburger Polizei mit 148 Beamten Kreuzungen im Stadtgebiet von sechs bis 22 Uhr. Sie zählten 226 Autofahrer:innen, die bei Rot fuhren und 22 Radfahrer:innen, die das auch taten.

In einer britischen Studie gaben sechs von zehn Radfahrenden an, manchmal rote Ampeln zu überfahren. In Deutschland ist es ähnlich. Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, schaut man genau nach rechts und links, ob man gefahrlos queren kann. Radfahrende gefährden zudem meist nur sich selbst, im Gegensatz zu Autofahrenden, die vor allem andere Verkehrsteilnehmer:innen gefährden, wenn sie bei Rot fahren.

Es kommt hinzu, dass Radfahrende sehr viel gefährdeter sind, wenn sie bei Grün fahren. Klingt paradox, ist aber leicht zu erklären. Folgenschwere Abbiegeunfälle sind schuld. Unfallverursachend in den meisten Fällen sind Autofahrer:innen (zu 75 Prozent) oder LKW-Fahrer (zu 80 Prozent).

Ja, Radfahrer:innen brechen Regeln, Regeln, die hauptsächlich für Autofahrer:innen gemacht wurden. Wie steht es bei den Autofahrer:innen mit den Regeln? Geschwindigkeitsüberschreitungen gelten als Kavaliersdelikt. Drei Viertel aller Autofahrer:innen fahren schneller als angegeben. Man muss ja "im Fluss bleiben".

Die Ampel zeigt dunkelgelb? Drauf aufs Gas! Blinken? Macht das Auto nicht von allein? Hupen, wenn man genervt ist? Na klar! Ein Park- und Halteverbot auf Geh- und Radwegen? Ach, ganz kurz nur und Warnblinker an, dann ist das doch okay, nicht wahr? Smartphone am Steuer? Lenkt nicht ab, bei einem Viertel der Autofahrer:innen ist es Standard. Stoppschild, Zebrastreifen ignorieren? Kann passieren.

Zweimal falsch ergibt nicht richtig. Dass Autofahrer:innen Regeln missachten, macht es für Radfahrer:innen nicht okay, aber es ist nun mal eine Tatsache, dass Verkehrsregeln, die am meisten ignorierten Regeln sind. Autofahrer:innen brechen sie Tag für Tag mit einer Nonchalance, die Staunen macht.

2. Straßen sind für Autos gemacht

Stimmt es, dass Straßen für Autos gemacht sind? Straßen gibt es seit tausenden von Jahren, genutzt zu Fuß, mit Karren, Kutschen, Pferden, Bussen, Rädern und Autos. Erst in den letzten sieben, acht Dekaden wurde entschieden, den Autos Vorrang einzuräumen. Straßen kontrollieren nicht uns, wir kontrollieren sie. Wir sind diejenigen, die sie planen und bauen. Wir entscheiden, wie und auf welche Weise wir sie nutzen wollen. Wir machen sie sicher und komfortabel.

"Adolf Hitler ganz allein/ Baute er die Autobahn. / Keiner trug ihm einen Stein / Keiner rührte Mörtel an." heißt es in Kurt Bartschs Gedicht Adolf Hitler ganz allein.

Es waren die Nazis, die auf das Auto setzten und Autobahnen bauten. Sie gaben damit das große Vorbild für die USA ab, die nach dem Zweiten Weltkrieg damit begannen, ihr Interstate-Highway-System aufzubauen. Die Zentrierung auf das Auto schuf ein ganz eigenes Design und leistete der Zersiedelung und dem Flächenfraß Vorschub.

Der durch das Auto umgestaltete Raum veränderte sich komplett. Mittelklasse-Familien zogen aus der Stadt an den Stadtrand, um dort ihren Traum vom Eigenheim wahr werden zu lassen.

Jahrtausendelang erfüllten Straßen unterschiedliche Zwecke. Fortan gab es nur noch das LoS-Prinzip – Level of Service, das der Frage folgte: Wie gut funktioniert die Straße für Autos? In Deutschland wurde das LoS-Prinzip übernommen und fand Eingang in das "Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS)". Dort sind die Qualitätsstufen der Straßen definiert von Qualitätsstufe A (gute Verkehrsqualität) bis Stufe F (schlechte Verkehrsqualität).

Es interessierte nicht mehr, wie sicher eine Straße für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen ist oder wie gut sie sich für den öffentlichen Verkehr eignet; einzig das Auto zählt. Die Maßeinheit, die fortan galt, war: Wie viele Autos, können eine Kreuzung in einer bestimmten Zeitspanne passieren?

Alles, was den Autofluss aufhält, ist schlecht. Straßen werden verbreitert, Rechtsabbieger angelegt auf Kosten von Bürgersteigen. Alles was hemmt – Übergänge, Ampeln u.a. – wird möglichst beseitigt.

Das Problem ist: Je besser die Auto-Infrastruktur, desto bequemer das Fahren, desto mehr Autoverkehr. 1955 lag die Autodichte in Nordrhein-Westfalen bei 31 PKW pro tausend Einwohner. 2019 waren es bereits 563 PKW pro Tausend Einwohner.

Mittlerweile gibt es bei vielen Planern ein Umdenken, was die Beurteilung von Straßen angeht. Standard ist aber immer noch das bereits angeführte Handbuch, nach dem weiterhin Straßen ausgebaut werden.

Zudem hat sich unsere gesamte Wahrnehmung durch die Zentrierung auf das Auto derart rückgebildet, dass es vielen schwerfällt, sich überhaupt etwas anderes als den brutalen Ist-Zustand vorzustellen. Den meisten Menschen gelingt es nicht einmal, die Benachteiligung von Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen, wahrzunehmen, geschweige denn sich etwas anderes vorzustellen.

3. Es gibt nicht genug Platz für Radwege, ohne dass es zu Stau kommt

In Deutschland ist Autofahren relativ günstig und bequem. Diesel kostet immer noch wesentlich weniger als Normalbenzin. Das Straßensystem ist gut ausgebaut und auf Schnelligkeit angelegt. Kein Wunder, dass viele Menschen Angst davor haben, dieses System zu ändern.

Zumal es logisch scheint, dass, wenn dem Autoverkehr eine Fahrspur genommen wird, die Kapazität der Straße leidet und es zu Staus kommt. Aber beim Verkehr wirkt die Ingenieurskunst anders als gedacht, nämlich kontra-intuitiv.

Man kann den Autos eine Spur nehmen, ohne dass es zu einer signifikanten Geschwindigkeitsreduzierung für die Autofahrer:innen kommt. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass, wenn statt der Autospur eine geschützte Radspur, eine sogenannte protected bike lane, implementiert wird, sich die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer:innen erhöht, die Geschäfte entlang der Straße profitieren und selbst der Autoverkehr besser läuft.

Je größer der Radverkehrsanteil ist, desto stärker sind die Fahrzeitgewinne für andere Verkehrsarten, auch den Autoverkehr.

Eine gut designte Radinfrastruktur verbessert die gesamte Raumstruktur. Und es gibt einen weiteren positiven Aspekt, den man in Betracht ziehen sollte. Eine Radspur nimmt, um zu geben. Sie gibt den Menschen die Möglichkeit, sich anders zu bewegen. Eine Stadt bietet immer nur sehr begrenzten Raum. Räder und öffentlicher Verkehr bewegen Menschen wesentlich platzsparender und Raum effizienter als Autos.

Wenn sich der Mensch ressourcenintensiv, umweltschädigend und ineffektiv mit zwei bis drei Tonnen Blech bewegt, ist das keine Option, die wir durch mehr Straßen und Parkplätze aufrechterhalten können. Platz ist begrenzt, Autoverkehr nicht unendlich skalierbar.

Zu Beginn der Corona-Pandemie bekam man eine Ahnung davon, wie gut weniger Autoverkehr und sinnloses Herumfahren uns allen tun. Es war angenehm ruhig, die Luft war sauber und man konnte sich mit dem Rad gefahrlos fortbewegen. Wir müssen sehen, dass wir das auch ohne Pandemie hinbekommen.

4. Radfahrer:innen sind gefährlich

Radfahrer:innen sind gefährlich? Müsse es nicht eher heißen, sie leben gefährlich? Fakt ist: In Deutschland stirbt jeden Tag mindestens ein(e) Radfahrer:in. Jeder siebte Verkehrstote war mit dem Rad unterwegs. Radfahrende legten deutschlandweit rund drei Prozent der Personenkilometer zurück (MiD 2017), stellen aber fünfzehn Prozent der Verkehrstoten (destatis 2020).

Das heißt, das Risiko im Straßenverkehr getötet zu werden, ist für Radfahrende fünfmal höher als im Durchschnitt aller Verkehrsteilnehmenden.

Es kommt vor, dass Radfahrende und Fußgänger:innen zusammenstoßen, sie verletzen, gar töten. Kann man deswegen sagen, Radfahrer:innen sind rücksichtslos und gefährlich, denn sie scheren sich weder um ihre eigene Sicherheit, noch die anderer? Natürlich tragen Radfahrer:innen Verantwortung für sich und andere. Für sie gilt Punkt 1 und 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Dort heißt es:

(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Die StVO gilt aber auch für Autofahrer:innen. Wer mit einer riesigen, schweren, kraftstrotzenden, schnellen und potenziell tödlichen Maschine unterwegs ist, die großen Schaden anrichten kann, sollte immer im Hinterkopf haben, dass große Macht mit großer Verantwortung einhergeht.

Im weltweiten Vergleich steht Deutschland in puncto Verkehrssicherheit nicht schlecht da. Starben in den 1970er-Jahren noch über 20.000 Menschen, sank die Zahl der Toten seither stetig und pendelte sich in den letzten zehn Jahren zwischen 4.000 und 3.200 Toten ein.

5. Radfahrer:innen sind selber schuld

Ein Unfall geschieht selten zufällig, sondern beruht auf einer Reihe ungünstiger Bedingungen und Verhaltensweisen. Medien und Polizei aber berichten oft einseitig und zugunsten von Autofahrer:innen. Dieses sprachliche Framing beeinflusst die Meinung enorm.

Wer zu Fuß und mit dem Rad unterwegs ist, ist meist schuld. Das sogenannte victim blaming kehrt die Täter-Opfer-Beziehung um. Das Opfer wird beschuldigt für die Tat verantwortlich zu sein. Das betrifft Formulierungen wie "trat/fuhr plötzlich zwischen Autos hervor", "war im toten Winkel", "missachtete die Ampel" etc.

Es gibt auch kaum Täter:innen, denn Autofahrer:innen treten selten als Menschen in Erscheinung: "Ein Audi erfasste das Kind auf dem Zebrastreifen", "Der Mercedes übersah die Radfahrerin beim Linksabbiegen", "Der LKW bog rechts ab und überrollte den Radfahrer" etc. Die Presse übernimmt die Polizeiberichte meist eins zu eins und trägt somit zu der Opferbeschuldigung bei.

Unsere Straßen sind weitaus tödlicher als sie es sein müssten. Um das alltägliche Blutbad zu verringern, wäre ein konsequenter Umbau des Straßenraums notwendig, der die Geschwindigkeit der Autos verlangsamt.

Eine Studie der Universität Düsseldorf zeigt die tödliche Wirkung des Aufpralls bei einem Fußgänger-PKW-Unfall; die Ergebnisse lassen sich auf Radfahrer:innen übertragen. Bei Tempo 30 ist die Wahrscheinlichkeit zu überleben relativ hoch. Hier stirbt jeder Dritte; bei Tempo 40 bereits jeder Zweite, bei Tempo 50 bezahlen acht von zehn Menschen eine Kollision mit ihrem Leben. Tempo 60 bringt den Tod, Überlebenschance: null.

Die Einführung von Tempo 30 in Städten und Dörfern würde nicht nur die Zahl der Todesopfer und die Verkehrsunfälle massiv reduzieren, sondern auch zu einer Verbesserung der Umgebung beitragen, da gleichzeitig Dreck und Lärm reduziert würden. Sicherlich würde es weiterhin Unfälle geben, aber sie würden insgesamt weniger und vor allem weniger tödlich. Es gibt keinen Grund, es nicht zu machen.

6. Radfahrer:innen wollen, dass alle aufhören Auto zu fahren

Man wolle Menschen das Autofahren verleiden, klagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß. In Düsseldorf bringe man die Autofahrer:innen "zum Verzweifeln, um sie so zum Radfahren zu zwingen". Überhaupt wollen die "Radnazis", den Menschen das Autofahren verleiden.

Radfahrer:innen wollen angeblich, dass alle anderen auch das Rad nutzen. Wenn dem so wäre, warum nutzen in Ballungsgebieten mehr als die Hälfte und in ländlichen Gebieten mehr als drei Viertel der Menschen zum Pendeln ihr Auto? Sie verlassen ihr Haus, ihre Wohnung und steigen wie selbstverständlich ins Auto.

Bis zu drei Tonnen Stahl, die im Schnitt anderthalb Personen, bzw. rund 100 Kilogramm Lebendgewicht durch die Gegend transportieren. Das ist Standard! Unsere Gesellschaft ist derart autozentriert, dass diese Form der Fortbewegung überhaupt nicht ernsthaft hinterfragt wird.

Autos werden als toll wahrgenommen. Sie sind bequem und sie bringen Menschen schnell dahin, wo sie hinwollen. Autos sind aber auch laut, umweltverschmutzend, ressourcenfressend, platzeinnehmend und tödlich. Autos sind nicht inklusiv. Autos grenzen aus. Sie lassen Kinder, Arme, Alte außen vor.

Mobilität wird in Deutschland mit dem Auto gleichgesetzt. Das Auto ist der Standard. Genau dieses Dogma hinterfragen viele Radfahrende. Fakt ist, dass fast die Hälfte aller mit dem PKW zurückgelegten Wege unter fünf Kilometer betragen; jede zehnte Autofahrt ist sogar kürzer als ein Kilometer (vgl. infas 2008).

Diese Zahlen machen deutlich, dass spürbare Teile des Autoverkehrs sich leicht durch Rad- und Fußverkehr ersetzen ließen. Je mehr Menschen mit dem Rad und zu Fuß unterwegs sind, desto besser für Autofahrer:innen, die wirklich auf ein Auto angewiesen sind.

Radwege dürfen natürlich nicht weiterhin im Nirwana enden. Radfahrenden kann es passieren, dass sie unvermittelt auf einer Schnellstraße landen. Das ist so, als ob Autofahrer:innen von der Straße direkt auf die Schiene geleitet würden, wo von hinten ein ICE angerauscht kommt.

Daher ist ein gutes Netz, möglichst aus abgetrennten und geschützten Radwegen, wie es sie in den Niederlanden und auch Dänemark gibt, essenziell, damit man mit dem Rad komfortabler und sicherer unterwegs sein kann. Wer weiß, vielleicht würde sich der ein oder andere Autofahrende dann sogar selber "gezwungen" sehen aufs Rad umzusteigen.

7. Autofahrer:innen zahlen für die Straße, also sollten sie Vorrang haben

Die Kfz-Steuer reicht nicht einmal annähernd dazu, die Kosten für den Erhalt von Straßen und Autobahnen zu decken, geschweige denn neue zu bauen. Es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen der Kfz-Steuer und bestimmten öffentlichen Aufgaben – Steuern, die durch Autofahrer erbracht werden, werden nicht notwendigerweise für den Straßenbau oder andere autorelevante Bereiche verwendet. Für Steuerausgaben gilt das sogenannte Gesamtdeckungsprinzip.

Alle, auch alle Nicht-Autofahrer:innen, zahlen für Straßen und Autobahnen. Es ist sogar ein überproportional großer Anteil, der für die Infrastruktur von Autofahrer:innen aufgewandt wird. Weder für den Bahnverkehr, noch für die Fahrrad-Infrastruktur, geschweige denn für Fußgänger:innen wird annähernd so viel Geld eingesetzt.

In einer Studie aus dem Jahr 2012 errechneten Verkehrsökonomen der TU Dresden, dass die "je PKW nicht bezahlten Kosten bei ungefähr 2.100 Euro pro Jahr liegen". Sprich: Alle anderen zahlen für Autofahrer:innen mit.

Wo Autofahren gesamtgesellschaftliche Kosten verursacht, schafft Rad- und Fußverkehr gesellschaftlichen Nutzen. Es gibt leider nur sehr wenige Studien dazu, aber die wenigen, die es gibt, zeigen den Nutzen deutlich auf. In Norwegen etwa erwirtschaftet ein Radfahrender drei Euro pro Kilometer.

In den Städten werden Straßenkosten hauptsächlich durch Grund- und Erwerbssteuer finanziert. In Deutschland dominiert die autogerechte Stadt. Alles wird um das Auto herum gebaut. Es gilt, die Bedürfnisse der Autofahrer:innen zu befriedigen.

Breite, schnelle Straßen und jede Menge Parkraum: Entlang von Straßen, riesige, asphaltierte Parkflächen, mehrstöckige, unter- und oberirdische Parkhäuser, Garagen, Einfahrten, betonierten Vorgärten, betonierte Innenhöfe, Gehwege, Radwege. Die Stellplatzverordnung regelt, wie viel Parkraum pro Quadratmeter Wohnraum gebaut werden muss.

Die Kosten des Abstellplatzes erhöhen die Baukosten maßgeblich und schlagen auch bei der Instandhaltung deutlich zu. Zudem erhöhen sich die Immobilienpreise und die Mietkosten steigen substanziell. Zahlen müssen alle, ob sie den Stellplatz nutzen oder nicht.

Autofahrer:innen werden hier von der Allgemeinheit subventioniert. Der zusätzliche Flächenverbrauch für Autos verringert nicht nur die Baudichte, sondern auch die Besiedlungsdichte.

Häufig decken die Steuereinnahmen von Haushalten und Unternehmen die Kosten für die Instandhaltung von Straßen und anderer Infrastruktur nicht mehr. Kommunen verfügen nicht mehr über die erforderlichen Mittel, um das zu erhalten, was sie gebaut haben. Ein klassisches Ponzi-Schema, das eine massive Geldausgabe von uns allen zugunsten der Autofahrer:innen darstellt.

8. Autofahrer:innen haben Recht!

Wer zahlt, meint daraus das Recht zur Meinungshoheit ableiten zu können. "Wir sind die Melkkuh der Nation", schimpfte FDP-Mann Rainer Brüderle einst, als es um die Einführung der Maut ging. Überhaupt müssen Autofahrer:innen vermeintlich alles zahlen. Da kann man auch erwarten, dass man bevorrechtigt wird und natürlich auch umsonst parken können muss.

Aber nein, es gibt kein Anrecht auf einen Parkplatz im öffentlichen Raum! Und nein, Autofahrer:innen haben nicht mehr Rechte, auch wenn Noch-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer es uns glauben machen will.

Vorrang hat für ihn der schnelle Verkehr. Mit der neuen StVO wird der Vorrang des Kraftverkehrs deutlich zementiert. Eine Maßnahme wie Tempo 30 innerorts lehnt er ab. Wo Radfahrende immerhin noch Erwähnung finden, heißt es für zu Fußgänger aus dem Verkehrsministerium ganz klar:

Die Anliegen zu Fußgängerinnen und Fußgänger sind nachrangig und müssen warten.

Ich frage mich schon, in was für einem Land lebe ich? Gibt es in Deutschland keine einheitliche Rechtsordnung? Warum hat jemand, der sich mit Tonnen von Blech umgibt, der mehr Raum okkupiert, andere in Lebensgefahr bringt, bedroht, bedrängt, vergiftet, mehr Recht als jeder andere?

Im Grundgesetz heißt es eindeutig: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich". In der StVO scheint dieser Grundsatz nicht mehr zu gelten. Das Verkehrsrecht steht, wie sonst nur das Kirchenrecht, außerhalb der Grundrechte.

Autofahrer:innen werden klar bevorteilt. Potenziert wird diese Rechtsvorstellung durch eine falsche Selbstwahrnehmung von Autofahrer:innen und ihrem unerschütterlichen Glauben an die eigenen Fähigkeiten.

So geben 97 Prozent an, gesehen zu haben, wie Radfahrer:innen zu dicht überholt werden. Zugleich sagen aber auch 95 Prozent, dass sie selbst immer besonders viel Rücksicht auf Radfahrende nehmen. Ein Widerspruch, den es zu klären gilt.

9. Radfahren ist bloß eine Modeerscheinung

Bis in die 50er-Jahre war das Fahrrad das wichtigste Individualverkehrsmittel in Europa. Zwischen 43 und 61 Prozent der Arbeiter einer Stadt mit über 100.000 Einwohnern fuhr 1936 mit dem Rad. 1938 existierten bereits über 10.000 Kilometer Radwege und man fuhr mit dem Fahrrad in den Urlaub.

Ab den 1950ern wurde das Rad von Motorrädern und Autos mehr und mehr verdrängt. Die Städte wurden entsprechend autogerecht umgestaltet. Das Umland zersiedelt. Heutzutage sind nur noch zwischen drei – im Saarland – und fünfzehn Prozent – in Hamburg – mit dem Rad unterwegs.

Ältere Generationen sind hauptsächlich monomodal per Auto unterwegs, wohingegen 70 Prozent der Millennials, geboren zwischen 1980 und 2000, bereits wesentlich breiter aufgestellt sind. Sie sind multimodal, das heißt, sie nutzen unterschiedlichen Formen der Fortbewegung: vom Gehen über Radfahren, Scooter, Auto, Car-Sharing bis hin zu öffentlichem Transport mit Bus und Bahn.

Dass nachhaltige Mobilität im Umweltverbund (zu Fuß, per Rad und öffentlichem Verkehr) und nicht mit dem Auto stattfindet, ist mittlerweile weiten Teilen der Bevölkerung bewusst.

10. Es gibt einen Krieg gegen das Auto

Der Stadtplaner Brent Toderian stellte kürzlich fest:

Es fällt mir schwer, zu glauben, dass ein Ort, der von Autos abhängig ist, grundsätzlich lebenswert sein soll. Autoabhängigkeit ist ungesund, sie verkürzt unsere Lebensdauer und behindert unser soziales und familiäres Leben.

Das entspricht den Tatsachen. Es wäre gesünder, sozialer, lebenswerter, wenn wir uns nicht vom Auto abhängig machen würden und Mobilität gemeinsam sinnvoll planten, aber bis dahin ist es ein weiter Weg und zunächst provoziert sein Statement Widerstand.

Auch in Deutschland gibt es allerorten die Klage, es gebe einen regelrechten Krieg gegen das Auto. Die Debatte um Feinstaub und Stickoxide treibt den Puls bei vielen hoch. Groß ist auch der Aufschrei, die deutsche Automobilbranche werde vernichtet und hunderttausende Arbeitsplätze gleich mit.

Jeder Parkplatz der wegfällt, ein Sakrileg! Jede Spur, die für den Radverkehr genommen wird, ein Desaster. Gefühlt werden Autofahrer:innen ausgebremst, gegängelt, gemolken, beschimpft und schlecht behandelt. Nichts weniger als die Freiheit der Menschheit steht auf dem Spiel.

Das mag übertrieben klingen, aber das ist es nicht, denn es gibt eine ganz perfide, emotionale Verknüpfung des Menschen mit seinem Auto.

Für viele ist das Auto ein wertvoller Besitz, der ihnen Freiheit schenkt. Ein wichtiges Eigentum, mit dem man zeigt, wer man ist und welches mit der menschlichen Freiheit nicht nur vereinbar, sondern unabdingbarer Bestandteil ist.

Es ist entsprechend nicht nur sozial verpflichtet, sondern unterliegt der Idee einer gerechten Freiheitsordnung der bürgerlichen Gesellschaft.

Der Tagesspiegel

Gibt es diesen Krieg gegen das Auto wirklich? Wenn ich auf die Straße sehe, kann ich davon nichts feststellen. Ich sehe überall Autos, Autos, Autos und die Prognosen sagen, zukünftig gibt es noch mehr Autos, Autos, Autos. Ob die nun elektrisch angetrieben werden oder nicht, das macht nur einen geringen Unterschied.

Die Verteilung des öffentlichen Raumes zugunsten des Autos ist erdrückend, dennoch sind Autofahrer:innen mit auch nur der geringsten Veränderung ihres vermeintlich bequemen Daseins sofort in heller Aufruhr.

Straßen umzubauen, damit sie sicher werden, ist kein "Krieg gegen das Auto", sondern lediglich eine banale und längst überfällige Maßnahme auf Basis der Erkenntnis, dass es noch andere Verkehrsteilnehmer:innen gibt, denen ein sicherer, angenehmer und lebenswerter Raum zusteht.

11. Menschen brauchen Autos

Was, wenn wir keine Privatautos hätten? Wie würden Menschen dann einkaufen? Wie Möbel transportieren? Wie die Oma zum Arzt bringen?

Das meiste ließe sich gut mit dem Rad erledigen. Es gibt Lastenräder und Anhänger, damit lassen sich problemlos Einkäufe erledigen und Möbel transportieren. Und mit einer Rikscha oder dem Taxi fährt die Oma bequem zum Arzttermin.

Die meisten Strecken liegen ohnehin unter fünf Kilometer; ein Radius, den man am schnellsten und besten mit dem Rad abdeckt.

In Deutschland nimmt die Stadtbevölkerung kontinuierlich zu und liegt mittlerweile bei 77, 4 Prozent der Gesamtbevölkerung.

In der Stadt ist das Auto ein massives Problem. Die überdimensionierten Straßen zerschneiden die Städte und gefährden seine Bewohner:innen. Zudem steht das Auto 23 der 24 Stunden täglich sinnlos herum und okkupiert wertvollen Raum, der wesentlich sinnvoller genutzt werden könnte.

Ohne Auto zur Arbeit oder einkaufen geht nicht? Warum werden dann nur rund sechzehn Prozent der Wege mit dem Auto erledigt? Am häufigsten wird das Auto zum reinen Vergnügen benutzt. Über 28 Prozent der Wege dienen dem Freizeitvergnügen.

Es wird weiterhin Gegenden geben, wo das Auto eine gewichtige Rolle spielt: In dünn besiedelten, ländlichen Räumen. In dicht besiedelten, gut erschlossenen urbanen Räumen jedoch hemmt das Auto die Mobilität enorm.

Dort braucht es intelligentere, effektivere und nachhaltigere Formen der Fortbewegung. Das Rad ist eine davon, neben Bussen und Bahnen und natürlich unseren Füßen. Man darf nicht genötigt sein, ein Auto nutzen zu müssen, sondern muss die Freiheit haben, zu wählen, wie man sich fortbewegt.