Eliten: "Dazu verdammt, eine neue Beziehung zur Bevölkerung aufzubauen"
Seite 2: Kein Programm, sondern ein Dagegen
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Letztlich fordern die Bewegungen die Ablösung der Regierungen, allerdings ohne eine Alternative aufzustellen, so Martin Gurri. So gebe es auch kein Programm, sondern ein vor allem ein lautes und vielstimmiges Dagegen.
Die Bürger, die demonstrieren, sind extrem "gegen" bestimmte Dinge, aber haben nichts damit am Hut, die Macht zu übernehmen. Das schafft eine Übereinanderlagerung der Stimmen und ein Durcheinander, wenn es darum geht, klare Forderungen zu formulieren. Nicht nur in Frankreich ist das der Fall, sondern überall in der Welt.
Martin Gurri, Interview Atlantico
Daran zeige sich einerseits, dass das Vertrauen in alte Autoritäten in wesentlichem Ausmaß erschöpft ist. Das erklärt Gurri mit den Informationsmöglichkeiten des Netzes, die frühere Maßgaben der Autorität unterhöhlen. Kein Politiker oder Experte aus den Elitekreisen kann mehr das Wissen und die Festigkeit seines Wissens behaupten wie zu Zeiten der drei Fernsehkanäle, in denen die Politiker und Fachleute wenig angefochten davon ausgehen konnten, dass ihnen das Publikum glaubt, dass sie wüssten, wovon sie sprechen.
Zum anderen zeige sich in den neue sozialen Bewegungen, bei denen vieles über soziale Netzwerke vermittelt wird, auch ein irrationales Moment. Politiker, die die Öffentlichkeit nun als vielköpfiges Monster beschreiben und Eliten, die davon sprechen, dass die Öffentlichkeit nun verrückt geworden sei, liegen nach Ansicht Martin Gurris nicht völlig daneben.
Die Wut der Öffentlichkeit treibt häufig bis zum Nihilismus, an den Glauben, dass die Zerstörung des Establishments eine Form des Fortschritts ist, selbst wenn keine Alternative vorgeschlagen wird. Das war die Geisteshaltung, als die Gelbwesten Feuer an Banken gelegt haben oder sich des Arc de Triomphe angenommen haben. Die Zerstörung wurde als kreativ wahrgenommen. Das ist offensichtlich sehr gefährlich für die Demokratie
Martin Gurri, Interview Atlantico
Als ein Kennzeichen der Systemkrise, die sich in den neuen Protesten manifestiert, erwähnt Gurri die Entfremdung zwischen den Regierungen und der Bevölkerung. Die Regierungsapparate und - strukturen würden eine eigene abgehobene Sprache benutzen und sich auch so von den normalen Leuten entfernen. Dazu verfestige sich der Eindruck, dass die Eliten, die im Besitz der Macht sind, nur ihre eigenen Interessen verfolgen.
Eine Politik der Nähe
"Die Öffentlichkeit verlangt weder eine Revolution noch die Diktatur des Proletariats", so Gurri. "Sie will eine bürgernahe Demokratie und von den Politikern Antworten, aber keine Morallektionen und keine Herablassung." Die demokratischen Strukturen müssten sich an die horizontale Ebene anpassen, wie dies der Kommunikation im Netz entspreche. Die Chefs müssen sich neu und radikal neu definieren, die neue Generation der Eliten sei dazu "verdammt eine neue Beziehung zu den Bürgern aufzubauen".
Bei Gurri selbst ist diesen Worten gegenüber Skepsis herauszuhören. Er plädiert für eine Annäherung, ohne dass er davon überzeugt ist, dass damit die Konflikte gelöst werden können.
Bei der jüngsten Versammlung der Gelbwesten, die sich politisch neu aufstellen, wurde den Bürgermeisterwahlen große Bedeutung beigemessen, weil dies die Politik der Nähe und damit die Basis sei: "Le local, c’est la base", doch auch dazu gab es Gegenstimmen.
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